So., 15.09.19 | 23:35 Uhr
Das Erste
Karen Köhler: "Miroloi" (Hanser Literaturverlage)
Was bedeutet es, keine Eltern zu haben, keinen Namen tragen, keinen Besitz und keine Rechte haben zu dürfen? Wie überlebt ein Kind unter Menschen, die es ausgrenzen, verspotten, zum Freiwild erklären? Das griechische Wort "Miroloi" bedeutet auf Deutsch "Rede über das Schicksal". Und so ist der Roman von Karen Köhler eine Parabel über die Natur des Menschen und die Beschaffenheit der Welt, in der er lebt.
Erzählt wird die Geschichte eines Findelkindes, das als Mädchen beim "Bet-Vater" der "schönen Insel" zur jungen Frau heranreift, inmitten einer Dorfgemeinschaft, die weit entfernt von der Zivilisation nach eigenen, grausamen Regeln lebt: Frauen ist es verboten, Lesen oder Schreiben zu lernen, den jungen gebildeten Männern, Kontakt mit Frauen zu haben. Allein die Dorfältesten entscheiden; sowohl über alle Belange des täglichen Lebens als auch über die Gebote in der "heiligen Khorabel". Verstöße werden öffentlich am Pfahl auf dem Dorfplatz mit Schlägen oder Verstümmelung geahndet.
Eine Zeit lang scheint die so hergestellte Ordnung im Miteinander der Dorfbewohner zu funktionieren. Doch dann bricht die Außenwelt mit ihrem technischen Fortschritt und der Frage nach einem selbstbestimmten Leben in die bis dahin hermetisch abgeriegelte Gemeinschaft ein.
"Miroloi" zeigt eine Welt, die überwunden schien
Das bis dahin stabile Konstrukt aus Angst, Vergewaltigung und Strafe gerät ins Wanken. Und das namenlose Mädchen, das sich nun Alina nennt, begehrt auf gegen die unmenschlichen Strukturen und Gesetze der Dorfgemeinschaft – mit weitreichenden Folgen für alle.
![Bild: Hanser Literaturverlage Cover von "Miroloi" von Karen Köhler](/information/wissen-kultur/druckfrisch/sendung/miroloi-cover-100~_v-standard368_53f266.jpg)
Karen Köhler entwirft in "Miroloi" eine Welt, die als überwunden gilt. Nach und nach begreifen wir, dass sich auch unsere Gegenwart in diesem Inselvolk spiegelt. Hier werden die entscheidenden Fragen nach dem Gelingen eines gesellschaftlichen Zusammenhalts gestellt, die nach einer Lösung unserer aktuellen Probleme und Themen verlangen: Korruption, Konsumverhalten, Umweltzerstörung, Chancengleichheit, Ausländerfeindlichkeit, sexuelle Gewalt, Flucht und Migration.
Natürlich ist "Miroloi" auch ein Plädoyer zur Selbstermächtigung Einzelner, das Schicksal zu gestalten und sich allein oder gemeinsam mit anderen gegen bedrohliche Verhältnisse zur Wehr zu setzen.
Stand: 16.09.2019 08:29 Uhr
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