Im Interview: Jan Peter und Sandra Naumann
Warum erneut eine Doku zu Willy Brandt?
Wir beschäftigen uns mit Geschichte, weil wir etwas über uns im Hier und Heute erfahren wollen. Und so erzählt jede Generation neu, wie und warum die Welt, die uns umgibt, so wurde, wie sie ist. In einer gewissen Weise ist das auch ein Test für die Wirkmächtigkeit der Story selbst: Lässt sich im Damals noch etwas wiederfinden von unseren gegenwärtigen Fragen, Zweifeln, Ängsten und Hoffnungen? Bei der Affäre um den Kanzlerspion Günter Guillaume und den von ihm ausgelösten, wenn auch vielleicht nicht allein verursachten, Sturz Willy Brandts gibt es Vieles, was es wert ist, wieder und neu erzählt zu werden. Zum einen sind da die neuen Möglichkeiten seriellen Erzählens und eine Dramaturgie, die sich weniger am täglichen Polit-Klein-Klein als an dem großen, emotionalen Getriebensein der Handelnden orientiert. Wir erzählen diesen Fall als eine Parallelgeschichte zweier – oder mit Einbeziehung von Christel Guillaume eher dreier – deutscher Leben mitten in diese Teilung Deutschlands hinein. Es ist viel mehr zugespitztes Drama als eine rein faktische Nacherzählung. Zum anderen ist gerade die legendäre Ostpolitik Willy Brandts, aber auch die Durchdringung der bundesdeutschen Politik und der Sicherheitsorgane mit Agenten feindlicher Mächte, heute auf eine ganz andere, dramatischere Weise aktuell, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall zu sein schien.
Warum ein Film rein aus Frauenperspektive?
Was beim Schauen des Archivmaterials der 1960er- und frühen 1970er-Jahre aus der Bundesrepublik, in dem aus der DDR etwas weniger, aber grundsätzlich auch, sofort auffällt, ist die nahezu vollständige Abwesenheit von Frauen und ihrer Perspektive im Politikbetrieb und in den Berichten darüber. Sie werden als "Arabeske" (so wörtlich in einem ARD-Beitrag), als "hübsche Objekte" manchmal ins Bild gerückt, aber sie bekommen nahezu nie eine eigene Stimme zugesprochen. ÜBER sie aber wird ununterbrochen geredet, gewitzelt, geraunt – sie sind buchstäblich Objekte der Begierde einer Generation von Politikern, für die "die Affäre" wie selbstverständlich zu ihrer Existenz in Bonn dazuzugehören schien. Diese Diskrepanz wollten wir im Sinne der Devise "show, not tell" sicht- und vor allem fühlbar machen. Wir wollen aber auch zeigen, wie sehr sich Wahrnehmung und Gesellschaft in den vergangenen fünfzig Jahren eben doch gewandelt haben. So erzählen und kommentieren vor der Kamera ausschließlich Frauen, aus vier Generationen, die Geschichte. Sie eint in ihrer Unterschiedlichkeit doch eben eines: ihre Kompetenz, ihre Durchdringung des Themas und ihre einzigartige Zeitzeugenschaft. Die Männerperspektive fehlt ja keineswegs; Willy Brandt und Günter Guillaume kommen im Archivmaterial selbst zu Wort. Die Erzählhaltung wird vielmehr vollständig gemacht durch die Stimmen der Frauen.
Wer sind die O-Ton-Geberinnen? Wie ist die Auswahl der O-Ton-Geberinnen zustande gekommen?
Wir haben zuerst unmittelbare Zeitzeuginnen der dramatischen Ereignisse angefragt. Zu sehen sind so die Journalistin Heli Ihlefeld oder die große Brandt-Unterstützerin Katja Ebstein, aber auch eher kritischere Zeitzeuginnen wie die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und vehemente politische Gegnerin Brandts Roswitha Verhülsdonk. Eine weitere Stimme ist Lilli Pöttrich, die seit den 1970ern für den Osten spionierte. Hinzu kommen Historikerinnen, Journalistinnen, Podcasterinnen, die aus ihrem Wirken heraus eine tiefe inhaltliche und/oder emotionale Verbindung zu Willy Brandt und dem Wirken der Guillaumes entwickeln. Uns ging es dabei immer um die Verbindung von Sachkenntnis und persönlicher Leidenschaft in Bezug auf unser Thema. Auch auf eine ausgewogene Darstellung der West- wie Ost-Perspektiven kam es uns an. Gerade uns, als aus der ehemaligen DDR stammenden Filmmenschen, ist es immer wichtig, die Geschichte beider deutscher Staaten als ein gleichberechtigtes, nicht von vornherein einander verdammendes Nebeneinander zu erzählen. So steht z.B. die Ostberlinerin Eva-Maria Lemke als Host des äußerst erfolgreichen Geheimdienst-Podcasts DARK MATTERS ebenso vor unserer Kamera wie die ostdeutsche Bestsellerautorin und Historikerin Katja Hoyer, die Kölner ZEIT-Journalistin und Podcast-Queen Yasmine M'Barek und die aus Niedersachsen stammende Leiterin der Forschungsabteilung des Stasi-Unterlagen-Archivs Daniela Münkel.
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