Sa., 28.03.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Alterssimulation: Altern für die Forschung
Wie es sich anfühlt, alt zu sein, können sich jüngere Menschen oft schwer vorstellen. Doch in Anbetracht des demografischen Wandels wird es immer wichtiger, unseren Alltag an die Bedürfnisse im Alter anzupassen.
Die eigenen vier Wände altersgerecht umbauen
Der Alltag älterer Menschen birgt viele Herausforderungen. Nicht nur beim Einkaufen, sondern auch beim Fortbewegen in den eigenen vier Wänden – das Leben im Alter ist mühsamer, anstrengender, langsamer. Wie lässt es sich erleichtern? Das wird im Test- und Demonstrationszentrum "WohnXperium" unter Mitwirkung der TU Chemnitz erforscht. Das ist eine Art Modellwohnung mit verschiebbaren Wand- und Einrichtungselementen, um auszuprobieren, welcher Wohnraum den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht wird. Also wie groß beispielsweise Räume sein sollten, damit sich Senioren mit Rollator oder auch Pflegekräfte darin ungehindert bewegen können. Die Forscher bieten Workshops für Architekten und Planer, bei denen sich die Probanden mit dem Alterssimulationsanzug durch die Simulationswohnung bewegen. Die Erkenntnisse helfen ihnen bei der Entwicklung von Raumkonzepten für Altersheime oder auch für die altersgerechte Umgestaltung der eigenen vier Wände.
Wie fühlt es sich an, alt zu sein?
Alles basiert auf den Erkenntnissen, die der Alterssimulationsanzug liefert. Workshops mit diesem Anzug ermöglichen es Architekten, Planern oder auch Möbeldesignern, von jetzt auf gleich 40, 50 oder 60 Jahre älter zu werden. Eine spezielle Brille simuliert Seheinschränkungen, spezielle Gehörschützer reduzieren akustische Signale und Handschuhe das Fühlen, also die haptische Leistungsfähigkeit. Auch die maximale Muskelkraft, Ausdauer, Gelenkbeweglichkeit und die Schnelligkeit der Bewegungen werden mit dem Anzug gezielt eingeschränkt: mithilfe von Gelenkmanschetten oder Bandagen, die um Kniegelenk beziehungsweise Ellenbogengelenk angelegt werden. Und eine Art Rückenpanzer setzt die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule herab. Zur Simulation der im Alter zu erwartenden Kraftabnahme werden Gewichte genutzt, die im gesamten Anzugskonzept oder partiell integriert sind. Es gibt mehrere Typen des Anzugs mit jeweils unterschiedlichen Einschränkungsgraden, die unterschiedliche Altersphasen simulieren können. All das fließt dann in die Umgestaltung von Räumen ein – im "WohnXperium", aber auch im echten Leben.
Altersgerecht Wohnen nach neuestem Forschungsstand
In den Wohnungen der Wohngenossenschaft Döbeln wurden die Erkenntnisse der Forschung bereits umgesetzt. Teilweise wurden Türen verbreitert und Badewannen entfernt und durch begehbare Duschen ersetzt. Die Bäder sind außerdem farblich so gestaltet, dass sich Senioren gut darin zurechtfinden können und haben Vorrichtungen wie Haltegriffe, um die nötige Sicherheit zu gewährleisten. Auch der Wahl der richtigen Möbel wurde in den Wohnungen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. So haben die Küchen Schubfächer, die für ältere Menschen gut bedienbar sind, oder Betten, die ausreichend hoch sind, damit sich Senioren nicht zu weit nach unten setzen müssen und selbstständig wieder aufstehen können.
Denn menschliche Fähigkeiten verändern sich im Laufe des Alterungsprozesses. Besonders schlechteres Sehen kann zu deutlichen Einschränkungen bei der Bewältigung von Alltagsaufgaben führen. So engt sich beispielsweise das Gesichtsfeld ein und die Erkennungsleistung in den peripheren Bereichen ist reduziert. Das Schärfesehen lässt im Alter nach, sowohl für kurze als auch für weite Distanzen. Ein 60-Jähriger Mensch verfügt bei einem Sehabstand von zwei Metern durchschnittlich über nur 56 Prozent der Sehleistung eines 20-Jährigen. Ab dem 40. bis 50. Lebensjahr lässt die Kontrast- und ab dem 60. Lebensjahr die Farbwahrnehmung nach. Die Lichtmenge im violetten, blauen und grünen Bereich wird deutlich reduziert, was dazu führt, dass Blau-Gelb-Kontraste nicht mehr wahrgenommen werden können. Zusätzlich erhöht sich im Alter das Risiko für die altersbedingte Makuladegeneration (AMD), ein Glaukom (Grüner Star) oder den Katarakt (Grauer Star). Und der demografische Wandel verschärft die Situation.
Virtual Reality revolutioniert die Produktentwicklung
Durch den demografischen Wandel rechnet der Bundesverband der Augenärzte (BVA) bis zum Jahr 2030 mit 7,7 Millionen zusätzlichen Behandlungsfällen aufgrund altersbedingter Augenkrankheiten. Diese Entwicklung erfordert, dass unser Umfeld und auch Gegenstände, die wir täglich nutzen, wie etwa das Telefon, die Fernbedienung, die Kaffeemaschine oder Möbelstücke, an diese Veränderungen angepasst werden müssen.
Vor dieser Herausforderung stehen Produktentwickler, Planer und Architekten. Um sie für die Bedürfnisse älterer Menschen zu sensibilisieren, haben die Forscher der TU Chemnitz eine Virtual-Reality-Applikation entwickelt, mit deren Hilfe jüngere Menschen altersbedingte und pathologische Seheinschränkungen, wie beispielsweise die Makuladegeneration, mittels einer VR-Brille nacherleben können. Die Erkenntnisse sollen helfen, beispielweise Wandfarbkonzepte altersgerecht zu wählen oder technische Geräte wie Telefone oder Fernseher so zu designen, dass sie in Bezug auf Farben oder Kontraste für Senioren erkennbar und bedienbar sind. Und so helfen die Forscher der TU Chemnitz mit ihren Alterssimulationen, dass Senioren ihre Einschränkungen im Alltag in Zukunft öfter vergessen können.
Autorin: Verena Ziegler (WDR)
Stand: 26.03.2020 17:10 Uhr