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Wie Klimadeiche uns vor dem steigenden Meeresspiegel schützen sollen

Klimadeich in Norderhafen auf Nordstrand aus der Vogelperspektive.
Der Klimadeich in Norderhafen auf Nordstrand  | Bild: NDR

"Keen nich will dieken, de mutt wieken“: Wer nicht deichen will, muss weichen. Dieses alte plattdeutsche Sprichwort beherzigen die Menschen an den Küsten Norddeutschlands schon seit Jahrhunderten und stellen den Fluten der Nordsee immer mächtigere Deiche entgegen. In Zeiten des Klimawandels sind diese Bollwerke gegen die See wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Die Antwort der Küstenschützer auf die steigenden Meeresspiegel ist der Klimadeich: Acht bis neun Meter hoch, weitere eineinhalb Meter Ausbaureserve und bis zu 130 Meter breit.

Mensch gegen Meer – Eine (un)endliche Geschichte

Ein Deich und verschiedene Querschnitte draufgezeichnet.
Deichbau – ein Jahrhunderte langer Lernprozess | Bild: NDR

Bevor die Bewohner der Nordseeküste die ersten Deiche bauten, wählten sie eine andere Methode um sich, ihr Vieh und ihr Hab und Gut vor Überflutungen zu schützen: Sie bauten ihre Höfe und Siedlungen auf Anhöhen und Erhebungen in der Landschaft. Nicht an tief gelegenen Orten und schon gar nicht direkt an der Wasserkante.

Die ersten richtigen Deiche, sogenannte Ringdeiche, lagen daher auch nicht an der Küste, sondern etwas weiter im Hinterland. Die mit 1,20 Meter bis 2,80 Meter nicht besonders hohen Erdwälle umringten landwirtschaftliche Flächen und Siedlungsgebiete. Im Laufe der Jahrhunderte trauten sich die Menschen immer näher ans Meer, rangen ihm mit Hilfe von Eindeichungen sogar Land ab und experimentierten mit neuen Techniken und Baustoffen im Deichbau.

Die Stackdeiche zum Beispiel, mit ihren bis zu vier Meter hohen Außenwänden aus Holzbohlen, sahen bestimmt beeindruckend aus, hielten den Wellen allerdings nicht lange stand. Denn, das ging auch den Deichbauern irgendwann auf: Egal gegen welches Material Wellen mit voller Wucht krachen, ihrer Gewalt hält auf Dauer nichts stand. Der Kraft des Meeres muss man mit Sanftheit begegnen.

Mit Sanftheit gegen tobendes Meer

Grafik: Querschnitt eines Klimadeiches
Hoch, breit, sanft – Bollwerk Klimadeich | Bild: NDR

Und so wurden ab dem späten Mittelalter die Deiche nicht nur höher, sondern vor allem breiter. Das ermöglichte eine lange, sanft ansteigende Seeseite, an der sich die Wellen ganz allmählich totlaufen. Aber das war leichter gesagt als getan: Trotz dieser Erkenntnis brachen die Deiche an der Nordseeküste immer wieder, denn bis in die Neuzeit war man technisch gar nicht in der Lage Deiche so breit zu bauen, dass sie, bei ausreichender Höhe, den erforderlichen Neigungswinkel aufweisen.

Heute haben die Deichbauer das Wissen und die technischen Mittel, um Deiche zu bauen, die nach den neusten Berechnungen selbst den Sturmfluten in 100 Jahren noch standhalten können. Das Idealmodell des Klimadeiches hat eine Breite von 130 Metern bei einer Höhe von 8 bis 9 Metern. Zusätzlich ist die Deichkrone so breit, dass zur Not noch eine weitere Deich-Erhöhung aufgesetzt werden kann. "Mit diesen Deichen", so Fabian Lücht vom Landesbetrieb Küstenschutz, "ist Schleswig-Holstein gegen den Klimawandel gewappnet." Vorerst zumindest.

Nach der Eiszeit: Land unter im ganz großen Stil

Grafik: Landmasse zwischen England und Norddeutschland
In der Eiszeit noch möglich: Zu Fuß von Hamburg nach London. | Bild: NDR

Am Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren, war weltweit so viel Wasser in riesigen Eisschilden gebunden, dass der Meeresspiegel in Nordeuropa ganze 60 Meter tiefer lag als heute. Die damals lebenden Menschen konnten also trockenen Fußes vom heutigen Schleswig-Holstein ins heutige England wandern. Die einst riesige Landmasse dazwischen nennen wir heute Doggerland: Eine grüne Landschaft durchzogen von Flüssen, gespickt mit einigen Hügeln, besiedelt von unseren eiszeitlichen Vorfahren und zahlreichen Tieren.

Durch das weltweite Abschmelzen der Eisschilde begann diese Landschaft vor etwa 8.500 Jahren unterzugehen. Die Meeresspiegel stiegen und innerhalb weniger Jahrhunderte versank Doggerland für immer in den Fluten der Nordsee. Die damals lebenden Menschen, haben diesen Wandel sicher wahrgenommen, jedoch eher nicht als existenzbedrohend. Denn sie waren mobil. Als Jäger und Sammler bauten sie keine festen Häuser oder Siedlungen und waren so in der Lage dem neuen Wasser einfach auszuweichen.

Heute haben die Menschen in den norddeutschen Küstenregionen viel zu verlieren. Sie können und wollen nicht einfach ihre Höfe, Siedlungen und Städte aufgeben und ein bisschen weiter ins Hinterland ziehen. Stattdessen haben sie ein mehrstufiges System entwickelt, um ihren Lebensraum vor dem Untergang zu schützen.

Das Vorland

Mit Reisig gefüllte Zäune im Watt.
Lahnungsfelder – an vorderster Front im Küstenschutz. | Bild: NDR

Küstenschutz beginnt schon ein paar 100 Meter vor dem Deich, im sogenannten Vorland. Dort stehen Hunderte Kilometer niedriger Doppelreihen aus Holzpfosten, gefüllt mit Buschwerk. Diese Lahnungen stehen im rechten Winkel zueinander und bilden so Lahnungsfelder. Sie erfüllen gleich zwei Aufgaben. Zum einen beruhigen sie die See. Die Lahnungen verwirbeln das Wasser im unteren Bereich der Wellen und rauben ihnen so schon mal ein bisschen Kraft auf dem Weg Richtung Land. Zum anderen sorgen die Lahnungen für ein höheres Vorland. Bei Flut fließt das Wasser in die Lahnungsfelder, wo es zur Ruhe kommt und die mitgeführten Schwebstoffe sich absetzen können. Die Lahnungsfelder werden durch eigens ausgehobene Gräben, sogenannte Grüppen oder Grüppel, entwässert. Sind die Felder ausreichend hoch verschlickt, werden die Grüppen weiter ausgehoben, wobei der Aushub genutzt wird, um das Wattland zwischen den Grüppen weiter zu erhöhen.

Das Hinterland

Direkt hinter dem Vorland erheben sich die neuen Klimadeiche. Sie schützen das Land dahinter zwar vor den steigenden Meeresspiegeln, sie versperren aber auch Regen-, Fluss- und Quellwasser ihren Weg ins Meer. Da der Klimawandel vor allem auch für mehr Starkregen sorgen wird, spielt die Entwässerung des Hinterlandes eine immer größere Rolle.

Damit das niedrig gelegene Hinterland nicht vollläuft, heben die Menschen dort schon seit Jahrhunderten Gräben aus. In diesen Entwässerungsgräben sammelt sich das überschüssige Wasser aus Feldern, Weiden und Wiesen und fließt zu den größeren Flüssen und Strömen, die das Land ins Meer entwässern. Dabei stehen oft schon im Hinterland Deiche im Weg. Denn hier haben die Menschen dem Meer schon vor langer Zeit immer wieder Land abgerungen, in dem sie Vorland eingedeicht haben. Die alten Deiche haben sie stehen gelassen. An vielen Stellen müssen Schöpf- und Pumpwerke dabei helfen, das Wasser (unter den alten Deichen hindurch) weiter Richtung Meer zu befördern.

Die Siele

Siel auf Nordstrand aus der Vogelperspektive.
Letzte Station Siel - von hier aus strömt das Wasser in die Nordsee | Bild: NDR

Hinaus in die Nordsee gelangt das Wasser aus dem Hinterland über sogenannte Siele. Diese Bauten sitzen wie große Ablaufventile in den Landesschutzdeichen. Unter dem Sielgebäude befinden sich Sielkammern mit Toren. Die Sielwärter können sie öffnen, schließen und bei Sturmflut sogar hermetisch abriegeln. In der Regel läuft die Entwässerung aber von allein. Die Sieltore sind so gebaut, dass sie sich bei Druck von vorne – bei Flut – verschließen. Bei einsetzender Ebbe wird der Druck des Wassers aus dem Hinterland irgendwann höher als der Druck des Meeres von vorne. Dann öffnen sich die Tore und das Wasser aus dem Hinterland kann ins Watt ablaufen.

Doch auch hier führt der Klimawandel absehbar zu Problemen. Wenn der Meeresspiegel der Nordsee steigt, werden die Ebbe-Phasen, in denen sich die Sieltore öffnen können, kürzer. Gleichzeitig wird mehr und häufigerer Starkregen für die Zukunft vorhergesagt, das heißt: mehr Wasser im Hinterland. Um diese Situation zu entschärfen planen die Landesbetriebe Küstenschutz die Siele in Zukunft mit Pumpen aufzurüsten.

Autorin: Julia Schwenn (NDR)

Stand: 26.03.2021 15:05 Uhr

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Sa., 27.03.21 | 16:00 Uhr
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