Mo., 26.11.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kasachstan: An der Neuen Seidenstraße
Unser Weg führt uns quer durch den riesigen Steppenstaat Kasachstan an die chinesisch- kasachische Grenze. Hier soll die Neue Seidenstraße beginnen, Asien mit Europa verbinden – eine "Straße des Wohlstands".
Davon können die Menschen hier im Süden nur träumen. Schon einmal bestimmte die Seidenstraße den Welthandel: Damals gelangten Porzellan und Seide mit Karawanen auf staubigen Wegen nach Europa. Heute transportieren Containerzüge chinesische Waren quer durch die Steppe Kasachstans. Am Horizont: Chinas mächtige Wolkenkratzer.
Khorgos – hier werden die Container von der chinesischen Schmalspurbahn auf die kasachische Eisenbahn umgeladen. Kranführer Satybaldiyev ist stolz auf seinen Hi-Tech-Kran, ein Top-Job in der Region: "Als ich 2015 hierher kam, war hier nichts, keine Maschinen. Dann wurden diese riesigen Kräne installiert. Mittlerweile entladen wir täglich fünf, sechs Züge, anfangs gerade mal einen. Wir brauchen die Chinesen. Alles kommt von ihnen, die Maschinen und die Waren."
Von hier brauchen die Container gerade mal zehn Tage bis nach Duisburg, schwärmt er, per Schiff 40 oder gar 60 Tage. Die Neue Seidenstraße soll durch 67 Länder führen. Kasachstan ist ein Schlüsselland. Wir wollen wissen, wie die Menschen dazu stehen.
Jarkent
Jarkent: früher blühende Oase auf der Seidenstrasse. Karawanen kehrten hier ein. Heute ist von diesem Reichtum nichts mehr übrig. Der Markt zieht Menschen aus der ganzen Region an, weil man hier günstig einkaufen kann: Billigprodukte aus China. Nagima Bektorganowa ist Schneiderin. Ihr Geschäft boomt, denn die Billigklamotten aus China halten nicht, meint sie. Gut für's Geschäft, aber gegen die Ramschpreise kommt sie mit ihren Entwürfen nicht an: "Ich möchte Designerin werden. Ich habe gerade genug zum Leben. Aber ich würde gerne mein Atelier vergrössern und eine Heizung haben. Aber dafür brauche ich Geld. Der Laden soll super aussehen. Früher hatten wir hier viel Fabriken. Alle hatten Arbeit. Jetzt haben die Menschen kein Geld, große Familien. Also kaufen sie die billigen chinesischen Waren."
Mittlerweile seien 80 Prozent der Waren auf dem Markt aus China. Das will sie mir zeigen. Fast nichts mehr stamme aus Kasachstan oder Russland, so wie früher. Auch die Reissverschlüsse: Alle aus China.
Der Einfluss der Chinesen war hier im Grenzgebiet des mehrheitlich muslimischen Kasachstans schon immer gross. Selbst die Moschee in Jarkent sieht aus wie eine Pagode.
Wir fahren weiter entlang der Neuen Seidenstrasse. Überall Erinnerungen an das Goldene Zeitalter der Karawanen.
Kamelzucht
Damals ermöglichten Kamele den Handel von China bis nach Europa. Heute gibt es hier nicht mehr viele. Das will der 31-jährige Aitkabil ändern. Er will den Mythos nutzen. Kamelmilch kann fast alle Krankheiten heilen, meint er: "Wenn wir die Möglichkeit bekommen, unsere Waren, unsere Kamelmilch und die Wolle nach Europa, Asien und China zu exportieren, dann ist die neue Seidenstraße eine Riesenchance."
Sein Onkel ist skeptischer: "Im Augenblick kommen chinesische Waren zwar zu uns, aber unsere nicht nach China. Der Handel müsste auf Augenhöhe sein. Wenn wir die Möglichkeit bekommen unser Geschäft zu expandieren, dann wird es gut. Das wird aber erst die Zukunft zeigen."
Früher haben sie, wie viele Kasachen, in China gearbeitet. Doch als Moslem haben sie sich dort nicht wohl gefühlt. Ein Teil der Familie ist immer noch dort. Der Onkel macht sich Sorgen: "Es ist bekannt, die Chinesen üben Druck aus auf Andersgläubige und foltern sogar. Unsere Verwandten sind immer noch da. Wir haben große Angst um sie. Im Augenblick können wir ihnen keine Nachrichten senden, alles gesperrt."
Vor fünf Jahren haben sie mit zwei Kamelen angefangen. Jetzt haben sie mehr als 40 Tiere. Wenn die kleine Herde weiter wächst, können sie vielleicht eines Tages die ganze Familie zu sich holen. Aitkabil ist optimistisch: "Es wäre toll, wenn entlang der Route wieder Neues entstehen würde: Basare, Cafes, Restaurants, Werkstätten und Ferienanlagen für Touristen."
Die Seidenstraße – schon einmal wurden auf ihr wertvolle Waren, aber auch Religionen und Ideologien verbreitet. Die meisten Kasachen sehen in ihr zwar eine Chance, wollen aber nicht von China und chinesischen Waren überrollt werden.
Autorin: Birgit Virnich, ARD Moskau
Stand: 30.08.2019 02:38 Uhr
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