So., 11.06.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Indien: Kampf gegen die Holzmafia
Für viele in ihrem Heimatdorf Muturkahm gilt Jamuna Tudu als Heldin – und deshalb nennen sie die 43-Jährige Lady Tarzan, die Frau, die den Wald rettet. Als die Holzmafia illegal immer mehr Bäume fällt, beschließt sie vor 20 Jahren, den Wald zu retten. Mit anderen Frauen aus ihrem Dorf gründet sie die Tarzan Army – bewaffnet mit Pfeil, Bogen und Macheten patrouillieren sie seitdem durch die Wälder – bis heute. "Wir gehen zweimal am Tag in den Wald um nach dem Rechten zu schauen. Meistens kommen wir einmal am Morgen gegen 9 Uhr und dann nochmal am Nachmittag so um 16 Uhr. Das ist wichtig. Wir müssen die Bäume beschützen und hoffen, dass die Holzmafia nicht kommt und sie uns stiehlt", sagt Jamuna Tudu.
Naturschutz als Gemeinschaftsaufgabe für alle – auch die Jüngeren. Ein wichtiges Anliegen für Jamuna Tudu. Deswegen freut sie sich, dass auch ihre Nichte Renuka seit Kurzem zur Tarzan Army gehört. "Wir schützen den Wald hier von Kindesbeinen an. Ich habe kein Interesse daran, feiern zu gehen. Ich liebe den Wald. Würde es ihn nicht geben, wie sollten wir hier dann überleben?", sagt Renuka Tudu.
Immer mehr Frauen haben sich Tarzan Army angeschlossen
Der Kampf für die Wälder hat in den vergangenen 20 Jahre Spuren hinterlassen, immer wieder wurde Jamuna Tudu von der Holzmafia angegriffen – einmal wäre sie dabei fast ums Leben gekommen. "Ich habe diese Narbe seit etwa zehn Jahren. Damals wollte die Mafia Holz stehlen und am Bahnhof verladen. Als wir sie stoppen wollten, fingen sie an uns zu schlagen und Steine auf uns zu werfen. Mein Mann und ich bluteten stark und so ließen sie uns am Gleis liegen."
Auch wenn die Holzmafia nur noch selten zuschlägt, ganz verhindern lässt sich der Holzraub nicht. Jamuna und ihre Mitstreiterinnen kommen an einer Stelle zu spät – die Bäume wurden erst vor kurzem gefällt und bei 44 Grad macht sich der fehlende Schatten der Bäume direkt bemerkbar. “Sobald die Bäumen gefällt wurden, trocknet die Erden aus und wird unbrauchbar. Wir sehen, dass die Erde durch die Sonneneinstrahlung komplett vertrocknet ist", erklärt Jamuna Tudu.
Immer mehr Frauen haben sich in den vergangenen Jahren der Tarzan Army angeschlossen. Mittlerweile arbeitet sie eng mit der Naturschutzbehörde zusammen. Deren Leiter Tapash Kumar Rai denkt mit Grauen daran, wie die Situation Ende der 1990er-Jahre war: "Es ist Jamuna Tudus Einsatz zu verdanken, dass Sie hier in der Region wieder Wälder sehen können. Sie hätten mal sehen sollen, wie es hier früher aussah. Wir haben es nicht geschafft die Menschen für den Naturschutz zu sensibilisieren, es war sie, die das hinbekommen hat.
Kampf gegen Holzmafia und Wiederaufforstung
Jedes Jahr pflanzen sie und ihre Mitstreiterinnen mehr als 15.000 junge Bäume. Doch immer längere Trockenzeiten machen es insbesondere für die kleineren Bäume schwer zu überleben. Die Folgen des Klimawandels spüren sie auch im Osten Indiens. "Vor 20 Jahren, gab es hier in der Monsun-Zeit noch langanhaltende Regenfälle. Doch heute spüren wir die Folgen der Rodungen in den 1980er-Jahren. Es regnet in der Monsun-Zeit kaum noch, im Winter ist es nicht mehr kalt. Die Klimaveränderungen sind spürbar", sagt Jamuna Tudu.
Einmal im Jahr feiern sie im Wald eine ganz besondere Zeremonie – beim Raki-Schwur treffen sich die Frauen aus den Dörfern der Umgebung und binden den sogenannten Raki um die Bäume. Eine Jahrhunderte alte Tradition, um die Bindung zwischen Mensch und Natur zu stärken. "Wir binden den Raki um den Baum denn für uns ist er wie ein Familienmitglied, dass wir beschützen müssen. Wir versprechen ihm es nicht zuzulassen, dass irgendjemand den Baum beschädigt oder ihn fällt", sagt Jamuna Tudu.
Der Abschluss jedes Raki-Schwurs ist ein traditioneller Tanz. In drei Reihen bilden die Frauen einen symbolischen Schutzwall. Viele Jahre wurde diese Tradition kaum mehr gefeiert, doch seit Jamunas Engagement für den Erhalt der Wälder, kommen jedes Jahr mehr Frauen zusammen. Ein Leben im heißen Osten Indiens wird in Zukunft nur mit ausreichend Wäldern möglich sein, davon konnte Jamuna inzwischen über 500 Dörfer und mehr als 10.000 Menschen überzeugen. Auch nach mehr als 20 Jahren unermüdlichen Einsatzes zieht Jamuna Tudu ihre Energie aus der Natur. "Ich bin eine Stammesfrau, für uns ist die Natur heilig – Pflanzen sind für uns wie Götter. Ich glaube Gott hat mir die Kraft gegeben, um den Wald zu beschützen. Die Bäume und Pflanzen geben mir die Energie weiter zu machen."
Lady Tarzan will vor allem die Jüngsten für ihre Arbeit begeistern, denn sie weiß, nur so kann der Naturschutz in ihrer Heimat nachhaltig funktionieren, die Wälder gerettet und der Klimawandel bekämpft werden.
Autor: Jakob Schaumann, ARD-Studio Neu Delhi
Stand: 11.06.2023 19:15 Uhr
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