So., 11.02.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Kunst im Krieg – Atelierbesuch in Kiew
Oft übernachtet er mit der ganzen Familie im Atelier, mitten in Kiew: Dort sind die Wände dicker als in der Wohnung und bieten nicht nur den Menschen, sondern auch der Kunst Schutz. Denn Kunst macht Oleksiy Sai immer noch, trotz des Krieges – jetzt erst recht, wenn auch anders als vorher. Sein Stil hat sich komplett verändert, statt farbenfroher, grafischer Werke malt er jetzt düstere Gemälde mit schwarzem Rauch und Einschusslöchern. Doch allein die Tatsache, dass er Kunst macht, ist ein Akt des Widerstandes gegen Putin, der mit seinem Angriffskrieg auch die ukrainische Identität und Kunst zerstören will. Doch wie lebt es sich als Kunst- und Kulturschaffende im beginnenden dritten Kriegsjahr?
Anna Zvyagintseva ist zurück in ihrer vertrauten Umgebung. Sie vertrat ihr Land schon bei der Biennale in Venedig. Als der Krieg begann, war sie für ein Stipendium in den Niederlanden. Dort bleiben kam für sie nicht in Frage: "Es gibt keine rationale Antwort auf die Frage, warum ich zurückgekommen bin. Es gibt nicht den einen Grund. Meine Arbeit hat einfach damit zu tun, was mich bewegt. Und weil mich die Ereignisse hier bewegen, wollte ich sie nicht mehr aus der Ferne spüren."
Der Krieg hat ihre Kunst verändert
Den Angriff auf ihre Heimat verarbeitete Anna Zvyagintseva noch im Exil. So entstanden Arbeiten wie der "nachhaltige Anzug für Invasoren", aus biologisch abbaubarem Material. Inspiriert von einer Erzählung aus dem Krieg. Die Künstlerin erinnert sich: "Da war diese mutige Frau. Sie ging auf russische Soldaten zu und sagte 'Ihr seid bewaffnet in unser Land gekommen. Legt euch Samen in die Taschen - wenn man euch tötet, dann können wenigstens Sonnenblumen an der Stelle sprießen'. Der Anzug ist deshalb so durchsichtig und so verletztlich… Man hört oft den Satz, russische Soldaten seien keine Menschen, sondern Tiere. Und das Tragische ist, dass sie doch Menschen sind."
Der Krieg löste bei vielen Künstlerinnen und Künstlern zunächst den Drang aus, etwas Greifbares, Nützliches zu tun. So ging es Oleksiy Sai. Nach der Invasion ließ er seine Kunst erstmal liegen und gestaltete Protestplakate, die weltweit bei Demos zum Einsatz kamen. "Am Morgen nach der Invasion rief eine Freundin aus New York an und sagte, 'Sie stellen uns am Times Square Videowände zur Verfügung. Mach irgendwas, schnell!' Und dann habe ich mit den Plakaten losgelegt", erzählt Oleksiy Sai. Bekannt wurde er durch seine "Excel"-Serie, die er vor fast 20 Jahren anfing: Farbenfrohe Bilder, als Kommentar zur "digitalen Arbeitswelt" gedacht. Schon 2014, mit dem Beginn des russisch-ukrainischen Konflikts, begann sich seine Arbeit zu verändern. Er zerstörte einige der Excel-Bilder, um Bombenangriffe während des Donbass-Krieges zu illustrieren. Die so entstandenen Werke basieren auf Satellitenaufnahmen zerbombter Landschaften in der Ost-Ukraine. "Ich nahm Bohrmaschine, Akkuschrauber, Kreissäge und habe mich einfach ausgetobt. Die neuen Bilder habe ich aber lange niemandem gezeigt", erinnert sich Sai.
Anfang 2022 war eine Ausstellung seiner "Bombed"-Bilder geplant, in einer renommierten Gallerie in Kyiv. Eröffnungstermin: Ausgerechnet der 24. Februar. "Die Bilder hingen schon, die Vernissage stand bevor. Stattdessen saßen wir dann in der Galerie wie in einem Luftschutzbunker, in den ersten Tagen, als es besonders laut knallte", erzählt der Künstler. Der Krieg zielt auch auf die Kultur – und sorgt bei Künstlerinnen und Künstlern gerade deshalb für neuen Antrieb.
Schöpferische Energien leisten Widerstand
Anna Zvyagintseva ist produktiver als je zuvor, probiert unterschiedlichste Formen und Techniken aus: "Ich bin mutiger geworden. Zweifele nicht mehr so an meinen Ideen, wie ich es früher oft getan habe. Wovor soll ich denn Angst haben? Das Schlimmste, was passieren kann ist, dass deine Stadt zerstört wird, und deine Liebsten verschwinden. Da fühlt es sich falsch an, Angst und Zweifel in der eigenen Werkstatt zu haben."
Die Künstlerin erklärt: "Wir alle sehen die Ruinen, die Verwundeten, die zerschossenen Wälder. Wir sind alle mit den gleichen Bildern konfrontiert und als Künstler reagieren wir darauf. Manche Werke mögen vielleicht voreilig und oberflächlich wirken - aber später können sie aussortiert und von Werken mit mehr Tiefgang abgelöst werden."
Oleksiy Sai kann jederzeit einberufen werden. Derweil stellt er sich mit seiner Kunst dem Schrecken des Krieges: Eine Video-Collage des Künstlers wurde weltweit ausgestellt. Ein Manifest gegen das Weggucken. Als Ablenkung von dem Grauen der realen Bilder, malte er Rauchschwaden. „News“ heißt diese Serie, die inzwischen 350 Stück umfasst. "Jede Kunstform ist gerade vom Krieg geprägt. Manchmal kehre ich zur freien Kunst zurück, aber dann kommt wieder irgendwas Anderes, das ich dringend tun muss", erklärt Sai.
Wichtig ist, dass trotz Krieg überhaupt Kunst entsteht. Damit das Interesse an der Ukraine auch auf kultureller Ebene bestehen bleibt. Das ist die Botschaft von Anna Zvyagintseva und anderen ukrainischen Künstler*innen.
(Beitrag: Yasemin Ergin)
Stand: 11.02.2024 19:54 Uhr
Kommentare