So., 24.03.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Schauspieler Jörg Hartmann zieht Bilanz: "Der Lärm des Lebens"
Über Herkunft, Heimat und Mentalitätsgeschichte
Im "Tatort" aus Dortmund spielt Jörg Hartmann den Parka tragenden Kommissar Peter Faber, einen eigenbrötlerischen Zeitgenossen, der mit lakonischem Sarkasmus seinem Alltag und dem Verbrechen nachgeht. Jetzt hat der Schauspieler ein sehr persönliches Buch geschrieben: "Der Lärm des Lebens", eine Art komprimierte Inventur seines bisherigen Lebensweges. "ttt hat ihn dazu bei Lesung und Gespräch auf der Leipziger Buchmesse getroffen.
Herr Hartmann, wenn man ein Buch schreibt, ist das auch immer eine Reise zu sich selbst, zumal wenn es ein biografisches Buch ist. Was haben Sie über sich selbst gelernt beim Schreiben?
Was habe ich gelernt? Ich glaube, dass ich mit Demut und Dankbarkeit zurückblicken kann auf meine Herkunft, darauf, wie ich in den Siebzigern in einem familiären Umfeld aufwachsen durfte, wie ich sozusagen aus diesem gemachten Bett der kleinen Bundesrepublik gekommen bin. Gerade, wenn man wie jetzt in diesen schwierigen Zeiten lebt, blicke ich in auf dieses kleine, zeithistorische Fenster zurück und es erfüllt mich mit Demut. Ich hoffe, dass ich meinen Kindern das geben kann, was ich als Kind bekommen habe.
Sie haben das Buch Ihrer Familie gewidmet, vor allem auch Ihren Eltern. Und es gibt am Anfang ein Kapitel, wo Sie von einem Besuch bei Ihrem an Demenz erkrankten Vater im Heim erzählen. Ein sehr bewegendes Kapitel. Was bedeutet Ihnen dieser Besuch rückblickend?
Also dieser Besuch bei meinem Vater, der Moment, als ich ins Zimmer kam und er mich erkannte und plötzlich federleicht aus dem Bett hochstieg, was er vorher trotz der Hilfe zweier Krankenpflegerinnen nicht geschafft hat, das war damals so eine traurige, berührende, aber auch schöne Begegnung, dass ich sofort am Abend noch mal Notizen machen musste, um die Erinnerung zu bewahren. Ich wusste, dass die Demenz all seine Erinnerungen auffressen würde und das hat mich schon ziemlich fertig gemacht. Es geht um seine Geschichte, aber auch um die seiner gehörlosen Eltern, meiner Großeltern.
Die Vergänglichkeit ist ein großes Thema Ihres Buches. Haben Sie Angst vor dem Vergessen, vielleicht auch vor dem Vergessen werden?
Das weiß ich gar nicht. Aber ich muss ehrlich sagen, ich habe mit der Vergänglichkeit, damit, dass es irgendwann vorbei ist, ein großes Problem. Es gibt Menschen, die überhaupt kein Problem damit haben, die bewundere ich. Vielleicht fehlt mir da im christlichen Sinne der Glaube, der tröstlich sein könnte, aber den habe ich leider nicht. Ich habe noch so viel vor. Diese Angst vor Vergänglichkeit ist vielleicht auch eine sentimentale Seite von mir.
Sie leben mittlerweile schon lange in der Ecke Berlin-Potsdam. Dennoch ist Ihr Buch auch eine Liebeserklärung an Ihre Heimat im Ruhrgebiet. Warum?
Es hat auf jeden Fall mit dem speziellen Humor zu tun. Man geht nicht zum Lachen in den Keller. Auch in unserer Familie nicht. Mein Vater war eine mittelgroße Knallcharge. Der hat immer seine Späße gemacht. Aber von dort, wo ich her komme, nehme ich auch das Gefühl mit, dass das Glas immer mindestens halbvoll ist. Bei allen Problemen, die die Menschen natürlich auch im Ruhrpott hatten, haben sie es irgendwie geschafft, das Leben in vollen Zügen zu genießen.
Ich glaube, bei der Generation meiner Eltern und Großeltern hat das natürlich noch damit zu tun, dass sie den Krieg erlebt haben. Meine gehörlosen Großeltern standen immer auf der Liste, hat mein Vater immer gesagt. Ihr Leben war auf Messers Schneide. Aber nach dem Krieg haben sie einfach gefeiert bis zum Exzess. Man ist sich begegnet. Dieses ganze Lebensgefühl, das habe ich als sehr wohltuend und als eine Art Nestwärme wahrgenommen. Leider ist uns das heute ein bisschen abhanden gekommen.
Autor: Jens-Uwe Korsowsky
Stand: 24.03.2024 21:51 Uhr
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