Mo., 05.03.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Italien: Roms Verkehrsbetriebe – Musterfall für Misswirtschaft?
Die ewige Stadt – Rom – sie hat so vieles, um das sie andere Metropolen beneiden und Touristen in Scharen anzieht: Zum Beispiel das Forum Romanum oder das Kolosseum… Um ihre Verkehrsbetriebe aber wird die Stadt am Tiber kaum beneidet: Die "Azienda Tranvie ed Autobus del Comune di Roma", kurz Atac hat über die Stadtgrenzen hinaus einen Ruf wie Donnerhall: Sie gilt als Musterbeispiel für Korruption und Vetternwirtschaft in Italien, und als Milliardengrab! Die Nutzer sind verärgert: "Schon wieder komme ich nicht in meine Arbeit! Es ist eine Schande!" "Ich bezahle eine Monatskarte, werde aber wie Vieh behandelt!" "Es ist eine tagtägliche Katastrophe!"
Seit 28 Jahren fährt der Busfahrer und aktive Gewerkschaftler Michele Frullo Römer und Touristen durch seine schöne Stadt. Meist sitzt er dabei am Steuer von Fahrzeugen, die in die Jahre gekommen sind. Nicht selten bleiben die deshalb wegen Pannen liegen. Im Jahr 2016 fielen in Rom rund eine Million Fahrten aus. Wegen Verspätungen und Ausfällen muss Michele Frullo oft den Unmut seiner Fahrgäste ertragen: "Wir hoffen, dass es nur bei Beschwerden bleibt! Immer häufiger werden die Leute wegen des langen Wartens gewalttätig! Die Aggressivität der Fahrgäste gegenüber Atac-Mitarbeitern nimmt zu!"
Schwachstelle Nahverkehr
Rund vier Millionen Bürger sind in Rom täglich auf Busse, Bahnen, Tram und Metro angewiesen. Bei der letzten Bürgermeisterwahl Roms soll die Verärgerung vieler Fahrgäste über ständiges Warten und Pannen erheblich zum ersten großen Sieg der Protestbewegung Fünf Sterne beigetragen haben. Journalist Pier Giorgio Gawronski. "In dieser Stadt gibt es jährlich fast eine Milliarde Passagiere! Rein statistisch verlieren sie bei jeder Fahrt fünf Minuten! Für das gesamte italienische Brutto-Inlandsprodukt bedeutet das einen Verlust von 170 Millionen Euro!"
Fast eineinhalb Milliarden Euro Schulden haben Roms Verkehrsbetriebe angehäuft. Und: Tag für Tag werden weiter rote Zahlen geschrieben! 2017 lag sogar eine Insolvenz des kommunalen Betriebs in der Luft. Im letzten Moment konnte sie wenigstens vorerst abgewendet werden.
Offiziell nicht bestätigt, aber immer wieder zu hören: Bei einer vor gut einem Jahr durchgeführten Bestandsaufnahme soll sich heraus gestellt haben, dass von knapp 2000 in den Büchern geführten Atac-Bussen, gut ein Viertel gar nicht existieren soll! Und die Fahrzeuge, die es gibt, sind alt, im Schnitt mehr als zehn Jahre! Zudem haben sie etliche Millionen Kilometer schlechte römische Straßen auf dem Buckel!
Ein Selbstbedienungsladen?
Atac scheint über Jahrzehnte hinweg als Selbstbedienungsladen der Politik missbraucht worden zu sein. Bei dem nach der Bahn zweitgrößten Verkehrsbetrieb im ganzen Land, waren schicke Posten für Parteifreunde und Verwandte zu vergeben. Immer wieder gab es Vorstöße bei Atac aufzuräumen. Doch: Sanierer kamen und gingen. Alle bissen sich bisher die Zähne aus und warfen das Handtuch, so auch Stefano Esposito - heute Senator der sozialdemokratischen PD: "Atac ist ein Betrieb, in dem es nicht primär um Dienstleistung am Bürger geht, sondern der von politischen Kräften wie ein Kuchen untereinander aufgeteilt wurde!"
Laut einer Statistik erschien im ersten Quartal 2017 mehr als jeder zehnte Atac-Mitarbeiter nicht zur Arbeit! Es ist schwierig dagegen vorzugehen, sind doch nicht weniger als elf Gewerkschaften innerhalb der römischen Verkehrsbetriebe aktiv! Immer lauter werden daher Forderungen aus der Politik Roms Problem-Betrieb zu privatisieren.
Ist Atac ein Sonder- oder Einzelfall? Viele Beobachter von italienischer Politik und Wirtschaft haben da Zweifel. Für sie sind die römischen Verkehrsbetriebe allenfalls die Spitze eines Eisbergs. Senator Stefano Esposito: "Die Zeit, in der in Italien Firmen wie Atac benutzt werden, dauert bereits viel zu lange! Dort besetzt man Posten, ohne richtige Ausschreibungen. Dort werden inkompetente Manager eingestellt, einfach nur deshalb, weil man mit ihnen nicht weiß wohin!"
Während der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs in nahezu allen großen europäischen Städten seit Jahren stetig zunimmt, ist er in Rom rückläufig. Die Folge: Noch mehr Autos und noch mehr schlechte Luft! Atac bewegt hier – oft aber weniger die Menschen als deren Gemüter.
Autor: Michael Schramm, ARD Rom
Stand: 01.08.2019 07:49 Uhr
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