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Neue Reaktoren braucht das Land?

Atom-Ausstieg: Schafft es Deutschland ohne Kernenergie? | Video verfügbar bis 06.03.2026 | Bild: picture alliance / dpa / Oliver Berg

Könnten neue Reaktoren unser Atommüll-Problem weitgehend lösen? Sie sollen strahlende Abfälle wiederverwerten und obendrein Energie liefern. Klingt märchenhaft. Was kann die sogenannte Transmutation wirklich?

In Transmutationsanlagen und -Reaktoren könnten sich hoch radioaktive Spaltprodukte teilweise umwandeln lasse: Die Halbwertszeit des nuklearen Abfalls würde sich damit stark reduzieren. Das bedeutet: Mit der Technologie könnte ein Teil der radioaktiven Abfälle aus den aktuell betriebenen Atomkraftwerken "entschärft" werden. Eine sichere Endlagerung wäre dann nicht mehr für eine Million Jahre nötig, sondern nur noch für etwa 500 bis 1.000 Jahre. Das Verfahren ist auf Laborniveau bereits seit 1964 bekannt. Es könnte sogar, neben der Entschärfung des hochproblematischen Atommülls, zusätzlich Energie liefern:

Bei der sogenannten beschleunigerbetriebenen Variante der Transmutation werden über einen Teilchenbeschleuniger indirekt Neutronen auf die radioaktiven Abfälle geschossen. Dadurch spalten sich diese teilweise in weniger radioaktive Stoffe auf. Mit dem Teilchenbeschleuniger lässt sich der Prozess im Vergleich zu konventionellen Reaktoren gut kontrollieren: Das Risiko eines nuklearen GAUs sinkt.

Erprobung im großen Stil steht noch aus

Die Forschungsanlage MYRRHA als Grafik
Geplante Forschungsanlage MYRRHA: In Belgien soll die Transmutationstechnologie weiter erforscht werden. | Bild: SWR

Allerdings müssen die stark radioaktiven Stoffe, die Transurane, durch aufwendige chemische Prozesse aus den Brennstäben gelöst werden. In Wiederaufbereitungsanlagen wie La Hague oder Sellafield wird arbeitet man bereits damit. Das Verfahren ist wegen seiner Komplexität und des damit verbundenen Risikos allerdings stark umstritten.

Unter Laborbedingungen läuft die Transmutation bereits. Bis sie allerdings praxistauglich ist, wird es noch dauern. In der geplanten belgischen Anlage MYRRAH soll die Forschung bis zur möglichen Standardisierung weiterbetrieben werden.

Ein Gutachten für den Bundestag aus dem Jahr 2015 beschreibt zwar erhebliche Schwierigkeiten für den Betrieb der Transmutation in Deutschland, hält aber die Beteiligung deutscher Wissenschaftler*innen an der internationalen Forschung trotzdem für sinnvoll.   

Zu kompliziert, zu aufwendig, zu teuer?

Kritiker unter den Fachleuten halten die Technologie für nicht ausgereift, zu aufwendig und störanfällig. Gleichzeitig löse sie das Endlagerproblem nur teilweise, da immer noch hochradioaktive Abfälle anfallen, die in ein Endlager müssten, wenn auch in deutlich geringerem Umfang. Ein weiteres Problem: Das Verfahren benötigt für die Umwandlung aller Transurane mehrere Durchläufe. Jeder dieser Durchläufe erfordert den gleichen aufwendigen Aufbereitungsprozess, also ständiges Arbeiten mit hochradioaktiven Stoffen. Das erhöht einerseits das Risiko eines Störfalls und andererseits die Dauer des gesamten Transmutationsprozesses: Für die Umwandlung des gesamten deutschen Atommülls veranschlagen Fachleute daher einen Zeitraum von 150 bis 170 Jahren. Und wir bräuchten Aufbereitungsanlagen, über die Deutschland aktuell nicht verfügt. Auch die Zwischenlagerung müsste verlängert werden – noch ein ungelöstes Problem. Entsprechend kämen zu den Kosten der Endlagerung auch noch die Forschungs-, Bau- und Betriebskosten. Damit sei das Verfahren zu teuer, so die Kritik.

Stand heute ist die Technologie also noch längst nicht so weit, dass sie irgendeines der bestehenden Probleme in absehbarer Zeit lösen könnte. Im Gegenteil: Einem aus deutscher Sicht überschaubaren Nutzen stehen hohe Kosten und Risiken gegenüber. Für Länder wie China, Russland oder Frankreich, die auch in Zukunft auf die Atomkraft setzen, könnte die Rechnung anders ausfallen und sich die Transmutation eventuell lohnen. Denn dort werden auch weiterhin große Mengen an Atommüll anfallen und das Endlagerproblem damit noch weitaus größer sein als in Deutschland.

Autor: Niels Waibel (SWR)

Stand: 04.03.2021 19:46 Uhr

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