Do., 25.05.00 | 21:45 Uhr
Das Erste
Rosemarie Nitribitt – Tod einer Hure
Schwarzes Mercedes-Coupé 190 SL mit roten Ledersitzen und weißen Breitbandreifen, ihre großen Topfhüte, der Zweikaräter am Finger, Pelzmantel, Nerzstola und ihr Pudel – die Erkennungszeichen der Rosemarie Nitribitt. Das Unternehmen Wohnungsprostitution Stiftstraße 36 in Frankfurts City prosperierte, wie die Stadt, die Messe, die Börse und das Rotlichtmilieu.
Die Dokumentation von hr-Autorin Helga Dierichs aber zeichnet das wahre Bild der Rosemarie Nitribitt, jenseits des verklärten Bildes der vermeintlich mondänen Lebedame, das Bild eines kleinen Mädchens, das bei Pflegeeltern und in Heimen aufwuchs und aufsteigen wollte um jeden Preis.
Am Ende bezahlte sie ihren "Aufstieg" zur Edelhure mit dem Leben. Am 1. November 1957 wurde sie ermordet – seither blühen die Gerüchte über Kunden, Mordmotive und Polizeipatzer. Von Politikern aus Bonn wurde gemunkelt, die geschont werden sollen, von Industriebossen und einem Dauerliebhaber aus einer Ruhrgebiets-Dynastie. Erstmals hatte Helga Dierichs nun Zugang zu den Ermittlungsakten. Seither wissen wir mehr, aber keinesweg alles, denn vier entscheidende Bände der Hauptakte fehlen. Die Dokumentation zeichnet die Ermittlungspannen nach, nennt Versäumnisse, vernachlässigte Spuren und Verdächtige, zeigt, wer ins Blickfeld der Fahnder geriet und wer nicht, und geht den Vorwürfen gegen Heinz Pohlmann nach, der für die Frankfurter Kripo bis heute der Mörder bleibt.
Erst jetzt, nach so vielen Jahren, hat der Richter das Beratungsgeheimnis gegenüber der Autorin gelüftet und die Umstände des Freispruchs für den Angeklagten Pohlmann erklärt. Mit einer überraschenden Recherche kann nun Helga Dierichs das Urteil stützen. Und die prominenten Namen? Einige lassen sich durch Querverweise erschließen. Der bekannteste ist Harald von Bohlen und Halbach, Bruder von Alfred Krupp, dem Chef des Hauses Krupp. Aber nicht in den Akten, sondern im Keller eines der Kripobeamten fand die Autorin wichtige Beweisstücke: Briefe, Postkarten und ein Tonband voll sehnsüchtiger Liebesbekenntnisse. Und wer weiß, was noch alles zu entdecken wäre, tauchten die vier verschwundenen Akten wieder auf. Die faszinierende Kriminalgeschichte ist zugleich auch ein Sittengemälde der 50er Jahre.