So., 11.06.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Ukraine: Nach der Sprengung des Staudamms
Die Zahlen sind erschreckend: Mindestens 42.000 Menschen sollen nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms von Überflutungen bedroht sein. Auch wenn bisher keine Todesfälle bekannt sind, müssen viele der Einwohner in der Region um ihr Überleben fürchten.
Warum das das beste Eis ihres Lebens ist und warum es die Geschichte von Mascha, Maksim und etlichen anderen Kindern im Frieden nicht geben würde, kommt jetzt. Eigentlich kommen die beiden Kinder und die Mutter aus Cherson. Sie versteckten sich monatelang vor der russischen Besatzung in ihrem Ferienhaus. Und dann kamen sie einfach nicht mehr zurück nach Cherson, über den Fluss. Denn der ist Frontlinie.
Ein Drohne bringt Rettung
24 Stunden vor dem besten Eis. Maksim drohte mit Mascha und seiner Mutter auf der russisch besetzten Seite vom Fluss zu ertrinken. Sie hatten Hunger und Durst. Dann entdeckte sie eine Drohne. Wenn man genau hinschaut, erkennt man Maksim. Am Fenster. Mitten im Hochwasser. "Wir haben ein Handtuch genommen und haben damit herumgewunken. "Wir sind hier. Die Drohne stoppte und hing dann drei Meter über uns. Sie guckte, guckte und flog wieder weg. 15 Minuten später flog sie wieder ran. Guckte drei Minuten und flog weg. Wir wussten nicht, wer das war, die Russen oder unsere", erinnert sich Maksim.
Bislang waren Drohnen immer eine Gefahr für alle, denn sie zielen auf Menschen. Kinder wissen das genau. Jetzt warf diese Drohne eine Wasserflasche ab. Auf der Flasche war eine Botschaft: "Haltet durch, Evakuierung kommt! Gezeichnet Santa." Santa ist der Deckname eines ukrainischen Soldaten. Der flog die Drohne und normalerweise wirft er damit auch Granaten ab. Jetzt entdeckte er die Drei: "Es ist schwer übers Wasser zu fliegen, wegen der Strömung und dem starken Windes. Die Drohne zu stabilisieren, damit sie das Fenster trifft, ist richtig kompliziert", sagt Santa.
Cherson: Leben in ständiger Angst
"Vor Drohnen hatte ich am meisten Angst. Weil ich dachte, die beschießen uns bestimmt. Und die Russen waren ja nicht weit weg", erinnert sich Maksim. Die Drei wurden gerettet. Jetzt sind sie zurück in ihrem Cherson und schlafen bei Freunden. Es sind nur noch 20 Prozent der Menschen in der Stadt geblieben. Es ist fast gespenstisch. "Sehen Sie", sagt Santa, "in solchen Umständen aufzuwachsen, ist sehr schwer." Er bricht ab. Santa ist selber in Cherson aufwachsen. Ein paar 100 Meter vom Fluss entfernt, treffen wir Mikhail, Artur und Kirill. Der Fluss ist die Front. Was machen sie, wenn sie Explosionen hört? "Wir werfen uns auf den Boden und halten uns die Ohren zu. Kürzlich flog es in das Gebäude da. Wir lagen auf dem Boden", sagt Mikhajil.
Mikhajil ist 11, die anderen beiden 12. Und dann fängt Michail an uns zu erzählen, wie Kinder in Cherson leben. Wir hören einfach nur zu. Seine beiden Freunde auch. Mikhajil sagt: "Es ist komisch hier zu leben. Wenn es nachts ruhig ist, dann hast du Angst einzuschlafen. Weil du nicht weißt, ob du überhaupt wieder aufwachst. Du hast Angst auf einen Stein zu treten, weil du ja nicht weißt, was drunter ist – vielleicht eine Mine, ein Granatsplitter oder so. Es gibt viele auf dem Spielplatz. Du weißt nie, wann etwas ankommt und hast keine Zeit, dich auf den Boden zu werfen. Du sitzt auf der Schaukel, wenn sie schießen, hast du keine Zeit von der Schaukel zu springen. So leben wir die ganze Zeit. In Angst. Wir fragen, ob sich die Erwachsenen verändert haben? Mikhajil antwortet: "Ja, sehr. Die Leute sind, wie soll man sagen, besser zu Kindern, weil sie wissen, was wir gerade durchmachen."
Krieg, Katastrophen und mitten drinnen Mikhail und seine Freunde. Und auch mittendrinnen im leeren Cherson Maksim und Mascha. Eins noch: Als die Familie von Maksim auf der Insel bei den Russen festhingen, versprach die Mutter immer: "Wenn wir endlich wieder in Cherson sind, kaufe ich Euch ein Eis. Gleich am ersten Tag. Sie sind zurück. Es ist der erste Tag. Da ist ihr Eis.
Autorin: Isabel Schayani, ARD-Studio Kiew
Stand: 11.06.2023 19:13 Uhr
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