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Was ist der Meeresspiegel?

Gracht in Amsterdam
1879 übernahm Preußen den Amsterdamer Pegel als Nullpunkt für Höhenmessungen. | Bild: NDR

"Meeresspiegel" nennt man das Höhenniveau der Meeresoberfläche. Soweit sind sich alle einig – aber das heißt nicht viel. Gibt es einen oder mehrere Meeresspiegel? Wo, wie und wann wird gemessen? Und steigt er eigentlich überall? Soviel vorab: Der Meeresspiegel ist reichlich unzuverlässig und bisweilen nicht nur eine geografische, sondern auch eine politische Größe.

Wie viele Meeresspiegel gibt es?

Grafik mit einem Magma-Kern und am Rand Festland mit Indien
Je heißer das Magma, desto weniger Meerwasser wird angezogen.  | Bild: NDR

Kurz gesagt: unzählige. Obwohl die Weltmeere alle miteinander verbunden sind, gleicht sich der Wasserstand nicht an. Das liegt nicht nur an Wind, Strömungen und Gezeiten, die dafür sorgen, dass sich die Wasseroberfläche der Meere ständig verändert, sondern auch daran, dass physikalische Kräfte an den Meeren zerren. Da sich warmes Wasser ausdehnt gilt: Je wärmer ein Meer, desto höher steht das Wasser. Und da salziges Wasser eine höhere Dichte hat ist klar: Je salziger ein Meer, desto niedriger das Wasser.

Auch wenn ein Meer spiegelglatt aussieht – die Oberfläche hat deutliche Beulen und Dellen. Vor Indien fahren Schiffe in ein regelrechtes Tal hinein: Die Delle im Meer ist hier so tief, dass das Wasser etwa 120 Meter unter dem mittleren Meeresspiegel steht. Der Grund dafür liegt nicht im Wasser, sondern tief in der Erde. Das Magma im Erdmantel ist vor Indien besonders heiß und flüssig. Deshalb besitzt es eine geringere Dichte und übt weniger Anziehungskraft auf das Wasser aus. "Die Delle vor Indien bildet sich, weil das Wasser zu Regionen mit höherer Anziehungskraft weggezogen wird", erklärt Dr. Christoph Förste vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam (GFZ). Wo die Magma kühler und zähflüssiger ist und daher eine höhere Erdanziehungskraft ausübt, bildet sich im Gegenzug eine Beule im Meer. "Wie bei Neu-Guinea", erklärt Förste. Dort steht das Wasser etwa 80 Meter höher als im globalen Durchschnitt.

Wer hat die richtige Null?

Jede Messung beginnt bei Null – sagt sich so einfach. Aber wo ist Null? Im 17. Jahrhundert begannen die großen Seefahrernationen in Europa damit, Höhen vom Meer aus zu messen und exportierten diese Idee mit ihren Eroberungszügen in die ganze Welt. Das Ergebnis: Ein wildes Durcheinander. Denn dass die Meere völlig unterschiedliche Höhen haben, war damals noch nicht wirklich klar. "Allein in Frankreich gab es im 19. Jahrhundert noch Hunderte unterschiedliche Nullpunkte", erklärt Prof. Wilko von Hardenberg vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Das änderte sich erst mit dem Bau der Eisenbahn: Seit 1860 entsprechen null Meter in Frankreich nun dem mittleren Meeresniveau in Marseille.

Nullpunkt: Chaos mit Folgen

Gracht in Amsterdam
1879 übernahm Preußen den Amsterdamer Pegel als Nullpunkt für Höhenmessungen. | Bild: NDR

Doch das Chaos innerhalb Europas ist bis heute geblieben: Die deutsche Null zum Beispiel liegt 27 Zentimeter über der französischen Null, weil sie dem niederländischen Maß entspricht, das den Amsterdamer Pegel nach einem historischen Hochwasserstand definiert. Die Österreichische Null wiederum wird in Triest gemessen und liegt 34 Zentimeter unter der deutschen. Osteuropa misst nach dem Kronstädter Pegel, der etwa 14 Zentimeter höher ist – die Liste ist schier endlos und so unübersichtlich, dass es bis heute bei grenzübergreifenden Bauprojekten immer wieder zu Problemen führt.

2004 musste der Bau der Rheinbrücke bei Laufenburg, die Deutschland und die Schweiz verbinden sollte, zunächst gestoppt werden. Den Ingenieuren war bei der Planung zwar bewusst, dass die Schweizer Null von der Deutschen abweicht. Doch anstatt die Brücke 27 Zentimeter höher zu bauen, wie es notwendig gewesen wäre, setzten sie sie weitere 27 Zentimeter tiefer. Um das auszugleichen blieb den Brückenbauern schließlich nichts anderes übrig, als das deutsche Ufer tiefer zu legen.

Lässt sich das nicht vereinheitlichen?

Seit den 1990er-Jahren versucht die EU, einen gemeinsamen Nullpunkt zu bestimmen. Doch der Versuch, den Amsterdamer Pegel in ganz Europa zu etablieren, hat bisher nicht weit geführt. Weil das Mittelmeer tiefer liegt als die Nordsee würden – entlang der italienischen Küste gemessen – nach dem Amsterdamer Pegel auf einmal zahlreiche Orte unter Null liegen, ohne tatsächlich zu versinken. Das könnte zu praktischen Problemen führen: Zum Beispiel müsste beim Bauen ständig mit Werten unter Null gerechnet werden. Für eigentlich entscheidend hält Wissenschaftshistoriker Prof. Wilko von Hardenberg jedoch andere Faktoren: "Es ist vor allem ein psychologisches Problem. Und ein Problem der nationalen Ehre." Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde erstmals versucht, in Europa einen einheitlichen Nullpunkt zu definieren. Doch die "Mitteleuropäische Gradmessungs-Kommission" scheiterte – ebenso wie alle späteren Initiativen.

Steigen die Meeresspiegel?

Grafik mit einem Stück Landmasse und davor ein Einsbrocken
Wenn das Eis schmilzt, steigt das Wasser nicht überall gleich stark. | Bild: NDR

Ja! Und nein. Je nachdem wo gemessen wird. Wenn der Eispanzer von Grönland durch den Klimawandel in den nächsten Jahrhunderten komplett abschmelzen würde, könnte allein das den Meeresspiegel an vielen Orten um sieben Meter ansteigen lassen. Grönland hingegen würde nicht versinken – im Gegenteil. Befreit von der Last des Eises würde sich dort das Land heben und der reale Meeresspiegel absinken. Untergehen könnten andere – ohne weitere Hochwasserschutzmaßnahmen würde es auch große Teile Norddeutschlands treffen.

Wie messen wir in Zukunft den Meeresspiegel?

Der Satellit Sentinel-6 hebt ab.
Der Satellit Sentinel-6 wird die Entwicklung der Meeresspiegel bis 2030 aus dem All beobachten. | Bild: ESA

Steigende Meeresspiegel können es in Zukunft notwendig machen, Nullpunkte für die Höhenmessung anzupassen. Aber obwohl der Meeresspiegel eine unzuverlässige und chaotische Größe ist – eine echte Alternative gibt es nicht, erklärt Prof. Wilko von Hardenberg: "Es sind mehr als 300 Jahre Geschichte und man hat sich irgendwie an die Idee, wie man Höhen misst gewöhnt." Jetzt nochmal umzudenken, wäre ausgesprochen unbequem.

Um die reale Höhe der Meere zu bestimmen gibt es inzwischen allerdings präzisere Messmethoden als Aufzeichnungen an den Küsten: Messungen aus dem All. Ende 2020 wurde ein Satellit in die Erdumlaufbahn geschossen, der von Darmstadt aus gesteuert wird. Sentinel-6 soll exakt dokumentieren, wie sich die Meeresspiegel verändern – und an welchen Küsten das besonders deutliche Folgen haben könnte. Sicher ist leider heute schon: Unser Planet wird blauer.

Autorin: Christine Seidemann (NDR)

Stand: 26.03.2021 15:07 Uhr

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