So., 26.11.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
„Frauen! Leben! Freiheit!“ – Narges Mohammadi und ihr unermüdlicher Kampf im Iran
Narges Mohammadi: iranische Kämpferin für Menschenrechte. Sie erhält den Friedensnobelpreis, doch entgegennehmen kann sie ihn nicht. Denn sie sitzt in Haft. Als die Nachricht ihrer Auszeichnung durch die Gefängnismauern dringt: Euphorie. „Die Politischen Mitstreiterinnen von Narges, erhoben sich und schrien durch das ganze Gefängnis. Zan, Zendegi, Azadi also Frau, Leben, Freiheit - der Protestruf - und die Wände des Gefängnisses bebten.“, weiß die Journalistin und Orientalistin Natalie Amiri.
Seit Jahrzehnten setzt sich Mohammadi für die Abschaffung der Todesstrafe im Iran ein. Unterstützt politisch Verfolgte, bringt Menschenrechtsverletzungen des Regimes an die Öffentlichkeit. Immer wieder zahlt sie dafür einen hohen Preis. Natalie Amiri macht deutlich: „Narges Mohammadi wurde 15-mal festgenommen, fünfmal verurteilt zu insgesamt 31 Jahren Haft, zu 145 Peitschenhieben. Welcher Mensch? Redet da noch weiter. Und Narges Mohammadi tut es.“
Die lauteste Frauenstimme Irans
Die Journalistin Natalie Amiri kennt den Kampf der Frauen im Iran, hat jahrelang als Korrespondentin darüber berichtet. Für sie ist Mohammadi die lauteste Frauenstimme im Land. Immer wieder übt Mohammadi Kritik am Regime - wie bei ihrer Rede am Grab des hingerichteten Bloggers Sattar Beheshti. Das Video machte Mohammadi weltweit bekannt.
Für ihren Mut bewundert sie auch Menschenrechtsaktivistin Mariam Claren. „Sie ist die wahrscheinlich bekannteste Gefangene, vielleicht sogar weltweit mittlerweile. Sie ist immer wieder aktiv, auch aus dem Gefängnis heraus. Und somit ist sie ja auch eine Gefahr für die Islamische Republik Iran“, betont Claren.
Deshalb wird Mohammadi vom iranischen Regime weggesperrt. Seit zwei Jahren sitzt sie im berüchtigten Evin-Gefängnis im Norden Teherans. Was sich im Inneren der Haftanstalt abspielt, hält sie in ihrem Buch „Frauen! Leben! Freiheit“ fest. Dafür hat sie heimlich Interviews mit weiblichen Gefangenen geführt, erschütternde Zeugnisse von Folter und Vergewaltigung.
Zeitgleich entsteht ihr Film: „White Torture“. Es ist die Bezeichnung für eine Foltermethode, die auch im Evin-Gefängnis stattfindet: enge Isolationszellen, gerade drei mal Meter groß, komplett leer und weiß. Nichts da, woran sich der Verstand festhalten kann. Der Mensch wird psychisch gebrochen. Für Natalie Amiri ist klar: „Die Dokumentation all dieser Verbrechen, die Narges Mohammadi in Ihrem Buch aufführt, ist wichtig für den Tag, an dem dieses Regime zur Rechenschaft gezogen wird. Danach lechzt die iranische Bevölkerung, dass die Verbrecher dieses Regimes eines Tages vor einem internationalen Gericht stehen und dass das, was sie ihnen 44 Jahre lang angetan haben, alles öffentlich wird.“
Berüchtigtes Evin-Gefängnis in Iran lässt die Frauen nicht verstummen
Für mehr Öffentlichkeit kämpft auch Mariam Claren. Ihre Mutter, die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi, sitzt seit 2020 im Evin-Gefängnis. Seit ihrer Jugend engagiert sich Taghavi für die Rechte der Frauen im Iran, wird immer wieder inhaftiert - ähnlich wie Mohammadi, mit der sie sich eine Zelle teilt. Mariam Claren hat regelmäßig Kontakt zu ihrer Mutter und weiß um die katastrophalen Zustände in Haft. „Körperlich geht es ihr sehr, sehr schlecht. Meine Mutter hat durch die lange Isolationshaft und den Druck der letzten drei Jahre mehrfache Bandscheibenvorfälle, Bluthochdruck, Diabetes, erhöhte Rheuma-Werte. Sie ist 69 Jahre alt und was aber wichtig ist zu erwähnen, dass sie keineswegs gebrochen ist“, erklärt Mariam Claren.
Auch Mohammadis Familie, die in Paris im Exil lebt, ist besorgt. Narges Gesundheitszustand ist kritisch. Ihre Zwillinge hat sie zuletzt vor 8 Jahren gesehen. Den Iran verlassen, als es noch möglich war, wollte sie nicht. Sie will von innen heraus Veränderung schaffen, sagt ihr Ehemann Taghi Rahamani, der regelmäßig mit Natalie Amiri telefoniert. Laut ihm sei Narges Haltung, dass sie jede Auszeichnung, jeder Preis darin bestärke für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und gegen die religiöse Tyrannei zu kämpfen. Der Friedensnobelpreis sei wichtig, damit die Stimme des Preisträgers in der ganzen Welt gehört werde.
Doch ein Preis reicht nicht aus. Damit sich im Iran nachhaltig was ändert, braucht es die Unterstützung der iranischen Bevölkerung. Doch seit den Protesten 2022 sei diese komatös, sagt Natalie Amiri.
Deutschland - der wichtigster Handelspartner Irans
Und die internationale Gemeinschaft? Es werden weiterhin Milliardengeschäfte mit der Islamischen Republik gemacht. Deutschland ist wichtigster Handelspartner Irans in Europa. Menschenrechtsaktivistin Mariam Claren ist verärgert: „Ich habe regelmäßig Fremdscham, wenn ich mit Iranerinnen und Iraner spreche und sie mich zu unserer Politik hier befragen. Weil es ist genau diese Doppelmoral, die sie sehen. Auf der einen Seite werden Haare abgeschnitten, ‘Frau Leben Freiheit‘ gehashtagt. Auf der anderen Seite wird der iranische Präsident in die UN eingeladen.“
Auch Natalie Amiri ist über die deutsche Politik verärgert: „Bis auf Worthülsen ist nichts passiert. Bis auf Insta-Auftritte der deutschen Außenministerin, in denen gesagt wurden: Wir stehen an der Seite der iranischen Frauen, ist nichts passiert. Also was sind das für Versprechungen der feministischen Außenpolitik, die in der Realpolitik nicht eingelöst werden?“, kreidet die Journalistin an. Man wolle sich in einer krisenhaften Welt nicht mit dem Regime anlegen, erklärt Amiri. Ohne Druck sei eine Freilassung Mohammadis aber unwahrscheinlich.
Für die iranischen Frauen ist Narges Mohammadi ein Vorbild: Viele tragen trotz strenger Überwachung kein Kopftuch mehr. „Die Frauen in Iran beobachten Narges bei all ihren Aktionen. Und solange es jemanden gibt wie Narges Mohammadi, ist diese Protestbewegung nicht Tod und Narges erinnert die Frauen immer wieder daran, dass sie ein Ziel haben. Und das ist der Regimesturz“, sagt Amiri.
Autorin: Mandana Bareh Foroush
Stand: 05.12.2023 09:56 Uhr
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