So., 23.02.20 | 23:50 Uhr
Das Erste
Denis Scheck kommentiert die Top Ten Belletristik
Platz 10: Bov Bjerg – "Serpentinen"
Gerade im Gespräch: Wieder ein Beleg für die blitzartige Durchschlagkraft der deutschen Literaturkritik.
Platz 9: Monika Helfer – "Die Bagage"
Ebenfalls sehr zu Recht auf dieser Liste: die Österreicherin Monika Helfer erzählt in "Die Bagage" von Fesseln, denen noch keiner entkommen ist: unseren Familienbanden. "Erinnerung muss als heilloses Durcheinander gesehen werden. Erst wenn man ein Drama daraus macht, herrscht Ordnung", schreibt Helfer in ihrem bezwingenden Roman über Schönheit als Fluch, Eifersucht und ein vom Vater ignoriertes Kind.
Platz 8: George Saunders – "Fuchs 8"
Das ungewöhnlichste Buch seit langem, das auf einer deutschen Bestsellerliste steht: Ein Fuchs liest in einem langen Brief uns Menschen die Leviten. Ein Meisterwerk und ein tierisches Sprachvergnügen.
Platz 7: Lucinda Riley – "Die Sonnenschwester"
Die sechste Fortsetzung der Romanreihe um sieben Schwestern, die nach dem Tod ihres Adoptivvaters ihre Herkunft zu klären versuchen, widmet sich diesmal einem Modemodel und besitzt die literarische Finesse, intellektuelle Substanz und geistige Stehfestigkeit eines Päckchen Magerquarks.
Platz 6: Sebastian Fitzek – "Das Geschenk"
Vulgär, abgeschmackt, gewaltgeil: die auf Schockeffekte zielende Zombieprosa Fitzeks löst in mir nach wenigen Zeilen den Wunsch aus, für den Rest des Tages Friedrich Hölderlin lesen zu dürfen.
Platz 5: Susanne Fröhlich – "Ausgemustert"
Der schöne Adorno-Satz: "Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie ich sagen", trifft in besonderer Weise auf die Autorin Susanne Fröhlich zu. Dieser Roman um eine von ihrem Ehemann verlassene 47-Jährige ist ein Durchlauferhitzer dümmlichster Klischees, billiger Stanzen und abgeschmacktester Binsenweisheiten mit einer erstaunlichen Neigung zur Fäkalsprache. Das beginnt schon beim ersten Satz. "Ich stehe mit drei vollgepackten Tüten auf dem Parkplatz eines Discounters, als mir eine Taube auf den Kopf kackt." Dieses Buch ist alles andere als ein heißer Scheiß.
Platz 4: Sasa Stanisic – "Herkunft"
Wie Politik und Krieg dazu zwingen, sich mit Herkunft und Identität auseinanderzusetzen – und wie man sich von solchen Zuschreibungen befreit: davon erzählt Sasa Stanisic in diesem formal bestechenden Roman über Bosnien und Deutschland, Familien und Drachen.
Platz 3: Lisa Taddeo – "Three Women. Drei Frauen."
Anders als Susanne Fröhlichs deprimierend narzisstischer Trennungsroman adressiert die moderne Unterhaltungsliteratur Lisa Taddeos weibliches Begehren in drei packenden Geschichten zwischen den Polen Lust und Macht. Allerdings möchte ich hinter der Versicherung der Autorin, daß es sich bei Ihrem Buch um eine Reportage handelt, ein dickes Fragezeichen setzen. "Drei Frauen" hat mich nicht als Soziologie oder Generationenbeschreibung überzeugt, sondern als Literatur.
Platz 2: Delia Owens – "Der Gesang der Flusskrebse"
Halb Nature writing, halb Krimi: als die Leiche eines Quarterbacks im Marschlands North Carolinas gefunden wird, fällt der Verdacht auf seine ehemalige Geliebte, die dort von ihrer Familien verlassen in engem Kontakt zur Natur aufgewachsen ist. Ein spannender Buchzwitter.
Platz 1: Pascal Mercier – "Das Gewicht der Worte"
Philip Roth hat mal gesagt, für ihn besäßen die Tatsachen erst dann Wirklichkeit, wenn sie beschrieben sind. Diesen Grundsatz teilt Roth mit der Hauptfigur in Pascal Merciers neuem Roman, einem Übersetzer und Verleger, der aufgrund einer Fehldiagnose gerade seinen italienischen Verlag verkauft und nach London zurückgekehrt ist. Pascal Mercier ist ein erzählerischer Kaltblüter. Wer sich an seiner Brauereigaulprosa nicht stört, wird in diesem literatursüchtigen Roman anständig unterhalten.
Stand: 23.02.2020 18:12 Uhr
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