Mo., 01.10.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Bulgarien: Joghurt für China – Chinesen für Joghurt
Ein chinesischer Sprachkurs, ausgerechnet in einem kleinen Ort in Bulgarien. Wie viele andere im Dorf geben sich auch Gergana und ihre Nachbarin Stanka große Mühe, die schwierigen Worte auszusprechen. Gergana ist bemüht: "Es ist ziemlich kompliziert, aber es gibt Formulierung die ich unbedingt lernen will, vor allem auch, um die Besucher zu beeindrucken." Stanka macht das Lernen Spaß: "Mich interessiert die chinesische Kultur sehr und die Logik hinter den Silben und den Schriftzeichen."
Ihr Heimatort Momchilovtsi liegt mitten in den bulgarischen Rhodopen, einer abgeschiedenen Bergregion nahe der griechischen Grenze. Und genau hier gibt es seit Kurzem Hinweistafeln auf Chinesisch, denn ihr Dorf, erzählen Gergana und Stanka, hat ein Geheimnis: Immer mehr Chinesen reisen in das kleine Bulgarische Bergdorf. Und alle interessiert nur eines: Der Lactobacillus Bulgaricus – die inzwischen berühmte Joghurt-Kultur. Aber warum?
Die Joghurt-Kultur
Das will uns Gergana zeigen und nimmt uns mit ein paar Häuser weiter. Stojan Shukerov lebt schon seit 94 Jahren in Momchilovtsi. Nun ist er weltweit bekannt. Fernsehteams aus Bulgarien, China und Brasilien waren schon bei ihm. Warum er so lange lebe, wollen sie alle wissen: "Uns geht es so gut hier, weil wir sehr viel Joghurt essen. Wir können hier nicht ohne überleben, egal ob aus Kuhmilch, Schafsmilch oder Ziegenmilch. Ich brauche die Milch und das daraus hergestellte Joghurt einfach um zu existieren, deshalb lebe ich schon so lange."
Und genau das wollen die Chinesen auch. Deshalb wirbt die Staatsmolkerei "Bright Dairy" im Fernsehen mit der lebensverlängernden Wirkung des Joghurts aus Momchilovtsi. Fast jeder große Supermarkt in China führt den Trinkjoghurt mit dem bulgarischen Namen. Momchilovtsi heißt für die Chinesen: Gesundheit und langes Leben. Wissenschaftlich Überprüft hat das niemand, aber viele glauben daran: "Ich mag die Marke sehr. Ich weiß, dass sie aus dem Ort kommt in dem die Menschen besonders alt werden." "Genau, das mit dem langen Leben steht auch auf jeder Packung." "Ja, das Joghurt schmeckt uns besonders gut."
Der Besuch der Chinesen
In Momchilovtsi treffen wir den Milchbauern Ilia Atanasov. Er kann sich noch gut an die erste Delegation aus China erinnern, vor acht Jahren: Sie haben sich ganz genau angeschaut, wie er Milch und Joghurt produziert: "Unser Geheimnis ist ganz simpel: Zum einen das natürliche Futter von den Bergwiesen, zum anderen haben wir eine ganz besondere Rasse von Kühen; die geben zwar weniger Milch, aber dafür eben viel besser Qualität, ihre Milch ist fetter."
Ilia zeigt uns den traditionellen Herstellungsprozess: Die auf 45 Grad erhitzte und wieder abgekühlte Milch wird in Gläser gefüllt und mit der Joghurtkultur Lactobacillus bulgaricus vermischt. Die lebenden Bakterien kommen aus einem alten Glas Joghurt. Die werden so immer weiter vermehrt. Das Ganze lässt man für zwei bis drei Stunden ruhen und fertig ist der echt bulgarische Joghurt. Genau diese Art der Joghurtherstellung haben die Chinesen für ihre Milch in China kopiert; ein paar Löffel Joghurtkultur aus Momchilovtsi reichten.
Seitdem kommen nun chinesischen Joghurt-Fans in die Bulgarischen Rhodopen und folgen dem Pfad des "langen Lebens", den sie aus der Werbung kennen. Einmal im Jahr gibt es sogar ein Großes Joghurt Festival mit jährlich fast 5000 Besuchern aus Fernost. Die bringen Geld und die Aussicht auf wirtschaftliche Entwicklung.
Gergana hofft - so wie die meisten im Dorf - auf einen Anteil am Touristenboom. Auch deshalb sitzt sie fast täglich vor ihrem kleinen Häuschen und lernt die fremden Schriftzeichen: "Ich glaube, dass wir die Ursprünglichkeit unseres Dorfes trotz Touristen bewahren können. Die chinesischen Besucher werden uns nicht verderben. Es wird eher so sein, dass wir sie verändern, wenn sie hier sind, durch die Schönheit unserer Natur und Landschaft."
Gergana träumt von einer eigenen Pension, in der sie ihren chinesischen Gästen dann bulgarischen Joghurt zum Frühstück servieren will.
Autor: Till Rüger, ARD Wien
Stand: 28.08.2019 08:58 Uhr
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