Mo., 11.09.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Indien: Muss die Welt bald auf Darjeeling-Tee verzichten?
20 Zentimeter sind die Teebüsche von Jay Neogi, Manager der Monteviot-Teeplantage, in den vergangenen zwei Monaten gewachsen. Das sieht zwar schön aus. Für ihn aber ist es eine Katastrophe. Denn die 120 Jahre alten Büsche verholzen dadurch. Und für den Darjeeling-Tee kann er nur die frischen, grünen Triebe brauchen: „Ich fürchte, das Feld wird einen kompletten Laubzyklus brauchen, um sich zu erholen. Das sind fünf Jahre. Das heißt frühestens nach sechs Jahren werden wir wieder so viel Tee produzieren können wie vor dem Streik.“
Streik der Teepflücker
Seit zwei Monaten liegen sie brach, die Teefelder von Darjeeling an den Hängen des Himalaya in Indien. "Der Champagner unter den Tees", so nennen ihn Kenner. Es ist die Haupterntezeit. Der Monsun-Flush müsste gepflückt werden. Doch Jay Neogi ist ganz alleine auf seiner Plantage. Ein paar Meter den Hang hinunter: Hier leben die Arbeiter der Plantage. Normalerweise sind sie selbst bei diesem Wetter auf dem Feld. Doch sie streiken. Sie leben wie Leibeigene. Das Land und die Häuser gehören zur Plantage. Nur die Frauen pflücken Tee, die Männer arbeiten als Gärtner. Zwei Euro bekommen sie dafür am Tag. Aber darum geht es gar nicht. Sie bleiben aus politischen Gründen zuhause. Die Arbeiter gehören zum Volk der Gorkha, der Bevölkerungsmehrheit in dieser Region. Sie fordern mehr Autonomie innerhalb Indiens.
Teepflückerin Devika Subba: "Wir wollen einen eigenen Bundesstaat. Dann bleibt unsere Sprache erhalten, die Löhne werden steigen. Unsere Kinder werden davon profitieren, weil die Schulen dann von hier aus organisiert werden, wenn wir Gorkhaland haben. Dann gibt es endlich jemanden, der sich um unsere Probleme kümmert."
Diskriminierung der Gorkha
Die Gorkha wurden von den Briten aus Nepal nach Indien geholt zur Arbeit auf den Teeplantagen. Jetzt gehören sie zum Bundesstaat Westbengalen. Teepflücker Sushma Gurung: "Die Westbengalen fragen uns: 'Was wollt ihr eigentlich? Ihr seid doch sowieso Nepalesen und keine Inder.' Aber das ist Unsinn. Wir sind Inder. Es gibt in der Armee ein eigenes Regiment, aufgestellt von uns Gorkha. Wir sind keine Nepalesen mehr. Ich bin ein Junge aus Darjeeling. Aber das erkennen die einfach nicht an."
Es geht um ihre Würde. Und sie kämpfen für die Zukunft ihrer Kinder.
Teepflückerin Shiwam Diwan: "Nein, mein Sohn soll nicht auf der Teeplantage arbeiten. Ich habe mein ganzes Leben dort verbracht. Mein Sohn soll es besser haben."
Monsunzeit in Darjeeling: Eigentlich ist jetzt auch Hauptsaison für Touristen. Normalerweise stehen sie hier Stoßstange an Stoßstange auf der schmalen Ortsdurchfahrt. Doch es ist Generalstreik: Geschäfte, Hotels und Restaurants wurden gezwungen zu schließen.
Jay Neogi geht mit seinem Assistenten zum Plantagenbüro. Hinein dürfen sie nicht. Die Rebellen haben gedroht, ansonsten die Gebäude abzufackeln. Sie dürfen keinen Tee mehr wegbringen von der Farm. Die Verluste sind enorm, wie Neogi schätzt: "Es ist sehr schwer, das exakt zu beziffern. Ich habe in den Nachrichten gehörten, die Verluste betrügen 50 Millionen Euro für die gesamte Region. Ich glaube, in Wirklichkeit ist es viel mehr, denn man muss ja auch die Verluste mitzählen, von denen, die indirekt betroffen sind, wie Händler, Handwerker und so."
Demonstrationen in Darjeeling
Jeden Morgen um elf ist Demozeit in Darjeeling. Aber die Gorkha stehen buchstäblich im Regen mit ihrer Forderung. Mit dem Streik schaden sie vor allem sich selbst. Die westbengalische Regierung sitzt den Konflikt einfach aus. Und der Rest Indiens interessiert sich kaum für das befremdliche Bergvolk. Streikanführer Amar Singh Rai begründet es so: "Unsere Leute werden vom Rest Indiens nur als Diener akzeptiert, bestenfalls noch als Nanny, die auf andere Diener aufpassen darf. Das ist die Einstellung uns gegenüber."
Deshalb wird der Ton auf den Demos immer aggressiver. Einige sind in den Untergrund gegangen. Regierungsfahrzeuge wurden angegriffen. Es gab Bombenanschläge. Amar Singh Rai lehnt Gewalt allerdings ab: "Ich bin selbst über den Extremismus erschrocken. Wir wollen nicht, dass es dahingeht. Wir sind ein friedliebendes Volk und wollen nur in Ruhe gelassen werden hier in den Bergen. Wir wollen nicht, dass unsere Leute leiden müssen oder umgebracht werden. Aber wenn es keine Fortschritte gibt, wird es noch gewalttätiger werden."
Tee und Tourismus
Es ist ein majestätisches Schauspiel, wenn die Sonne durch die Wolken bricht in Darjeeling. Die 8000er des Himalaya sind dann zum Greifen nah. Für dieses Naturwunder kommen die Touristen normalerweise. Sie und der berühmte Tee machen die Region wohlhabend. Deshalb will die Provinzregierung sie nicht aufgeben.
Jay Neogi ist zum Nichtstun verdonnert. Die Teehändler aus Europa melden sich bei ihm: Ihnen geht der Nachschub aus. Aber Jay Neogi kann nur raten: Abwarten und naja. Der Streik wird schon zu Ende gehen: "Wir können hart arbeiten. Und unsere Firma hat das Know-How, wie man guten Tee macht. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass es bald wieder den Darjeeling-Tee geben wird, den Sie in Europa erwarten."
Der Tee, den er trinkt, ist übrigens mindere Qualität. Die guten Sorten gehen ausschließlich in den Export. Aber Jay Neogi hat ja noch die Aussicht. Nur kann er sich über die gerade nicht so recht freuen.
Autor: Peter Gerhardt, ARD Neu Delhi
Stand: 20.07.2019 18:17 Uhr
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