Mo., 03.07.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kanada: 150 Jahre Sympathie?
"Mach Dir deine Flagge selber!" Die Familie Watzlawik-Li bereitet sich auf die große Geburtstagsparty vor: Justin verpasst seinem Vater Bo Stephan ein Schnelltattoo: Rot und Weiß, darin das Ahornblatt. Bo Stephan ist Investmentbanker, vor 20 Jahren aus China eingewandert. Dann ist Mutter Petra dran, Professorin für Sprachwissenschaften in Ottawa. Ihre Großeltern kamen vor 80 Jahren aus Deutschland – eine typische, eine dankbare kanadische Familie.
Vater Bo Stephan Li: "Kanada hat mit so viel ermöglicht: Hier habe ich meine Familie gründen können. Hier konnte ich Karriere machen. Hier bin ich jetzt zuhause."
Vielfalt der Kulturen
Mit dem Bus geht es aus der Vorstadt ins Zentrum: Die meisten hier in Ottawa sind nicht in Kanada geboren, sondern sind wie Vater Bo ausgewandert und eingebürgert worden. Kanada hat die Vielfalt der Kulturen in seiner Verfassung verankert, buhlt so um die besten Köpfe. Sohn Justin ist mit seinen 22 bestens als Softwareingenieur ausgebildet und verdient gutes Geld.
Erinnerungsfoto auf den großen Platz vor dem Parlament in Ottawa. Prinz Charles, der britische Thronfolger und seine Frau Camilla sind Ehrengäste: vor 150 Jahren hatte die britische Krone die fernen Provinzen in die Unabhängigkeit entlassen. Der junge Premierminister Trudeau mag das Land führen, aber die Queen von England ist immer noch offizielles Staatoberhaupt aller Kanadier. Prinz Charles spricht: "Überall in der Welt wird Kanada bewundert als ein Land, das die Menschenrechte verteidigt, sich überall in der Welt für den Frieden engagiert. Und es ist ein Land, das die Versöhnung sucht, die Versöhnung mit seinen Ureinwohnern, den First Nations."
Ureinwohner am Rand der Gesellschaft
Am Rande der Festbühne ist ein Teppee aufgebaut. Vielen der Ureinwohner ist nicht nach Feiern zumute. Jahrhundertelang unterdrückt, ihres Landes, ihrer Kultur, ihrer Sprache beraubt, kämpfen sie um ihre Rechte. Eine Selbstmordwelle erschüttert ihre Gemeinden. Brandon Misko von der Cree Nation demonstriert gegen die Feiern: "Wir blicken auf 150 Jahre Ausrottung, Ausgrenzung und Assimilierung zurück. Deshalb protestieren wir hier."
Er will die Aussöhnung versuchen: Justin Trudeau nützt diesen Tag, um sich einmal mehr von der "America First!"-Rhetorik im Nachbarland USA abzusetzen: "Was uns in Kanada stark macht, ist die Vielfalt. Weil wir so verschieden sind, sind wir erfolgreich. Uns ist es egal, wo einer herkommt, welche Religion er hat, wen er liebt. Alle sind uns willkommen in Kanada."
Versöhnung und Gemeinschaft als Programm
Sohn Justin Li ist zufrieden: "Trudeau spricht uns aus dem Herzen, er versteht die Leute und er geht auf die Leute zu. Er lebt die Werte, von denen er spricht." Mutter Petra Watzlawik Li schließt sich an: "Wir sind so verschieden! Ich bin so froh, dass ich hier meine Familie umarmen kann, und keiner redet mir rein.."
Justin Trudeau hat sich einen Wunsch erfüllt und seinen Lieblingssänger eingeladen: Bono von U2: "Wo sie auch herkommen, ob sie grade als Flüchtling aus Syrien in Kanada aufgenommen wurden oder als First Nation schon tausende von Jahren hier siedeln, Kanada ist ihre Heimat und wir sind dankbare Gäste: Wenn andere Mauern bauen wollen, öffnen Sie die Türen. Wenn andere spalten, öffnen Sie die Arme. Führen Sie, damit andere ihnen folgen!"
Traumland Kanada: Der Anspruch ist hoch und er ist noch lange nicht eingelöst. Aber der Versuch, es besser zu machen, eint das Land.
Autor: Markus Schmidt, ARD New York
Stand: 16.07.2019 04:33 Uhr
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