Mo., 29.10.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Frankreich: Meerblick auf Sand gebaut
Auf Sand gebaut: "Le Signal", die einst stolze Wohnanlage von Soulac sur Mer an der französischen Atlantikküste – eine Ruine: verlassen, verwahrlost.
1965 gebaut war das Meer noch 200 Meter entfernt; heute sind es noch zehn. Das ganze Haus droht ins Meer zu kippen, denn der Atlantik frisst sich Jahr für Jahr tiefer in die Küste hinein.
Jaqueline Gandoin hat ihre gesamten Ersparnisse für ihren Traum investiert: Eine Wohnung am Meer. Die 86-Jährige hatte lange gezögert, ob sie es wagen soll, so dicht am Wasser, und holte sich Rat: "Ich bin zum Bürgermeister von Soulac gegangen. Ich kannte ihn sehr gut. Er sagte mir: 'Aber nein, Madame Gandoin! Kaufen Sie ohne jegliche Sorge.' Ich habe ihm geglaubt. Dabei war ich damals nicht mehr ganz jung. Ich hätte es nicht glauben sollen. Nun ja, ich habe immer ein bisschen mit Illusionen gelebt. Das hat mich ganz schön reingerissen. Nun ja, so ist es eben. Das ist alles."
Ein verlorenes Zuhause
156.000 Euro hat sie verloren. Jetzt kämpft sie um eine Entschädigung. Die Hälfte haben sie ihr angeboten – mehr nicht.
Im Rathaus von Soulac ist der Bürgermeister nicht zu sprechen. Er gibt keine Interviews. Wir treffen Frederic Boudeau: Er ist Gemeindedirektor und zuständig für die Erosionsfragen. Er kennt den Fall von Jaqueline Gandoin und die Sorgen der Menschen hier: "Die höchsten Gerichte des Landes haben entschieden. Ergebnis: Die Erosion an der Sandküste gehört nach französischem Recht nicht zu den Fällen, die zu Entschädigungen berechtigen. Die Betroffenen fallen daher unter ein Gesetz aus dem Jahre 1807. Dieses Gesetz sieht vor, dass es den Eigentümern obliegt, sich selbst gegen die Erosion der Küste zu schützen. Voilà!"
Am Strand wird unterdessen Sand hin- und hergefahren: 45.000 Kubikmeter – mit zwei LKW und einem Bagger. Verlorengegangener Strand soll so wiederaufgebaut werden, scheinbar eine Sysiphos-Arbeit. Immerhin: 80 Meter Strand hat Soulac schon zurückgewonnen. Fragt sich nur: wie lange?
70 Kilometer weiter südlich, in Lacanau, sind die Surfer sogar noch Ende Oktober im Wasser. Morgens um Zehn öffnet Sophie Serval ihren Laden auf der Promenade. Seit 30 Jahren hat sie das Geschäft. Es liegt in der sogenannten roten Zone: Das heißt: Wenn der Ozean näher kommt, geht hier alles unter. Sophie will sich damit nicht abfinden. Sie ist die Präsidentin des Einzelhandels und kämpft für den Schutz der Küste. Umsiedlungsprogramme, wie einige Politiker vorgeschlagen haben, das kommt für sie nicht in Frage: "Man kann nicht einfach Menschen rausschmeißen, wenn sie nicht gehen wollen. Also, das ist juristisch nicht möglich, man müsste das Gesetz ändern. Dann ist das technisch unmöglich, diese Stadt hier einfach abzubauen, vom Meer bis zur Straße dahinten, vom Süden bis in den Norden, das sind 400.000 Eigentümer, Geschäfte, Häuser, Wohnungen. Das alles abzubauen – unmöglich."
In Lacanau hoffen sie auf ein kleines Wunder: Einen gigantischen Schutzwall gegen die Gewalt des Meeres. Hunderte Millionen würde das verschlingen. Doch: Woher soll das Geld kommen?
Ein normales Phänomen
Finne nochmal nachziehen: Gérard Depeyris war einer der ersten Surfer in Lacanau. Heute ist er nicht mehr so oft auf dem Wasser. Er verkauft die Bretter, die für viele hier die Welt bedeuten.
Die Geschäfte gehen gut. Sein Laden, wie auch sein Wohnhaus, liegen direkt hinter der Düne.
Gérard hat die ganze Welt bereist, er kennt alle Surfer-Paradiese – und: er macht sich keine Illusionen, auch nicht über die Macht des Meeres und den Fortgang der Erosion hier: "Ja, so ist das Leben. Ich glaube, es ist nicht besonders hilfreich dagegen zu kämpfen. Ganz einfach. Und das Problem von Lacanau ist nur ein kleines, weil es viele andere Orte auf unserem Planeten gibt, die der Erosion ausgesetzt sind. Das hier ist nicht die einzige Küste, die zurückweicht."
Genauso ist es. Es geht weiter Richtung Süden, zum Cap Ferret. Hier ist mehr als ein Kilometer Strand im Meer versunken. Dafür ist aber ein gewaltiger, 450 Meter langer Deich entstanden. Und das ist sein Werk: Benoit Bartherotte hat ihn gebaut. Mehr als zehn Jahre hat er dafür gebraucht. Lastwagen an Lastwagen lieferten die gewaltigen Gesteinsbrocken für diese Befestigungsanlage. Sie schützt dieses kleine Paradies auf Erden. Hier lebt Bartherotte, zurückgezogen, das ganze Jahr.
Er hat alles genau dokumentiert: Die Arbeit, die Anstrengungen immer wieder gegen die Gewalt des Meeres anzugehen. Das hat ihn ein Vermögen gekostet. Bartherotte konnte es sich leisten. Er hat in Paris Millionen gemacht, als Modeschöpfer: "Ich habe da drüben 1985 angefangen, den Deich zu bauen. Heute bestimmt er die ganze Landspitze des Cap Ferret. Und bis Dezember 95 war ich dahinten." Und der Staat, hat er ihm geholfen? "Niemals."
Noch ist es ruhig, vor den nächsten Winterstürmen und der Frage: Was bleibt von seinem Lebenswerk am Cap Ferret.
Autorin: Sabine Rau, ARD Paris
Stand: 29.08.2019 03:12 Uhr
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