Sa., 12.06.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Rettung der Bergwiesen
Zwischen hohen Gipfeln liegen Wiesen mit prachtvoll blühenden Kräutern und Blumen – die romantische Vorstellung einer perfekten Berglandschaft. Solche Wiesen sind jedoch keine Natur-, sondern Kulturlandschaften. Erst durch jahrhundertelange schonende Bewirtschaftung ist dieser Lebensraum entstanden und mit ihm seine typische Artenvielfalt. Jeder Pflanze auf so einer Wiese folgen schätzungsweise etwa zehn Tierarten, die dort leben können.
Doch diese Artenvielfalt ist bedroht, denn immer weniger Landwirte wollen die schwer zugänglichen Bergwiesen noch bewirtschaften. So wachsen sie mit Büschen und Bäumen zu, die vielfältigen Gräser und Kräuter verschwinden allmählich. Auf den Wiesen im flacheren Gelände überleben sie nicht. Denn diese werden meistens intensiv genutzt. Häufiges Mähen und Düngen fördert wenige ertragreiche Arten wie zum Beispiel Kleegras und verdrängt seltenere Arten.
Bergwiesenkartierung und Samenernte
Doch noch gibt es ein paar artenreiche Bergwiesen. Forscher und Forscherinnen der Biosphärenregion Berchtesgadener Land wollen dafür sorgen, dass die dort wachsenden selten gewordenen Gräser und Kräuter wieder auf mehr Wiesen der Region angesiedelt werden. Dafür kartieren sie die Bergwiesen und ernten die Samen der Kräuter und Gräser, die dort wachsen.
Auf einer Bergwiese bei Marktschellenberg mit Blick auf den Untersberg finden sie etwa 100 verschiedene Arten an Gräsern und Kräutern: Vom Heilziest über Wiesenbocksbart, Wiesenlabkraut, Frauenmantel, Blutwurz, Klappertopf, Wiesenpiper, Weißklee, Hornklee, Thymian, Hahnenfuß, weißes Labkraut, Zittergras und noch viele mehr. Mit einem speziellen Erntegerät bürsten sie die reifen Samen von den Pflanzen herunter und sammeln sie ein. Die Wiese bleibt stehen, kann weiter wachsen und weitere Samen produzieren. Frühestens Anfang August wird die Wiese das erste Mal im Jahr vom Bauern gemäht. Die geernteten Samen werden gereinigt, getrocknet und dann direkt ausgesät oder in einer Gärtnerei vorgezogen.
Das Ziel: Artenarm gewordene Wiesen in der Region wieder zu vielfältigen, bunten Wiesen zu machen, die das ganze Jahr über blühen, und nicht nur schön aussehen, sondern auch ständig ein Nahrung für Insekten bieten.
Biosphärenreservat Berchtesgadener kämpft gegen Artenarmut
In einer Aktion mit Kindern der Mittelschule Bad Reichenhall wird eine Wiese am Ortseingang von Bad Reichenhall bearbeitet, die bislang sehr eintönig aussieht: Man sieht fast nur gelbe Blüten, den Hahnenfuß. Höchstens zehn bis fünfzehn verschiedene Pflanzenarten finden sich in dieser Wiese. Wenn eine bestimmte Art vorherrscht, dann ist das, so die Landschaftsökologin Sabine Pinterits vom Biosphärenreservat Berchtesgadener Land, ein deutliches Zeichen für Artenarmut. Jetzt wird die Wiese mit den im Jahr zuvor geernteten Wiesensamen der Bergwiese angereichert. Dazu säen die Kinder die Samen auf einem Streifen am Rand der Wiese aus. Als nächstes pflanzen die Kinder die kleinen, ein Jahr alten Pflänzchen ein, die in der Gärtnerei vorgezogen wurden. Da die meisten Wiesenpflanzen erst im zweiten Jahr blühen, soll so erreicht werden, dass noch im selben Jahr bereits Blüten zu sehen sind und den Insekten Nahrung bieten. Im Laufe der folgenden Jahre sollen die Pflanzen hier wachsen, sich vermehren und allmählich in die ganze Wiese ausbreiten.
Ziel: Artenvielfalt der Wiesen retten
Sabine Pinterits wirbt auch bei Landwirten dafür, ihre Wiesen mit den Samen aus der Region anzureichern. Sie ist überzeugt: Nur wenn auch Landwirte die Artenvielfalt fördern, wird sie auf Dauer eine Chance haben. Johannes Egger, ein Biolandwirt im Berchtesgadener Land, würde das Aussäen der seltenen Wiesensamen gerne ausprobieren. Seit einigen Jahren mäht der Biolandwirt seine Wiesen nur noch selten und düngt wenig. Sabine Pinterits findet jetzt bereits einige Pflanzenarten auf seinen Wiesen, die auf dem Grünland konventioneller Landwirte nicht vorkommen.
Wenn alle Landwirte fünf bis zehn Prozent ihrer Flächen mit artenreichen Wiesen bepflanzen würden, wäre das Ziel der Forscherin der Biosphärenregion Berchtesgadener Land erreicht. Doch dafür brauchen sie einen langen Atem. Sie rechnen damit, dass es noch mindestens zehn Jahre dauern wird, bis es so weit ist. Aber immerhin: Im Berchtesgadener Land ist ein Anfang gemacht, um die Artenvielfalt der Wiesen zu retten.
Autorin: Susanne Delonge (BR)
Stand: 11.06.2021 12:14 Uhr