SENDETERMIN So., 06.10.02 | 21:45 Uhr | Das Erste

Jagd auf den Ausbrecherkönig

Alfred Lecki
Alfred Lecki, der legendäre "Ausbrecherkönig". | Bild: WDR/dpa

Während die Häftlinge in der Anstaltskapelle ein kräftiges "Macht hoch die Tür..." anstimmten, öffnete Alfred Lecki seelenruhig mit einem im Knast gefertigten Nachschlüssel das Gefängnistor "weit" auf und verschwand mit seinem Knastkumpan Helmut Derks. Das war Weihnachten 1969.

Es war bereits die dritte Flucht des schon legendären "Ausbrecherkönigs", der gerade einmal wieder in Untersuchungshaft saß - dieses Mal in Essen, wegen Polizistenmordes: Eine Polizeistreife hatte ihn am 14. Juli 1969 in Bottrop nachts schlafend und nur mit Unterwäsche bekleidet in einem Auto überrascht. Statt die Papiere vorzuzeigen, sprang Lecki aus dem Auto, rannte los, drehte sich nach einigen Metern um und schoss auf die beiden völlig überraschten Polizisten. Polizeiobermeister Theodor Klein brach tot zusammen. Sein Kollege wurde schwer verletzt. Lecki verschwand in der Dunkelheit - und landete am Ende doch wieder in Haft, aus der er abermals entfloh.

Der "Mann mit den tausend Gesichtern"

Der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher beauftragte schließlich das Bundeskriminalamt mit der Fahndung. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik war die Jagd auf einen "gewöhnlichen" Verbrecher so hoch angesiedelt worden.

Auf der Flucht baute Lecki seinen Ruf als skrupelloser Räuber weiter aus. Im Juni 1970 war er Drahtzieher des bis dahin größten bewaffneten Raubüberfalls auf einen Geldtransport. Er erbeutete über eine Million Mark. Innenminister Genscher bezeichnete den "Ausbrecherkönig" als "meistgesuchten Gewaltverbrecher der Bundesrepublik". Er hieß auch der "Mann mit den tausend Gesichtern", weil er es perfekt verstand, Gesicht, Haare und äußere Erscheinung zu verändern. 30 falsche Pässe wurden im Lauf der Jahre bei ihm sichergestellt. XY-Mann Eduard Zimmermann versuchte in mehreren Sendungen vergeblich ihn aufzuspüren. Die Großfahndung hielt die ganze Nation in Atem. Bis Lecki endlich im Spätsommer 1970 von Interpol in Spanien geschnappt werden konnte - angeblich unter tatkräftiger Mithilfe des geheimnisumwitterten Agenten Werner Mauss.

"Ausbrecherkönig" stieß in der Öffentlichkeit auf Sympathie

Aus der Haft gelang ihm 1984 und 1986 noch zweimal auf spektakuläre Weise die Flucht. Polizei und Justiz gerieten jedes mal in Erklärungsnöte - führte der findige Schwerverbrecher doch die Strafvollzugsbehörden und die Polizei scheinbar nach Belieben an der Nase herum. Die CDU-Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag forderte den Rücktritt von Justizminister Rolf Krumsiek. Gefängnisdirektoren wurden strafversetzt, Verfahren gegen Justizbeamte eingeleitet. Die politische Debatte drehte sich um die mangelnde Sicherheit in den Gefängnissen sowie um Sinn und Zweck eines offenen Strafvollzugs. Angeblich konnten Häftlinge im Knast unbehelligt ihre kriminellen Aktivitäten fortführen: Alkohol- und Drogenhandel. Im Gefängnis Rheinbach bei Bonn soll Lecki mit anderen Häftlingen sogar Ausweise und Geld gedruckt haben.

Trotz seiner ungezählten schweren Straftaten stieß der "Ausbrecherkönig" in der Öffentlichkeit auf Sympathie. Er war schlagfertig, besaß Wortwitz, und seine Einlassungen vor dem Hohen Gericht hatten gewissen Unterhaltungswert. Und natürlich schmunzelte alle Welt auch über seine trickreichen Ausbrüche aus dem Knast. Jedes mal wenn er wieder erwischt wurde, hatte Lecki die gleiche Begründung für den Drang in die Freiheit: "Ich bin nicht haftgewohnt".

Alfred Lecki starb am 17. September 2000 mit 61 Jahren in einem Berliner Park an Herzversagen. "Am späten Nachmittag fanden Kinder in Britz in einer Grünanlage einen verstorbenen Mann", lautet der Polizeibericht vom selben Tag. Der seit langem Herzkranke war dieses Mal nicht geflohen, sondern vorzeitig entlassen worden. Die Hälfte seines Lebens hatte er im Gefängnis verbracht. Sein stiller Tod bot der Presse noch einmal Gelegenheit, in großen Artikeln an den bis heute unübertroffenen "Ausbrecherkönig" der deutschen Kriminalgeschichte zu erinnern. .

Film von Michael Gramberg (WDR)

Sendetermin

So., 06.10.02 | 21:45 Uhr
Das Erste