So., 01.09.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Interview zu Syrien: "Russland wird keine Einmischung legitimieren"
Zur Person: Der russische Außenpolitik-Experte und Journalist Fjodor Lukjanow ist Mitglied im Russischen Rat für Außen- und Verteidigungspolitik, der die Regierung berät. Der 46-Jährige beendete 1991 sein Studium als Philologe an der Staatlichen Lomonossow-Universität und arbeite seither für zahlreiche Publikationen.
Ina Ruck: Wann, glauben Sie, wird der Militärschlag kommen?
Fjodor Lukjanow: Ich vermute Anfang der Woche, wenn die Inspektoren zurück sind und berichtet haben. Sie werden sicher genügend Hinweise auf Giftgas gefunden haben. Wer es eingesetzt hat, werden sie nicht sagen. Dazu haben sie nicht das Mandat. Für die USA wird das aber ausreichen.
Parallel werden wohl auch die Geheimdiensterkenntnisse veröffentlicht, die angeblich überzeugend zeigen, dass Assad hinter dem Giftgasangriff steckt. Nach der Absage der Briten sieht es zwar so aus, als bekäme Obama keine bedeutende Koalition zusammen. Aber für einen einmaligen Militärschlag brauchen die Amerikaner niemanden. Nach ihren Ankündigungen können sie nicht mehr untätig bleiben. Ich erwarte, dass es vor dem G20-Gipfel passiert.
Ruck: Ein Militärschlag knapp vor dem Gipfel wird die Tagesordnung umwerfen, Syrien wird Hauptthema sein. Wie wird Russland reagieren?
Lukjanow: Die Reaktion wird natürlich scharf negativ sein. Im Moment verhält sich Russland, so seltsam das scheinen mag, sehr ruhig, ohne scharfe Worte oder Forderungen. Aber Russland sieht, in welch dummer Position sich Obama befindet. Es will ihm Gelegenheit geben, möglichst lange in dieser Position zu bleiben und später das zu tun, was man in Russland für richtig und nötig hält. Denn aus Sicht hiesiger Beobachter kann es keinen guten Ausgang geben für Syrien, in keinem möglichen Szenario. Eine militärische Einmischung beendet den Konflikt nicht. Im Gegenteil: Der Krieg wird erst recht entfesselt.
Syrien soll kein zweites Libyen werden
Ruck: Also hat Russland sich damit abgefunden, machtlos zu sein? In dieser Situation nichts entgegensetzen zu können?
Lukjanow: Vor zwei Jahren hat Außenminister Sergej Lawrow die Position definiert. Sie gilt bis heute: Russland kann ein Eingreifen in den Konflikt nicht verhindern, wird aber niemals zulassen, dass diese Einmischung legitimiert wird. Genau das erleben wir jetzt. Das soll heißen: Wenn ihr noch einen Irak wollt - bitteschön, das ist eure Sache, wir haben euch gewarnt. Ihr könnt jede beliebige Dummheit begehen, aber ohne Legitimierung.
Russlands Position zu Syrien ist natürlich durch unsere Libyen-Erfahrung beeinflusst. Damals legten wir kein Veto ein. Lauter Protest hat jetzt dennoch keinen Sinn. Es ist klar, dass Obama in jedem Fall handeln wird. Aber nach dem Militärschlag wird Präsident Wladimir Putin mit scharfen Worten die amerikanische Politik kritisieren.
Ruck: Russland scheint sich ganz wohl zu fühlen in der Rolle des Mahners. Dabei hätte es in einem früheren Stadium sehr wohl zu einer Lösung beitragen können.
Lukjanow: Zweifellos sind in den zweieinhalb Konfliktjahren viele Chancen verstrichen. Russlands Position ist konsequent. Man kann sie unmoralisch nennen oder im Gegenteil sehr vernünftig. Russland geht es nicht um Syrien. Auch wenn man im Westen immer wieder hört, Putin unterstütze Assad, weil der ein Diktator sei, ein guter Waffenkunde und so weiter. Das alles ist nebensächlich.
Wichtig ist, dass Russland diesen Krieg als Blaupause für die Lösung künftiger Konflikte ansieht. Davon wird es noch viele geben, potentiell im gesamten Nahen und Mittleren Osten. Russland will nicht zuzulassen, dass das libysche Modell zur Norm wird. Dass also in einem Bürgerkrieg äußere Kräfte entscheiden, welche Seite die richtige ist und dieser an die Macht verhelfen. Wie wir in Libyen sehen, führt das nicht zu Demokratie, nicht mal zu einer stabilen Regierung.
"Putin ist der konservativste Politiker der Welt"
Ruck: Russland hatte zu Beginn eine Schlüsselrolle. Warum hat Moskau nicht kooperiert, warum hat es diese Eskalation überhaupt zugelassen?
Lukjanow: Putin hat seine eigenen Vorstellungen von einer Weltordnung. Er ist überzeugt, dass jede beliebige Einmischung oder Erneuerung zum Schlechten führt. Die Welt an sich ist gefährlich genug: Lieber nichts anfassen, nicht einmischen, keine Innovationen oder Experimente. In diesem Sinne ist Putin der konservativste Politiker der Welt. Das spiegelt sich in der Innenpolitik ebenso wie in seiner Weltsicht, und es bestimmt Russlands Position in Sachen Syrien.
Ruck: Dennoch hat Russland eigene Interessen in Syrien. Welche Rolle spielen die? Der Waffenhandel allein kann es nicht sein.
Lukjanow: Wir haben in Syrien einen Militärstützpunkt, auch wenn es nur ein kleiner ist. Beim Waffenhandel ist Syrien bei weitem nicht der größte Kunde, aber doch ein wichtiger. Dazu kommt die politische Tradition. Wir haben seit 45 Jahren ein gutes Verhältnis, seit den Zeiten von Assads Vater. Das alles gab den ersten Impuls, das syrische Regime zu unterstützen. Doch es spielt jetzt kaum noch eine Rolle.
Russland wird die Suppe nicht auslöffeln
Ruck: Nach dem Militärschlag wird Russland gefragt sein, wenn alle Seiten an den Verhandlungstisch geholt werden müssen. Wird Moskau sich am Nachkriegsprozess beteiligen? Das kann doch eine Chance sein, sich als Friedensstifter zu profilieren?
Lukjanow: Das ist doch eine seltsame Situation, oder? Die Amerikaner machen einen Alleingang. Sie verschlimmern das Chaos und bitten dann die anderen um Hilfe. So war es in Jugoslawien, als die Nato auch nach wochenlangem Bombardement nicht weiter kam. Die öffentliche Meinung drehte sich, die Bomben nützen nichts, Belgrad gab nicht auf. Russlands Präsident Boris Jelzin schickte seinen Gesandten Wiktor Tschernomyrdin. Der übte so lange Druck auf Präsident Slobodan Milosevic aus, bis er kapitulierte. Sonst hätte die NATO dumm dagestanden. In Moskau denkt man mittlerweile, es wäre vielleicht besser gewesen, es nicht zu tun.
Diesmal wird es so etwas nicht geben. Wenn die Situation in Syrien nach einem Militärschlag weiter eskaliert, wird sich Russland für eine Weile distanzieren und sagen: Ihr wolltet es, nun kommt selbst damit klar. Am Ende wird Russland natürlich zurückkehren, so wie im Irak. Nach dem ersten allgemeinen Entsetzen klinkte sich später ja sogar die UN wieder in den Prozess ein. Doch schaut man sich den derzeitigen Zustand der bilateralen Beziehungen an, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Russland den USA hilft, die Suppe in Syrien auszulöffeln.
Ruck: Was wäre für Russland das "worst case scenario"?
Lukjanow: Wenn das Regime schnell kippt und sich im Chaos eine neue Macht etabliert, begleitet von Islamisierung. Es ist wenig wahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich. Man sollte Assads Standhaftigkeit nicht überbewerten.
Dann haben wie die konkrete Bedrohung der ganzen Region mit einem sich ausbreitenden islamischen Extremismus, der auch in Richtung Russland wandert. Das neue Regime wird mit Sicherheit deutlich anti-russisch eingestellt sein wird.
Man wird es Assad aber auch nicht erlauben, zu siegen oder an der Macht zu bleiben. Er wird entweder weggefegt oder aber stark geschwächt. Das bedeutet, dass die Destabilisierung der Region voranschreitet und auf andere Territorien übergreift.
Autorin: Ina Ruck, Leiterin des ARD-Studios Moskau
Stand: 25.11.2013 16:58 Uhr
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