So., 08.12.24 | 23:20 Uhr
Das Erste
Hass und Vergebung
Literarische Erinnerung an den ermordeten US-Kriegsreporter James Foley
Es war ein grausames Video, das die Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Foley zeigen soll: 2014 wurde es auf YouTube veröffentlicht und weltweit gesehen. 2012 war Foley vom Islamischen Staat entführt worden, gequält und gefoltert. Jetzt haben seine Mutter Diane Foley und der Schriftsteller Colum McCann das Buch "American Mother" geschrieben. Darin erinnern sie an das Leben von James Foley, beschreiben, wie Diane Foley vergeblich für die Befreiung ihres Sohnes kämpfte, den Mörder ihres Sohnes traf und die Tat verarbeitet hat. ttt hat Diane Foley und Colum McCann in Washington und New York getroffen.
Todesnachricht am Telefon
Keine Mutter sollte so ein Bild sehen. James Foley, US-amerikanischer Journalist auf Knien - kurz vor der Hinrichtung durch den IS. Er ist ihr Sohn. 21 Monate war er Geisel des Islamischen Staats in Syrien. Am 19. August 2014 wurde Foley enthauptet. Vor laufender Kamera. Diane Foley erfuhr am Telefon davon, berichtet sie: "Es war furchtbar. Von Jims Ermordung erfuhr ich, als mich eine weinende Journalistin anrief und schrie: ich solle sofort auf Twitter gehen. Da sah ich das schreckliche Bild: Jim, sein abgetrennter Kopf lag auf seinem Rücken."
Treffen im Gefängnis
Wir treffen Diane Foley in Washington. Sie erzählt das kaum Vorstellbare - wie sie 2021 einen der Mörder ihres Sohnes im Gefängnis traf, der zu lebenslanger Haft in den USA verurteilt wurde: "Ich wusste, dass Jim es so gewollt hätte. Aber keiner aus meiner Familie wollte ihn treffen. Je näher der Tag rückte, desto nervöser wurde ich." In einem Gefängnis in Virginia traf sie den britischen Dschihadisten Alexanda Kotey. Wie soll sie ihm begegnen, wie den Hass ausschalten? Sie wird begleitet vom Schriftsteller Colum McCann – der so die Einstiegsszene für das Buch "American Mother" fand: "Als ich mit ihr in diesen Raum kam, wo Alexanda Kotey saß, und sie auf ihn zuläuft und sagt: 'Hi Alexanda, nice to meet you!' – in diesem Moment wusste ich, dass dies der Ausgangspunkt für die gesamte Story sein muss", so McCann.
Verbundenheit über Literatur
Colum McCann, preisgekrönter irischer Autor, lebt in New York. Diane Foley hatte ihn gebeten, sie ins Gefängnis zu begleiten. McCann gibt ihren Erinnerungen seine Stimme. Denn am selben Tag, als das brutale Hinrichtungsbild um die Welt ging, erreichte den Schriftsteller noch ein anderes Foto: es zeigt Jim Foley beim Lesen. Es ist ein Roman von Colum McCann. "Das hat mich sehr über Literatur nachdenken lassen", erinnert sich McCann, "dass meine Worte und Figuren für einen Moment bei ihm waren. Ich fühlte eine Art Seelenverwandtschaft mit ihm."
Hinterfragen von Privilegien
James Foley, genannt Jim, Dianes ältester Sohn, aufgewachsen in New Hampshire. Er hat vier Geschwister, wird katholisch erzogen: eine amerikanische Kindheit. Doch James hadert mit seinen Privilegien, sucht, schreibt – interessiert sich für die Abgehängten. Er wird Kriegsreporter. Afghanistan, Libyen, dann Syrien. Er arbeitet als Freelancer für wenig Geld. Immer dort, wohin westliche Medien keine eigenen Journalisten mehr entsenden wollten. Colum McCann analysiert: "Jim wollte an Grenzen gehen, und auf gewisse Weise wurde er selbst zur Frontlinie. Er wollte in die Konfliktzonen, Geschichten bergen, die einem das Herz brechen."
Mehrfach in Geiselhaft
Für diese Geschichten ging er immer wieder ins Risiko. Ein erstes Mal war er Geisel in Libyen, 2011. Das zweite Mal, Syrien 2012, wurde ihm zum Verhängnis. Seine Mutter erinnert sich: "Wir waren entsetzt – aber diesmal war es viel schlimmer. Niemand hatte die Entführung gesehen außer seinem Übersetzer. Jim verschwand spurlos." Neun Monate vergingen ohne jedes Lebenszeichen. Das US-Militär flog Luftangriffe gegen den IS. Nach neun Monaten fordern die Dschihadisten 130 Millionen Dollar Lösegeld. Diane erlebte, wie andere Länder ihre Geiseln herauskauften, doch die damalige US-Politik verbot jegliche Verhandlungen mit Terroristen. Und ließ die Familie komplett allein, so Foley: "Ich war so wütend! Noch wütender als auf die Dschihadisten war ich auf unsere Regierung! Präsident Obama hatte frei gewählt, nicht zu verhandeln. Aber wie wir aus wissenschaftlichen Studien wissen: Wenn man nicht verhandelt, sterben die Geiseln!"
Jim Foley Foundation
Um nie mehr so wehrlos sein gründete Diane Foley nach der Ermordung ihres Sohns eine NGO. Die "Jim Foley Foundation" setzt sich für die Befreiung amerikanischer Geiseln im Ausland ein. Noch unter Präsident Obamas Regierung erwirkte sie einen neuen Umgang bei Geiselnahmen. Heute sind Verhandlungen und Hilfe bei Lösegeldzahlungen kein Tabu mehr. Auch die Familien von Hamas-Geiseln suchten bei ihr Hilfe. "Ihre Arbeit hat dazu geführt, dass der Umgang mit Geiseln und Kidnappings in den USA komplett anders wurde. Sie hat die Welt verändert", bestätigt auch Colum McCann.
Gegen den Hass
Im Gefängnis, am Ende des Treffens mit Alexanda Kotey, rückt Diane den Stuhl zurück. Steht auf. Und gibt dem Mörder ihres Sohnes die Hand. "Wie stark und mythisch ist diese Geschichte. Es ist eine Geschichte für unsere Zeit! Über Wiedergutmachung - und Heilung", so Colum McCann. "American Mother" erzählt beeindruckend davon, wie man dem Hass etwas entgegensetzen kann.
Autorin: Brigitte Kleine
Stand: 08.12.2024 23:03 Uhr
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