Mo., 21.01.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Wer ist Jeremy Corbyn und was will er?
Solange May weiter mit der Drohkulisse eines ungeregelten Brexit spiele, erklärte er am Mittwoch, werde er keinen Schritt auf sie zu machen: "Diese Regierung muss die Katastrophe eines 'No Deal' ausschließen und all das Chaos, das dann kommen würde."
Aber May geht darauf nicht ein und sitzt so seitdem weiter hinter verschlossenen Türen, versucht ihren Deal ohne die Opposition zu retten.
Stillstand in Großbritannien
Ein Land steht still, während die Uhr bedrohlich leise weiter tickt. Die überwiegend konservative Boulevardpresse aber sieht Corbyn als den eigentlichen Blockierer der Brexit-Gespräche, nicht die Premierministerin Theresa May, so auch Publizist Kevin Maguire: "Er konnte nicht zu ihr gehen, da er weiß, dass das eine reine PR-Veranstaltung wäre, um zu beweisen, dass May die Situation noch unter Kontrolle hat, obwohl sie nicht vorhat, ihm entgegenzukommen. Deshalb war es wohl richtig, dass er ihr Spiel nicht mitspielt. Aber er muss jetzt sehr deutlich klarmachen, warum er sich verweigert."
Das aber tut er nicht wirklich. Stattdessen wirbt er an der Basis weiter für Neuwahlen, für die er aber derzeit keine Mehrheit im Parlament hat. Für ein zweites Referendum setzt er sich nicht offen ein und frustriert damit die vielen in seiner eigenen Partei, die eine erneute Abstimmung wollen, die für den Verbleib in der EU sind.
Richtungsstreit bei Labour
Die trafen sich gestern morgen in London, mehr oder weniger verzweifelt über die Lage der Nation und ihren Parteiführer. Keir Starmer, der Brexit-Minister in Corbyns Schattenkabinett, erhöhte den Druck auf Corbyn: "Labour muss jetzt alle Optionen unterstützen, die 'No Deal' verhindern, und das heißt auch: Ein zweites Referendum."
So hatte es der letzte LabourParteitag eigentlich beschlossen, vor allem die jüngeren hier verstehen nicht, warum Corbyn sich jetzt nicht klarer dafür einsetzt: "Die Mehrheit unserer Wähler ist für die EU; er muss jetzt endlich aufhören zu zögern und ein zweites Referendum angehen. Die Leute würden es uns nicht verzeihen, wenn wir am Ende nicht genug dafür getan haben, einen ungeregelten Brexit zu verhindern. Und der kommt sonst. Das würde uns für Jahrzehnte beschädigen." "Ja, das wird uns keiner vergessen, wenn wir dabei zusehen, wie die Tories uns in den No Deal führen. Wir müssen die Tories frontal angehen, sie offen bekämpfen, das wäre echte Führung."
Andere in der Partei glauben nicht, dass Corbyn einfach nur schwach und zögerlich ist, sie glauben: Er will den Brexit – genauso wie Theresa May, weil die EU für ihn ein Hindernis darstellt, auf dem Weg zum Sozialismus.
Kevin Maguire, der ihn als Journalist seit langem begleitet, hält das für den Grund, warum Corbyn so unentschieden scheint: "Jeremy Corbyn, ist ein sehr sturer Politiker. Man wirft ihm oft vor, dass er in den 70ern oder 80ern stehengeblieben ist und seine Ansichten nie weiterentwickelt hat. Und das ist auch so. Deshalb wird er aus Überzeugung versuchen, ein zweites Referendum zu verhindern."
Schon immer gegen eine EU-Mitgliedschaft
Denn Corbyn gehört zu dem Flügel der Labour Partei der traditionell schon immer gegen die britische EU-Mitgliedschaft war wie Michael Foot, der 1975 leidenschaftlich so gegen Brüssel argumentierte: "Meine Macht als Handelsminister, ab jetzt selbständig Verträge mit der Welt abzuschließen, ist mir durch die EU-Mitgliedschaft für immer genommen."
Mit Tony Blair wurde die Partei dann zwar proeuropäisch, Jeremy Corbyn aber blieb auch noch Jahrzehnte später ein Gegner der britischen EU-Mitgliedschaft, wie er beim Labour-Parteitag 1996 bestätigte: "Eines meiner Hauptargumente: Die EU ist nicht demokratisch. Die europäische Bürokratie regiert, ohne dass wir sie zur Rechenschaft ziehen können. Die nationalen Parlamente verlieren ihre Macht. Das halte ich für ein ernstes Problem."
Kein Wunder also, dass er in Sachen zweites Referendum zögerlich bleibt. Im Norden Englands, in den von der Londoner Politik vernachlässigten Gegenden, hält man diese Strategie allerdings auch für richtig.
Jack Dromey, ein alter Freund Jeremy Corbyns meint, wenn Labour jetzt zu einem zweiten Referendum riefe, sei die Partei im Norden erledigt: "Ich glaube, dass wir jetzt unglaublich vorsichtig sein müssen, und wenn, dann den richtigen Zeitpunkt finde müssen. Es gibt hier eine Menge Ärger, nach dem Motto: 'Wie? Wir haben doch abgestimmt! Was soll das jetzt überhaupt alles?' Der Hauptgrund, warum ich da vorsichtig wäre, ist, dass ich nicht sicher bin, ob das nicht ganz nach hinten losgeht. Wie dann abgestimmt würde, ist nämlich absolut unvorhersehbar."
Im Pub gegenüber könnten wir das besichtigen, meint er, bevor wir gehen und so ist es auch: Hier wollen sogar die, die für den Verbleib in der EU waren, dass der Brexit jetzt durchgezogen wird, egal wie. Corbyn hat Recht, sagen sie hier: "Wenn er jetzt mit einem zweiten Referendum käme, würden die Leute hier denken, dass er die Seiten gewechselt habe." – "Und ein zweites Referendum ist sowieso das letzte, was wir hier wollen. Die ganze Idee einer Demokratie ist doch, dass man akzeptiert, wie abgestimmt wird."
Und so hängt sie fest die Labourpartei, mit Jeremy Corbyn, irgendwo zwischen raus und rein aus der EU, irgendwo zwischen heute, gestern und morgen.
Autorin: Annette Dittert, ARD London
Stand: 12.09.2019 22:51 Uhr
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