Mo., 08.08.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Südafrika – Der Heilerjunge
Sie warten – und dann sind sie da. Die Seelen der Ahnen. Die, die sie hier beschwören sind noch Schüler – sie wollen einmal Sangomas werden – also traditionelle südafrikanische Heiler. Der einzige Weiße hier: Kyle Todd. Und der ist gerade mal elf Jahre alt. Seine Ferien verbringt der Junge in der Sangoma-Akademie – in einem Township bei Pretoria. Er sei einer der begabtesten Schüler, heißt es. Selbst bei den Nachbarn hat sich das herumgesprochen. Samkelo Mdleleni will sich die Zukunft vorhersagen lassen. Kyle wird sie aus den Knochen lesen. Tatsächlich sind es nicht nur Knochen, sondern auch Dominosteine, Muscheln und andere kleine Gegenstände.
Lebensberatung statt bloße Wahrsagerei
"Da gibt es eine Frau, die Dir Probleme macht", sieht Kyle. Was er hier tut ist eher Lebensberatung als bloße Wahrsagerei. "Es gibt viele Probleme in seiner Familie und in dem Haus, in dem er lebt. Also muss er jetzt eine Ziege und eine Kuh schlachten damit die Probleme aufhören. Und er muss an den Fluss gehen und mit seinen Vorfahren sprechen, um alles in Ordnung zu bringen", fügt Kyle hinzu.
Afrikanische Tradition geht in die nächste Generation und die ist elf Jahre alt und weiß. "Damit habe ich überhaupt kein Problem. Dass Weiße jetzt auch Sangomas werden, zeigt doch nur, dass diese Kultur Sinn macht. Und ich – ich bin sehr glücklich und dankbar, dass er mir hilft", erzählt Samkelo Mdleleni.
Kyle Todd ist nicht der einzige weiße Sangoma in Südafrika – aber, dass er erst elf ist und Erwachsene berät – das ist schon außergewöhnlich. "Viele Dinge aus der Erwachsenenwelt erlebe ich natürlich nur in Gedanken. Aber das ist so als wenn sie mir wirklich passieren. Autofahren würde ich zum Beispiel auch mal gern." Aber das darf er in seinem Alter natürlich noch nicht – seine Freizeit verbringt er mit seinen Geschwistern – so sieht Kyles Leben aus – das eines ganz normalen weißen südafrikanischen Jungen. Sein Vater arbeitet als Techniker im Bergbau – die ganze Familie gläubige Christen.
"All that food we are glad to receive"
Christentum und afrikanischer Heilglaube – für die Todds kein Widerspruch. Sie unterstützen Kyles Wunsch ein traditioneller Heiler zu werden. "Er hat mir schon als kleiner Junge immer wieder Dinge prophezeit. Deshalb wussten wir, dass die Sangoma-Schule das Richtige für ihn ist. Zum Beispiel hat er mir gesagt, dass ich noch ein Kind zur Welt bringen werde. Dabei wollte ich gar keins mehr. Aber dann stellte sich heraus, dass ich tatsächlich mit seiner Schwester schwanger war", so seine Mutter Chantal Todd.
Kyles Urgroßvater spielte eine große Rolle bei seiner Entscheidung Sangoma zu werden. Denn zum Heiler muss man durch seine Vorfahren berufen werden. Auch bei Kyle war das so – sein Urgroßvater erschien ihm im Traum. "Ich ging durch einen Gang in diesem Traum. Und dann war da zuerst der Teufel. Ich versuchte wegzurennen oder ihn zu bekämpfen – aber er lachte nur. Dann erschien mir mein Urgroßvater und sagte: Du musst zu Deinen Eltern gehen und ihnen und allen anderen von Deinen Alpträumen erzählen."
Dann war es Kyles Vater, der die Familie schließlich mit der schwarzafrikanischen Kultur in Verbindung brachte. Er hatte unerklärliche Schmerzen im Rücken, den Beinen und in der Lunge – und kein Arzt konnte ihm helfen. "Die Frau unseres Pastors brachte meine Frau Chantal und mich schließlich zu einem traditionellen Heiler namens Baba Solly. Während die Schulmediziner keinen Rat wussten hat mich dieser Sangoma an nur einem Tag geheilt. Baba Solly und ich sind dann Freunde geworden. Und als Kyle ihm seine Träume erzählte, sagte er: das sind genau die Träume, die man hat, wenn man ein Sangoma werden muss", erzählt Michael Todd.
Der traditionelle Tanz der Sangoma
Seitdem ist er Kyles Mentor: Baba Solly, der Leiter der Sangoma-Akademie. Heute ist ein großer Tag für Kyle – er ist angespannt, denn heute soll er zeigen, dass er auch den traditionellen Tanz der Sangomas beherrscht. "Ich wusste sofort, dass er all das kann. Vieles musste ich ihm gar nicht beibringen. Zum Beispiel die Knochen zu lesen. Als er zu mir kam war gerade ein Patient da. Und ich sagte Kyle: Lies Du die Knochen. Er hat es einfach so getan und es genau richtig gemacht. Er ist der begabteste Schüler, den ich je hatte."
Plötzlich geschieht etwas Unerwartetes: Kyle wehrt sich, will sich nicht für den Tanz einkleiden lassen. Schließlich führt man ihn weg – humpelnd. Später erklärt uns Kyle, der Geist seines Urgroßvaters sei in ihn gefahren – und der habe als alter Mann sein Bein nachgezogen. Das passiere Kyle immer wieder, sagen uns die Leute hier. Weshalb er sich als Sangoma auch nicht Kyle Todd nennt, sondern Frank Marshall – nach dem Namen seines Urgroßvaters. Es dauert eine halbe Stunde – dann hat sich Kyle wieder gefangen. Und nun zeigt er was er gelernt hat.
"Ich kann nicht viel sagen. Aber eines steht fest: seine Vorfahren lieben ihn – und ich ihn auch!", so eine Zuschauerin. Kyles Sangoma-Karriere scheint vorgezeichnet – doch ob er hauptberuflich Heiler werden möchte – da ist sich Kyle nicht sicher. Autohändler sei auch nicht schlecht, sagt er – und bringe vielleicht mehr Geld ein.
Autor: Thomas Denzel/ARD Studio Johannesburg
Stand: 12.07.2019 11:34 Uhr
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