So., 24.02.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Russland: Ein Pferd bringt die Post
4 Dörfer - 15 Kilometer
Eisrallye in Iwowo. Im Winter ist das Leben hier wie Extremsport. Das Eis räumt keiner weg, die Strassen sind seit Jahren nicht repariert.
Wir sind nur 400 Km entfernt von Moskau – aber Kanalisation gibt es nicht, der Dorfladen ist seit langem geschlossen, die Lenin-Kolchose, bei der sie hier alle gearbeitet haben, sowieso.
Wer kann, zieht weg aus Iwowo. Wer bleibt, schimpft. Wie sie hier schon immer geschimpft haben.
Jeden Morgen kommt das Postauto nach Iwowo mit der Fracht aus der Stadt. Heiss erwartet. Und wenn es wieder weg ist, beginnt das Dorfleben.
Was nicht vorrätig ist, kann man bestellen
Seitdem der letzte Laden dichtgemacht hat, spielt sich alles in der Post ab. Frische Zeitungen holen, Telefonrechnungen bezahlen bei Tamara Alexandrowna. Oder einfach nur zum Aufwärmen kommen. Und natürlich zum Einkaufen. Denn die Dorfpost verkauft längst nicht nur Briefmarken.
Kinderschlitten, Hockeyschläger, Fischkonserven – und was Tamara Aleksandrowna nicht vorrätig hat, kann man bestellen.
Und was bestellen die Leute vor allem?
Bestellt wird nach Katalog. Es gibt sogar einen für Grabsteine. Die liefert die Post auch ins Haus.
Genauer gesagt: das Postpferd Margeaux liefert. Seit zehn Jahren ist Margeuax im Dienst, und im Winter beginnt sie jeden Arbeitstag mit einem Bad im Schnee. In vier abgelegene Dörfer liefert Tatjana Petrowna mit Margeaux die Post aus. Ohne Pferd geht das nicht, sagt sie, viel zu weit. Und mit dem Auto – vergiss es. Das kommt da im Winter nicht durch.
Vier Dörfer, 15 Kilometer, querfeldein. Jeden Tag.
Vier Dörfer, 15 Kilometer, Asphalt gibt es nicht. Nur wenn das Thermometer unter minus dreissig fällt, bleibt Margeaux im Stall. Heute ist Zeitungstag. Margeuax hält von ganz alleine vor jedem Briefkasten. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Die Bezirkszeitung heisst „Das Ländliche Getreidefeld“ und kommt zweimal die Woche. Jeder Haushalt hier hat sie abonniert. Das Pferd übrigens gehört nicht der Post, sondern Tatjana. Nicht mal Geld fürs Futter bekommt sie.
Fürs Geld alleine macht Tatjana den Job sowieso nicht. Sondern zum Beispiel für die alte Isolda. Äpfel hat Tatjana ihr heute mitgebracht. Isolda lebt allein, das Dorf ist zwei Kilometer weit – für sie unerreichbar weit.
Tatjana hat zwei Bandscheibenvorfälle hinter sich, der Blutdruck ist viel zu hoch. Aber zuhause auf dem Diwan liegen? Das ist nichts für sie.
Mit einer kleinen Frührente und dem Postgehalt bringt sie es auf dreihundert Euro im Monat. Das reicht für uns beide, sagt sie.
Autorin: Ina Ruck
Stand: 22.04.2014 14:05 Uhr
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