Sa., 15.02.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Lichtverschmutzung durch Kunstlicht
Erst vor rund 100 Jahren begann der Mensch, seine Umwelt künstlich zu beleuchten. Viele Organismen sind dadurch mit Lebensbedingungen konfrontiert, auf die sie sich evolutionsbiologisch noch gar nicht einstellen konnten. Bei der Auswertung globaler Satellitendaten stellten Forscher fest, dass weltweit die Nacht immer weiter verschwindet: Pro Jahr wächst die Intensität des künstlichen Lichts und die Größe der beleuchteten Fläche um rund zwei Prozent.
Das muss sich ändern fordert die erste Nachtschutzbeauftragte Deutschlands: Sabine Frank. Durch ihr Engagement ist das Biosphärenreservat Rhön mittlerweile zu einem Sternenpark und die Stadt Fulda zur ersten deutschen Sternenstadt geworden.
Suche nach Lichtsünden
Ein Abend Ende Oktober: Wir begleiten Sabine Frank auf der Suche nach Lichtsünden, in ihrer Heimatstadt Fulda. Es dauert nicht lang bis sie die erste entdeckt: Eine hell angestrahlte Platane auf dem Hochschulcampus. Der Baum ist noch belaubt, während die anderen Platanen auf dem Gelände ihre Blätter bereits abgeworfen haben – eine Folge von zu viel Kunstlicht in der Nacht. Durch die Bodenstrahler ist es für den Baum im Herbst viel zu hell. Dadurch wird er vermutlich in seinem Rhythmus gestört und erhält kein Signal zum Entlauben. Mit einem Luxmeter misst und dokumentiert Sabine Frank die Lichtstärke. Das Gerät zeigt Werte über 150 Lux an – und das ist viel zu hell. 5 Lux ist die Mindestanforderung für Plätze und Wege. Obergrenzen gibt es bisher keine und deswegen kann jeder so viel und hell beleuchten wie er will. Das will Sabine Frank ändern. Ihr Job ist es Behörden, Bauherren und Unternehmen aufzuklären und zu beraten, wie eine "umweltverträgliche" Lichtgestaltung aussieht.
Nicht nur Bäume, sondern fast alle Lebewesen sind auf einen natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus eingestellt. Und der kann durch zu viel Licht in der Nacht durcheinander geraten. Der menschliche Körper produziert bei Dunkelheit das Hormon Melatonin und stellt sich damit auf das Schlafen ein. Ist es zu hell, wird die Produktion gestört. Das kann nicht nur zu Schlafproblemen führen, sondern auch den Stoffwechsel durcheinanderbringen und Regenerationsprozesse beeinträchtigen. Studien zeigen, dass auch Tiere unter zu viel Licht in der Nacht leiden. Zum Beispiel beginnen Amseln in Städten früher zu singen. Zugvögel werden durch die Lichtglocken über Städten orientierungslos, das helle abstrahlende Licht verwirrt sie.
Die Konsequenzen davon sind heute noch unklar. Es wird geforscht, aber Ergebnisse gibt es noch nicht. Auch Lebewesen in Gewässern werden durch das nächtliche Licht beeinträchtigt, das haben Berliner Forscher getestet. Normalerweise kommen in der Nacht Wasserflöhe an die Oberfläche und fressen dort Algen. Das hält das Ökosystem intakt. Ist es zu hell, kommen die Flöhe nicht nach oben und fressen so auch weniger Algen. Dadurch kann das Ökosystem aus dem Gleichgewicht geraten.
Forschungsprojekt "Verlust der Nacht"
"Verlust der Nacht" ist der Name eines Forschungsprojektes im Westhavelland. Hier geht es um die Frage, wie es sich auf die Natur auswirkt, wenn es gar nicht mehr dunkel wird. Das Projekt wird im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) gefördert.
Sibylle Schroer vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) koordiniert das Projekt. Sie und ihre Kollegen haben auf einer einst dunklen Wiese 12 Straßenlaternen aufgebaut. Derzeit untersuchen sie, wie dieses Kunstlicht in der Nacht auf Insekten wirkt. Monatlich von März bis Oktober fangen die Forscher dazu Insekten mit speziellen Fallen. Erstes Ergebnis: Das Licht der Laternen lockt bis zu 70 Prozent mehr Insekten an. Das zeigen die Vergleichswerte auf einem dunklen Kontrollfeld. Die Forscher haben unter anderem nachweisen können, dass durch die Beleuchtung die Partnersuche der Insekten unterbrochen wird. Denn sie kreisen bis zur Erschöpfung um die Lichtquelle oder sie werden von Beutefeinden gefressen. Auch der Geruch, der von den Weibchen ausgesandt wird, um die Männchen anzuziehen, nimmt in der Qualität und der Menge ab.
Im zweiten Schritt will Sibylle Schroer mit ihrem Team nun herausfinden, wie sich unterschiedliche Lampen auf die Insekten auswirken. Zunächst verwendeten sie dazu Natriumdampflampen mit 1.800 Kelvin. Seit 2015 testen die Forscher nun helleres LED-Licht mit 3.000 Kelvin. Normalerweise sind Insektenaugen im UV- und Blaulichtbereich sehr empfindlich und deswegen gingen die Forscher davon aus, dass Insekten von kaltweißen Leuchten, also in diesem Fall den LED-Leuchten, stärker angezogen werden als von den warmweißen, den Natriumdampfleuchten. Sie stellten aber fest, dass es kaum einen Unterschied gibt. Das könnte bedeuten: Gibt es nur eine Lichtquelle, dann fliegen annähernd genauso viele Insekten hinein, egal in welcher Farbe sie leuchtet.
Neue Lampen, die die Insekten nicht sehen können
Einen großen Einfluss hat hingegen die Leuchtmittelgeometrie, also wohin die Leuchte strahlt. Deshalb wollen die Forscher nun gemeinsam mit der TU Berlin eine Lampe entwickeln, die die Insekten gar nicht erst sehen können. Dazu soll das Leuchtmittel so abgeschirmt werden, dass die Beleuchtung nur noch auf dem Menschen oder auf der Fahrbahn zu sehen ist. Wenn das gelingt, würden nicht nur weniger Insekten angezogen, sondern auch Vögel und Menschen weniger geblendet. Die neuen Leuchten sollen 2021 in Fulda getestet werden, das hat die Nachtschutzbeauftragte Sabine Frank durchgesetzt.
In Fulda hat sie auch schon an anderer Stelle bereits viel erreicht: Am Dom, wo einst ebenfalls die Bäume hell angestrahlt wurden und ihr Laub nicht abwarfen, leuchten die Lampen jetzt nur noch nach unten auf die Wege. In der Altstadt, wo das Licht der Straßenlampen einst sehr hell und grell war, leuchten jetzt LEDs dunkler und orange, mit einer Lichttemperatur von weniger als 3.000 Kelvin. Davon profitiert auch der Mensch: Warmes Licht blendet nicht, ist außerdem gemütlicher und es streut weniger in den Nachthimmel. Einziger Nachteil: Es verbraucht etwas mehr Strom im Vergleich zu den kaltweißen LEDs. Das ist wohl der Hauptgrund, warum viele Städte in Deutschland ihre Lampen auf sehr weiße Leuchtdioden mit mehr als 4.000 Kelvin umgerüstet haben.
Fulda ist die erste Stadt in Deutschland, die gegen diese Entwicklung vorgeht. Anfang 2019 ist die Stadt am Fuße der Rhön von der International Dark Sky Association zur ersten Sternenstadt Deutschlands auserkoren worden. Die Organisation mit Sitz in Tucson, Arizona, kämpft seit 30 Jahren gegen die weltweite Lichtverschmutzung. Um den Titel zu behalten, muss Fulda immer weiter Lichtsünden minimieren und so hat Sabine Frank weiterhin viel zu tun. Sie fordert klare Regelungen gegen die Lichtverschmutzung, sowohl für die private als auch für öffentliche und gewerbliche Beleuchtung. Sie ist der Meinung, dass man die Lichtverschmutzung nur mit Maximal-Grenzwerten in den Griff bekommen kann, das ist ihr großes Ziel und dafür will sie kämpfen: Damit die Nacht wieder mehr zu dem wird, was sie einst war: ein dunkler Lebensraum!
Aurorin: Nina Schmidt (HR)
Stand: 15.02.2020 17:31 Uhr