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Das Erste
Soissons: Wie ticken die Franzosen?
Emmanuel Macron oder Marine Le Pen? Die Zettel sind gerichtet, denn im Wahlbüro von Soissons hat alles seine Ordnung. Punkt acht Uhr, der erste Wähler ist der 82-jährige Robert Reiner. Stimmzettel nehmen, in der Kabine entscheiden, und ab in die Urne.
Wahl zwischen Le Pen und Macron stellt viele vor ein Dilemma
Wählen ist für ihn Bürgerpflicht. "Was haben Sie gewählt?" "Warten Sie, ich sag’s Ihnen ins Ohr. Le Pen! Nein, ein Witz! Macron. Es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Aber was sollen wir schon mit Le Pen anfangen", fragt Robert Reiner.
Soissons, anderthalb Stunden von Paris entfernt. Früher gab es hier viel Industrie. Jetzt sind mehr als zehn Prozent der Einwohner arbeitslos. Junge ziehen weg. Dafür ist dieses kleine Flüsschen mitten in Soissons fast ein Symbol. Es heißt: La Crise – die Krise. Gottesdienst heute Vormittag in der Kathedrale. Treue Katholiken wählen oft eher konservativ – doch die Wahl zwischen Le Pen und Macron stellt viele vor ein Dilemma.
"Ich wähle Macron" "Ich werde eine ungültige Stimme abgeben" "Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Keiner der Kandidaten gefällt mir." "Aus Überzeugung wähle ich eher konservativ, aber jetzt ist es kompliziert. Ich habe mich noch nicht entschieden", so einige Wähler.
Deindustrialisierung in Soisson
Wer für Le Pen stimmt, redet darüber oft nicht. Le Pens Erfolg im ersten Wahlgang liegt auch an Orten wie diesem. Die Unternehmerin Brigitte Macherez zeigt uns das Gelände eines früheren Kunden. Ein Zulieferer der Atomindustrie, für die ihre Holzfirma Transportboxen hergestellt hat. "Das hier ist eines der Symbole der Deindustrialisierung in Soisson. Das Unternehmen ist seit 20 Jahren zu."
Die Deindustrialisierung brachte auch ihrer Holzfirma zehn schwierige Jahre – bis sie sich berappelt hat und jetzt Holz an Privatkunden verkauft. Nicht bei allen klappt das so gut. "Für die Jugend ist es schwierig, denn es gibt keine gute Arbeit mehr, sondern fast nur noch Dienstleistungsjobs. Deshalb suchen sie sich was Neues in anderen Städten", erzählt Brigitte Macherez.
Demonstration gegen Le Pen
Perspektivlosigkeit, die sie in Wählerstimmen umwandeln konnte. Le Pen bekam hier im ersten Wahlgang 28 Prozent der Stimmen, Macron 20. Wegen des Le Pen-Erfolgs hat der konservative Bürgermeister Alain Crémont vor dem zweiten Wahlgang eine kleine Demonstration gegen Le Pen organisiert.
Er hofft nun, dass es etwas gebracht hat. "Ich erwarte, dass Marine Le Pen auf lokaler Ebene viel weniger Stimmen erreicht als im ersten Wahlgang. Und ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mir als neuen Präsidenten Emmanuel Macron wünsche."
Ob auch seine Bürger mehrheitlich für Macron gestimmt haben? Die Auszählung wird es ihm zeigen.
Autor: Demian von Osten
Stand: 14.07.2019 13:40 Uhr
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