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Das Erste
Hongkong: Käfigmenschen im teuersten Immobilienmarkt der Welt
Ihr Zuhause ist ein Käfig mit einer Matte: Sieben Männer leben in einem Raum in bitterer Armut. Das Geld reicht oft nicht für drei Mahlzeiten am Tag. Herr Leung zeigt, wo er seit Jahren wohnt. Er bekommt gut 500 Euro Sozialhilfe. Fast die Hälfte gibt er aus für das Bett im Käfig und Strom. Leung Chung Yin: "Wir sind überflüssig wie Müll. Wir sind ausgestoßen. Die Gesellschaft hat uns aufgegeben."
Ihr einziger Lichtblick ist Lai Shan. Sie kommt regelmäßig, fragt, wie es ihnen geht, was sie brauchen, bringt zusätzliches Essensgeld. Sie arbeitet für eine Hilfsorganisation, die sich um die Menschen in Hongkong kümmert, die in meist unerträglichen Unterkünften leben.
Lai Shan Sze, Society for Community Organization (SoCO): "Es ist wirklich traurig und beschämend, weil wir in Hongkong viele Mittel haben. Die Leute sind so reich in Hongkong! Die Regierung sollte in der Lage sein, diesen Menschen zu helfen. Wir lassen einfach zu, dass es passiert."
Unerschwinglicher Wohnraum – für Normalbürger
Nirgendwo auf der Welt ist Wohnraum so unerschwinglich wie in Hongkong mit seinen gut sieben Millionen Einwohnern. Die bebaubare Fläche ist begrenzt, aber es finden sich genügend Käufer für teure Luxus-Appartements. Und damit verdienen Immobilienfirmen am meisten Geld.
Selbst für die Mittelklasse sind Eigentumswohnungen oft nicht mehr erschwinglich. Dass die Hälfte des Einkommens für Mieten oder Kredite verwendet wird, ist längst normal. Und viele sind ganz abgehängt: Hinter den Fassaden: Wohnungsalbträume.
Die Menschen nennen sie den "Engel der Armen", weil sie überall versucht zu helfen. Lai Shang begleitet den 13-jährigen Chak Ming nach Hause. Viele Wohnungen wurden von ihren Besitzern unterteilt in Mini-Behausungen, auch Schuhkartons genannt. Halbtagsjob, Sozialhilfe – damit können sich Mutter und Sohn etwa zweieinhalb Quadratmeter leisten: Stockbett, kleiner Tisch. Die Mutter weint oft, sie möchte ihrem Sohn ein besseres Leben bieten: "Unsere Wohnung sollte so groß sein, dass sich mein Sohn und ich frei bewegen können. Hier ist es so klein, dass wir nur nacheinander ins Zimmer gehen können."
Seinen Klassenkameraden verschweigt er, wie er wohnt. Er schämt sich. Die meisten hier arbeiten, aber die Gehälter reichen nicht mehr für normale Wohnungen. So müssen sie sich mit mehreren Parteien eine schäbige Küche und ein Badezimmer teilen. Die einzige Hoffnung ist eine Sozialwohnung. Aber die Wartezeit beträgt mehrere Jahre. Lai Shan berät, hilft bei den Behördengängen, macht öffentlichen Druck. Unter dem Leben auf so engem Raum leiden die Menschen, meint Lai Shan Sze: "Wer unter diesen Raumbedingungen lebt, ist schnell frustriert, fühlt sich hoffnungslos und hilflos. Im Sommer ist es hier sehr heiß – einige können nicht schlafen. Und es sind zu viele Menschen – die Hygiene ist nicht gut."
Großer Bedarf an Sozialwohnungen
30 Prozent der Hongkonger leben bereits in einer Sozialwohnung. Aber das reicht bei weitem nicht, um den Bedarf zu decken. Das Elend ist weithin sichtbar. Die Suche nach einem bezahlbaren Wohnraum treibt Menschen auch in Wellblechbehausungen auf Dächern von Industriegebäuden mit spärlichen Sicherheitsvorkehrungen. Das ist illegal, gefährlich. Aber wo sollen die Menschen hin?
Kinder leiden besonders: Lai Shan ist selbst in Armut aufgewachsen und weiß, was sie fühlen. Sie haben zu Hause nicht einmal genug Platz, um an einem Tisch Hausaufgaben zu machen. Bei der Hilfsorganisation bekommen sie auch Betreuung von Ehrenamtlichen. Und hier lernen sie, dass sie sich für Armut nicht schämen müssen: "Sie haben keine hohe Meinung von sich selbst und glauben, sie seien weniger wert als andere. Manchmal fühlen sie sich zunächst gar nicht schlecht, aber dann schauen andere Leute auf sie von oben herab. Bei einigen Kindern wissen die Klassenkameraden, wie klein ihre Wohnungen sind und hänseln sie."
Sie fordert von der Stadtregierung mehr solcher Sozialwohnungen und kritisiert, dass zu viel Land an mächtige Immobilienfirmen geht. Sie hat mehrere 1000 Hongkonger wie begleitet, vom Schuhkarton in eine Sozialwohnung, auch wenn es Jahre gedauert hat wie bei Frau Tai. Die Wohnungen sind größer die Mieten sogar billiger als für die Mini-Wohnungen. Für die Bewohner verändert sich das ganze Leben, weniger Sorgen, es bleibt mehr Geld übrig. Lai Shang macht nie Urlaub. Ihre Zeit gehört den Armen: "Ich bin glücklich, wenn ich Menschen helfen kann, ihre individuelle Situation zu verbessern. Sie tun mir sehr leid. Deshalb arbeite ich hart, und am Ende verbessert sich die Situation. Das macht mich glücklich. Menschen helfen ist auch eine Art von Glücklichsein."
In dem gelben schmalen Haus essen die Männer am Abend gemeinsam. Würde sich Lai Shang nicht um sie kümmern, hätten sie nicht einmal warme Kleidung für die kühleren Winternächte. Die Miete für ihre Käfigbetten ist teurer als für eine Sozialwohnung.
Wenn die Hongkonger von der Arbeit nach Hause kommen, geht Herr Leung manchmal zum Fußballplatz. Früher arbeitete er in einer Schlachterei, hatte eine Betriebsunterkunft. Jetzt ist er 70, krank – er hat die Hoffnung aufgeben, irgendwann eine Sozialwohnung zu bekommen, denn die Schlange ist lang: Mit ihm warten in Hongkong fast 300.000 Menschen.
Autor: Mario Schmidt, ARD Peking
Stand: 31.07.2019 16:27 Uhr
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