So., 21.04.24 | 23:25 Uhr
Das Erste
Deutscher Pavillon: Yael Bartana & Ersan Mondtag
Außen: versperrt ein Haufen türkischer Erde den Haupteingang. Innen: stellt die israelische, in Berlin und Amsterdam lebende Künstlerin Yael Bartana gewaltige Film-Projektionen der Nazi-Architektur entgegen, entwirft die Vision einer utopischen Gemeinschaft, die im Weltall neu gegründet wird. "'Vergangenheitswältigung' das heißt für mich: die Vergangenheit zu überwinden", sagt Yael Bartana. "Mich interessiert auch: Wie überwinden wir die Zukunft? Ich habe für mich 'Zukunftsbewältigung' als völlig neues Wort und neue Aufgabe geschaffen."
Kann man böse Bilder zu guten Bildern machen?
In ihrem Film "Malka Germania" von 2021 taucht die "Welthauptstadt Germania" aus dem Wannsee auf. An dem Ort, an dem die Nationalsozialisten die Endlösung beschlossen hatten, wird gebadet. Yael Bartana treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus. Kann man alles hinter sich lassen? Kann man böse Bilder zu guten Bildern machen, indem man sie völlig neu auflädt? "Meine Kernidee besteht darin, die Welt zu reparieren. Tatsächlich aber zerstören die Menschen gerade den Planeten. Eine kleine Gemeinschaft, ich nenne sie 'Generationenraumschiff', kann die Menschheit noch retten, indem sie die Welt verlässt. Auf diese Weise kann vielleicht auch die Welt repariert werden."
Yael Bartana destilliert ihre Bilder auch aus der Kabbala, den überlieferten Schriften der mystischen Tradition des Judentums. Dort geht es auch um Ekstase, um das Ich und die Welt zu überwinden. "Die Vorstellung von der Apokalypse ist allgegenwärtig, die Ungewissheit. Die Menschen sind sehr besorgt. Man muss also an die Erlösung denken, an die Erlösung der Menschheit, an die Möglichkeit, die Menschheit zu retten. So habe ich das Projekt begonnen. Wenn man sich das Diagramm der Kabbala ansieht, den Baum des Lebens, dann sieht das aus wie ein Raumschiff."
Ernst und Pathos
Sie spielt in ihren Filmen mit der Überwältigungsästhetik der Nationalsozialisten. In ihrer Welt tanzen mythische Naturgeister im neuen "Generationenraumschiff". Die Arbeit funktioniert so gut, weil sie Ernst und Pathos voll durchzieht.
"Ich war völlig geschockt, als ich 2001 eine meiner Arbeit zum ersten Mal in der Reichsakademie in Amsterdam vorstellte", sagt Yael Bartana. "Ich habe Frauen auf dem Militärstützpunkt gefilmt und wurde als Israelin 'Leni Riefenstyle' genannt. Und dachte: 'Wow, das ist hart.' Und habe das dann aber als Vorteil genutzt und es wirklich auf die Spitze getrieben. Das ist fantastisch das hier im Deutschen Pavillon zu haben. Ich beziehe mich auch auf Arno Breker und seine Skulpturen. Ich möchte durch diese schmerzhafte Geschichte gehen, durch dieses Trauma und es irgendwie loslassen, indem ich ähnliche Bilder erschaffe und filme und sie für eine völlig andere Botschaft verwende."
Die beste, vielschichtigste Arbeit seit langer Zeit im Deutschen Pavillon.
Dieser Pavillon, zum Monstrum umgebaut von Hitler, war immer schon ein Problem, dem sich viele Künstler auf ihre eigene Art und Weise gestellt haben. Hans Haacke zertrümmerte den Boden. Anne Imhof brachte Dobermänner und "German Angst". In manchen Jahren wurde es richtig doof: Mal war’s ein Steinkopf. – "Good Morning". Und mal so thrilling wie beim Landesdenkmalamt. Diesmal aber: ist der Pavillon relevant und packend.
Was ist hier drin passiert? Leblose Menschen auf dem Boden. Die Menschen liegen so, dass man über sie hinweg steigen muss, wenn man in den inneren Teil des Pavillons gelangen möchte. "Ich habe das so angelegt, dass das ein Fragment aus meiner Familie ist", sagt der Künstler und Theaterregisseur Ersan Mondtag. "Aber es ist bewusst doppeldeutig angelegt, dass man reinkommt und es könnte auch gerade ein Anschlag gewesen sein. Es können atomare Angriffe sein. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten es zu lesen. Draußen tobt der Krieg. Man hört auch die Arbeit von Yael Bartana. Mit den Trommeln. Es klingt wie eine Apokalypse. Die Welt draußen ist aus den Fugen geraten und im Inneren ist auch alles kaputt. Und dann wird es aber aktiviert. Und plötzlich kommen sie wieder zum Leben. Es ist so, wie wenn man einem von einem Krieg geschädigten Ort betritt und sich vorstellt, wie das Leben dort war. Und diese Perspektive wollte ich dem Publikum geben. Und ich habe überlegt, wo liegt meine Geschichte in der deutschen Geschichte? Und so kam ich dann auf die Biografie meines Großvaters, der als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen ist für Eternit gearbeitet hat und vor dem Rentenalter an Krebs gestorben ist, an den Folgen der Arbeit. Das ist im Grunde eine gesamte Generation von Arbeitern aus dem Ausland, aber auch in der DDR gab es ähnliche Biografien, die überhaupt nicht verarbeitet wurden. Ich wollte diesen Menschen ein Monument, ein Denkmal setzen."
Kaum Luft zum Atmen
Viel Staub. Kaum Luft zum Atmen. "Eine Wohnung, die seit 30 Jahren verlassen ist. Man geht in so einen Abandoned Place rein und stellt sich mit so einer Brille vor und kann die Menschen sehen, wie sie da immer gelebt haben. Und das ist so ein bisschen die Perspektive, die ich dem Publikum gebe."
Stand: 21.04.2024 21:27 Uhr
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