Mo., 21.01.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Indien: Religion im Wahlkampf
Sie sind traditionell die ersten, die ans Wasser dürfen. Sadhus, heilige Männer. Aus allen Teilen Indiens sind die aschebedeckten, nackten Einsiedler gekommen zur Kumbh Mela. Dem heiligen Fest der Hindus.
Eintauchen in den Ganges, zehn Grad Wassertemperatur, in einen der dreckigsten Flüsse der Welt. Aber das stört keinen der Gläubigen. In diesen Tagen wird einer Hindu-Legende nach der göttliche Nektar, der vor tausenden von Jahren genau hier auf die Erde tropfte, zu neuer Energie erweckt. Ein Bad darin spendet Seelenheil und Unsterblichkeit. Viele Sadhus werden verehrt. Indien ist ein tiefreligiöses Land: 80 Prozent der Bevölkerung sind Hindus. Die Grenzen zwischen Glauben und Spektakel sind oft fließend. Sadhu Saavan Bharti erklärt: "Natürlich: in gewisser Weise sieht das alles bizarr aus. Das unterscheidet uns Inder eben vom Rest der Welt. Menschen von außerhalb finden uns vielleicht verrückt. Aber wir zeigen nur, dass wir Lord Shiva lieben und ihn anbeten."
100 Millionen Gläubige
Genau deshalb kommen auch ganz normale Gläubige zur Kumbh Mela. 100 Millionen Menschen werden in den kommenden sieben Wochen erwartet – das größte Religionsfest der Welt. Davon will auch die Regierung profitieren. Es ist Wahlkampf in Indien. Alle hundert Meter grüßt überlebensgroß Premierminister Narendra Modi. Anhänger seiner hindu-nationalistischen Partei BJP betreiben Wahlkampf. Ein Funktionär agitiert für den umstrittenen Bau eines Großtempels. Ambarish Singh, Welt Hindu Rat, VHP: "Seit Jahrzehnten kämpfen wir für diesen Tempel und keine andere Partei unterstützt dieses Projekt so wie die BJP. Natürlich profitiert dann umgekehrt die Partei davon."
100 Kilometer weiter: Hier soll der Tempel entstehen – Ayodhya, die Stadt, in der einer Legende nach Gottkönig Ram geboren wurde. Bis 1992 stand an seinem vermuteten Geburtsort eine Moschee aus dem 16. Jahrhundert. Hindu-Fundamentalisten hetzten gegen das muslimische Gotteshaus, auch die heutige Regierungspartei BJP wiegelte die Massen auf. Im Dezember 1992 stürmte ein Mob die Moschee und riss sie nieder. In ganz Indien gab es Aufstände, mehr als 1000 Menschen starben. Auf der Brache der ehemaligen Moschee sollte ein Tempel errichtet werden. Das unterbinden die Sicherheitsbehörden bis heute.
Der vermeintliche Geburtsort Rams 500 Meter weiter heute gleicht einem Hochsicherheitsareal, Kameras sind dort streng verboten. Santosh Dube war 1992 einer der Rädelsführer; er saß mehrfach im Gefängnis. Weiter als an diese Schranke dürfen wir mit ihm nicht gehen: "Damals sind wir hier die Straße runter bis zur Moschee und haben sie eingerissen. Sie war ein Symbol der Unterdrückung der Hindus durch die Muslime. Ich bin stolz, dass ich das getan habe."
Am Stadtrand von Ayodhya haben die Hindu-Extremisten schon alles bereitgelegt für den Tempelbau. Santosh Dube führt Besuchergruppen herum, zeigt wie der Ram-Tempel einmal aussehen soll und sammelt Spenden ein. Doch ausgerechnet die hindu-nationalistische Regierung der BJP hat das Vorhaben in den letzten Jahren nur noch halbherzig unterstützt. Der Streit, ob das geplante Tempelgelände den Muslimen oder den Hindus zusteht, liegt mittlerweile beim Obersten Gerichtshof. Das erzürnt die Extremisten.
Streit um den Tempelbau
Santosh Dube: "Die Typen, die sich 2014 im Namen des Ram-Tempel haben wählen lassen, sind nicht mehr ernsthaft bei der Sache. Die sollen sich mal daran erinnern, dass wir Hindus die BJP gewählt haben und nicht der Oberste Gerichtshof."
Die hindu-nationalistische Regierungspartei um Premierminister Modi ist alarmiert. Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr wird ein knappes Ergebnis erwartet. Da kommt es ungelegen, wenn ausgerechnet die Hardliner aufbegehren. Beim Wahlparteitag der BJP diese Woche gelobte Parteipräsident Amit Shah Besserung: "Wir haben vor der Wahl 2014 versprochen, dass wir den Ram-Tempel bauen, und zwar genau an diesem Platz. Die BJP wird sicherstellen, dass es auch so kommt. Darüber sollte sich keiner Illusionen machen."
Er macht sich keine Illusionen: Der Muslim Haji Mehboob wohnte neben der Moschee in Ayodhya. Seine Familie wurde von dort vertrieben, lebt jetzt in einem Vorort. Er hat den Gerichtsprozess angestrengt, will, dass das Gelände den Muslimen zurückgegeben wird. Seitdem steht er unter Polizeischutz: "Wir Muslime müssen es ausbaden, wenn die Hindus so aufgestachelt werden. Das wird Indien spalten. Ich bitte die BJP-Führer inständig, den Streit um die Moschee friedlich zu lösen. Das wäre im Interesse der gesamten Nation."
Doch Männer wie Santosh Dube sind gar nicht an einer friedlichen Lösung interessiert. Stolz zeigt er Andenken an die Zeit, als sie die Moschee zerstörten. Damals hätten sie die Muslime in die Schranken gewiesen. Die Regierung solle Indien jetzt endlich offiziell zum Hindu-Staat erklären, fordert er: "Die Muslime sollen sich unseren Gefühlen unterordnen. Sonst werden sie die Behandlung bekommen, die sie verdienen."
Die BJP-Regierung zeigt sich vor der Wahl gerne als Bewahrerin des Hinduismus, auch bei der Kumbh Mela. Bis vor wenigen Wochen hieß die Millionenstadt, in der das Mega-Event stattfindet, noch Allahabad – ein muslimischer Name. Jetzt wurde sie umbenannt in Prayagraj: "Ort der Anbetung", hinduistischer Götter natürlich.
Autor: Peter Gerhardt, ARD Neu Delhi
Stand: 12.09.2019 22:51 Uhr
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