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Brasilien: Spielverbot am Strand von Rio

Brasilien: Spielverbot am Strand von Rio | Bild: WDR
Rio de Janeiro
Die Stadt zwischen Zuckerhut und Copacabana | Bild: dpa

Rio de Janeiro will Kontrolle gewinnen. Die Stadt will Ordnung. Die Operation heißt „Choque de ordem“ Ordnungsschock. Die Ordnungstrupps kennen kein Erbarmen. Rio verändert sich. Wie, das will uns Carlos Alberto Torres zeigen, wenn man ihn lässt. Denn jeder kennt Carlos. Ein brasilianisches Fußballidol und Carioca, Einwohner von Rio. Der Stadt mit den wunderbaren Stränden. Da, wo sich das Leben abspielt und wo jetzt vor den Megaevents wie der Fußball-WM neue Spielregeln gelten sollen.

Carlos Alberto Torres
"Ich bin mir sicher, dass die FIFA nicht vorschreibt, dass man solche Maßnahmen ergreifen muss.Strandverkäufer werden nur noch geduldet, wenn sie eine Lizenz haben. Das haben die wenigsten. Hunderte Menschen verdienen aber so ihren Lebensunterhalt. Und sie gehören hier einfach dazu. Brasilianische Kultur, die hier mit Füßen getreten wird. Käse am Stiel, frisch gegrillt, gab´s hier schon immer. Ist jetzt verboten."

Käseverkäufer
"Es ist verdammt schwer, Geschäfte zu machen. Wenn ein Ordnungshüter auftaucht, muss ich rennen."

Ballspielen am Tag, nur noch am hinteren Rand des Strandes, an der Brandung, nicht mehr erlaubt. Man könnte jemanden verletzen. Die Farben der Sonnenschirme und Stühle der Verleiher sind jetzt vorgeschrieben. Getränke in Glasflaschen dürfen nicht mehr verkauft werden. Die Strandbudenverkäufer wie Marcelo sind verärgert, manche fürchten bald sogar das Verbot der Caipirinha.

Marcelo Gonzales, Strandverkäufer
"Das alles gehört doch zu Rio und Brasilien. Das kann man doch nicht verbieten. Jeder träumt doch von unserem Lebensstil."

Kleingeistige Verbote, die Carlos entsprechend kommentiert:
Carlos Alberto Torres
"Hey, da ist ja mein Strand. Ein Glück liegt hier noch Sand!"

Carlos ist unzufrieden, dass sich Rio und sogar die Selecao verändern.

Carlos Alberto Torres
"Wir haben gerade kein gutes Nationalteam. Aber wir wollen die Fußball-WM gewinnen, dafür musst Du gut sein, und dafür, das sehe ich ein, braucht es zumindest bei der Mannschaft etwas mehr Ordnung."

Er darf solche Analysen machen, er ist eine Legende.
Carlos Alberto Torres
"Schau, da ist mein Fußabdruck!
Diese Füße haben Brasilien 1970 zum Weltmeister gemacht. Carlos Alberto Torres spielte mit Pele und schoss im WM Finale in Mexico gegen Italien ein Traumtor. Er ist damit unsterblich geworden und verkörpert somit nicht nur brasilianische Fußballkunst, sondern er steht auch für ursprüngliche, ungezwungene Lebens- und Spielfreude.

Carlos Alberto Torres
"Damals haben wir halt mit irgendwelchen Schuhen gespielt. Heute wird ein Spieler, bevor er den Fuß aufs Spielfeld setzt, erst einmal ausgestattet mit Vermögen und Ausrüstung. Jetzt ist alles Business. Der Wert des Fußballs heute ist ein anderer, es spielt sich viel neben dem Rasen ab, alles verändert sich.
Auch in Rio. Hier wird das Endspiel in zwei Jahren ausgetragen. Im legendären Maracana Stadion, in dem einst 200.000 Zuschauer jubelten. Jetzt wird der Tempel neu gestylt, alle Stehplätze verbannt, dafür VIP Tribünen eingebaut.

Ein Topstadion soll das werden. Die alte Nachbarschaft, die Favela Metro Mangera, kann da nicht einfach bestehen bleiben. 680 Familien müssen ihr Zuhause räumen. Die Nachbargebäude von Eomar Freitas schon halb niedergewalzt, er hält noch aus hier. Die 40qm-Wohnungen in einem Vorort, die den betroffenen Familien als Ausgleich angeboten werden, reizen ihn nicht. Auch wenn der Ausblick auf die Ruinen, die nun zu Parkplätzen werden sollen, richtig wehtut.

Eomar Freitas
"Mein Leben findet jetzt in einem Mülleimer statt. Wir haben zwar hier in einem Slum gewohnt, aber alles war organisiert und relativ sauber. Jetzt hausen wir hier wie die Ratten. Überall liegen Fäkalien und Abfall auch von Drogengebrauch."

Rio räumt auf. Da, wo jetzt noch eingezwängt zwischen Eisenbahnschienen und Straßen Menschen leben, wird in zwei Jahren der Parkplatz fürs Maracana Stadion sein.

Carlos Alberto Torres
"Die Fußball-WM geht vorbei. Das Leben der Leute aber geht weiter. Und eigentlich sollte niemand benachteiligt werden wegen eines Fußballturniers."

Die Stadt am Zuckerhut rüstet sich für die Megaveranstaltungen, kein Stadtteil ohne riesige Baustelle. Neue Tunnel, neue Straßen, neue Strecken für die Metro und eine Hochbahn. Milliarden von Euro werden zur Verkehrsentlastung investiert. Mega Baustellen und enormer Zeitdruck. Rio wird neu strukturiert. Aber es könnte verloren gehen, was diese Stadt so einzigartig macht. Diese Strandbude ist ein Hit. Seit dreißig Jahren gibt es beim Uruguaio Milton Gonzales die besten Brötchen mit Grillfleisch. Jetzt darf hier aber nicht mehr gegrillt werden.

Milton Gonzales, Strandverkäufer
"Die Stadtverwaltung hat ihre eigenen Vorstellungen, wie sie hier Ordnung schaffen will. Aber das steht völlig im Gegensatz zu dem, was die Realität und die Bedürfnisse am Strand sind."

Alex Dias vom Amt für öffentliche Ordnung ist stolz auf die Erfolge. Rio sei sauberer geworden, Rio fühle sich sicherer an. Das Chaos werde kleiner.

Alex Dias, Ordnungsamt Rio
"Klar, unsere Aktivität ist wohl nervig, aber nötig. Wir brauchen hier eine Mindestordnung, auch am Strand, wo sich alle sozialen Klassen begegnen."

Kokoswasser, erfrischender Drink für zwischendurch, die Nuss mit der Machete geöffnet, ein Kult. Auch die Nuss sollte verbannt werden, doch daran sind sie gescheitert.

Carlos Alberto Torres
"Wenn sie die jetzt auch noch abgeschafft hätten, dann hätte ich lieber auf die Fußball-WM verzichtet."

Die Nuss gibt’s weiter, aber aus Sicherheitsgründen soll sie in Zukunft aufgebohrt, statt mit dem Messer aufgeschlagen werden. Rio räumt auf, aber bitte, so wünschen es sich die Brasilianer, lasst ein bisschen übrig von unserem liebenswürdigen Chaos.

Autor: Michael Stocks, ARD Rio de Janeiro

Stand: 22.04.2014 14:50 Uhr

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