So., 13.10.24 | 23:05 Uhr
WDR Fernsehen
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Eva Illouz über die "Explosive Moderne"
Der "Wutbürger", er war das "Wort des Jahres" 2010 und mit gewisser Herablassung blicken seitdem Medien wie Öffentlichkeit auf diese von negativen Gefühlen gesteuerte Spezies, die nicht in der Lage ist, Politik rational zu reflektieren. Doch: Politik, Gesellschaft und Gefühle sind untrennbar miteinander verwoben, die unerfüllte Hoffnung auf gesellschaftlichen Aufstieg, die Furcht vor Terrorismus oder die Enttäuschung über unerfüllte Konsumversprechen – sie alle kontrollieren auch die Entscheidungen, die eigentlich der Verstand treffen sollte. Eva Illouz beschäftigt sich in ihrer Forschung seit 20 Jahren mit der Soziologie von Emotionen. In ihrem neuen Buch "Explosive Moderne" blickt Eva Illouz auf unsere aufgewühlte Zeit aus der Perspektive der Gefühle, die sie prägen. ttt hat die französich-israelische Soziologin in Paris getroffen.
Bankrott von Vernunft und Warheit
Der Krieg im Nahen Osten ist nur die jüngste Eskalation in einer von Krisen gebeutelten Welt. Wir leben in einer emotional aufgeladenen Zeit, geprägt von Angst, Zorn und Hass. Hoffnung auf Versöhnung gibt es kaum. "Es macht mich sehr traurig. Diese Traurigkeit kommt von einem Gefühl des Bankrotts von Vernunft und Wahrheit", sagt die Soziologin Eva Illouz.
Gefühle sind keine Privatsache
Seit etwa zwei Jahrzehnten erforscht Eva Illouz, wie gesellschaftliche Einflüsse unsere Gefühle prägen. Ihre Bücher über Konsumkultur und die Liebe sind Bestseller. Jetzt blickt sie auf unsere aufgewühlte Zeit, in der Gefühle längst keine Privatsache mehr sind: "Ich wollte dieses Unbehagen, das wir erleben, genauer beschreiben, um zu verstehen, wie soziale und politische Prozesse eine emotionale Grundstimmung geschaffen haben, die uns zutiefst unglücklich und unzufrieden macht." Für Eva Illouz ist diese Unzufriedenheit eine Folge des amerikanischen Traums, dem großen Aufstiegsversprechen des Kapitalismus: Jener Hoffnung, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, um es vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen zu können. "Wir sind Hoffnungsmaschinen. Wir versuchen ständig, unser Schicksal zu verbessern. Das ständige Vorankommenwollen ist eins der wichtigsten Merkmale der Moderne", so Eva Illouz.
Konkurrenzkampf in der Gesellschaft
Die Kehrseite der Hoffnung ist Enttäuschung: Während die Ansprüche der Menschen immer weiter gestiegen sind, schaffen es nur noch wenige, diese einzulösen. Es tobt ein Konkurrenzkampf um Jobs und Wohnraum in einer Gesellschaft des permanenten Vergleichs. Eva Illouz meint: "Die Vorstellung, dass wir alle bei der Geburt gleich sind und vielleicht auch gleiche Chancen im Leben haben sollten, erzeugt vor allem Neid." Den Linken Parteien wirft sie vor, das nicht erkannt zu haben: "Die Linke, die traditionell dafür sorgte, dass diese Probleme gehört wurden, war einfach nicht da. Und dieses entstandene Vakuum wurde sofort von der Rechten gefüllt, weil die Linke eine andere Sprache sprach."
Stärkung der Populisten
Während es der Linken vor allem um Gleichberechtigung ging, wurden die Sorgen der Arbeiterklasse Jahr für Jahr vernachlässigt. Das hat die Populisten stark gemacht. Ihr politisches Programm wendet sich gegen einen Lebensstil, welcher dem Großteil ihrer Wählerschaft verwehrt geblieben ist. "Der Erfolg der populistischen Rechten steht im Kontext einer großen Enttäuschung darüber, dass das System für einen selbst nicht funktioniert hat", analysiert Eva Illouz, "dazu kommen enorme Wut, Neid und Groll, zum Beispiel, weil man arm ist oder nicht in der Lage ist, seinen Kindern das zu bieten, was man hätte bieten sollen – und diese Scham wird begleitet von Wut."
Angst als mächtiges Gefühl
Für Eva Illouz zählt neben Wut und Enttäuschung auch Angst zu den mächtigsten Gefühlen. Denn wer die Angst steuert, kontrolliere die ganze politische Bühne. Auswege aus dieser Misere zeigt Eva Illouz uns leider keine. Dennoch: Ihre Analyse der „Explosiven Moderne“ ist eine kluge und aufschlussreiche Erklärung für das grassierende Gefühl, das unsere Zeit und unsere Demokratie so prägt.
Autor: Max Burk
Stand: 13.10.2024 19:07 Uhr
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