So., 17.02.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Der Lügendetektor
Kaum ein Instrument zur Verbrechensaufklärung ist umstrittener als der Lügendetektor. Für die Befürworter sind Polygraphen – so die Fachbezeichnung – ein nützliches Hilfsmittel in besonders schwierigen Fällen. Kritiker glauben, man könne ebenso gut eine Münze werfen.
Aber was misst ein Lügendetektor eigentlich? Was passiert in unserem Körper, wenn wir lügen? [W] wie Wissen macht den Test – und schickt einen Probanden ins Psychologische Institut der Uni Köln. Dort trifft Testkandidat Tobias den Professor Udo Undeutsch. Der 90-jährige Psychologe ist ein weltweit anerkannter Experte im Aufspüren von Lügen: Er war Gutachter in vielen spektakulären Fällen. Sein Hilfsmittel auf der Suche nach Wahrheit und Lüge: Der Lügendetektor.
Unsichtbare Körperreaktionen
Das Instrument nutzt die Tatsache, dass Lügen nervenaufreibender ist, als die Wahrheit zu sagen. Und wenn Menschen nervös werden, äußert sich das in einigen unsichtbaren Körperreaktionen. Die misst ein Lügendetektor und zeichnet sie auf. Und weil der Apparat eben keine Lügen, sondern verschiedene Reaktionen unseres Körpers misst, nennen Experten ihn auch nicht Lügendetektor, sondern Polygraph – übersetzt heißt das Vielschreiber.
Vier Messwerte zeichnet das Instrument auf: Eine Manschette am Oberarm misst den Blutdruck, ein dehnungsempfindlicher Schlauch auf der Bauchdecke registriert die Atembewegungen. Sensoren messen die elektrische Leitfähigkeit der Haut. Die ändert sich, wenn wir vor Aufregung feuchte Hände bekommen. Ein weiterer Sensor misst die Durchblutung in der Fingerspitze: bei steigender Nervosität zieht sich Blut aus Armen und Beinen zurück, weil es im Gehirn gebraucht wird.
Der Zahlentest
Da unser Proband nichts verbrochen und somit auch nichts zu verbergen hat, soll der so genannte Zahlentest unsere Nagelprobe sein. Der ist auch Teil jeder Untersuchung im Ernstfall. Der Gutachter nutzt den Vortest quasi zum Warmmachen, der Proband soll so das Verfahren kennen lernen und sich an das Gerät gewöhnen: Der Kandidat muss eine Zahl von zwei bis sechs wählen, diese – hinter dem Rücken des Professors – auf einen Zettel schreiben und den Zettel dann einstecken. Welche Zahl der Proband aufgeschrieben hat, will der Professor anschließend mit Hilfe des Polygraphen herausfinden.
Bewegen verboten
Während des Tests darf sich der Untersuchte nicht bewegen, da das die Messung stört und eine spätere Auswertung unmöglich macht. Hält sich die Testperson nicht daran, bricht der Gutachter ab – der Test ist ungültig. Das ist auch der Grund dafür, dass die Untersuchung nur durchgeführt werden kann, wenn die Testperson freiwillig mitmacht – meistens geht es darum, dass ein Beschuldigter versucht, seine Unschuld mithilfe des Tests zu beweisen.
Blitzschnelle Entscheidung
Ist der Augenblick der Lüge gekommen, erhöht der Körper in Sekundenbruchtei-len bis zur Antwort seine Alarmbereitschaft. Minimale und unsichtbare Reaktionen, die der Proband nicht kontrollieren kann: Der Blutdruck steigt, die Atemfrequenz erhöht sich, die Schweißdrüsen steigern ihre Aktivität. Blitzschnell muss sich das Gehirn gegen die Wahrheit und für die Lüge entscheiden.
Zweifelhafte Zuverlässigkeit
Im Anschluss an die Untersuchung interpretiert der Gutachter die Aufzeichnungen des Lügendetektors und versucht so zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. In unserem Zahlentest ist Professor Undeutsch Proband Tobias auf die Schliche gekommen: Die Untersuchungskurven zeigen deutliche Ausschläge im Augenblick der Lüge.
Gegner des Lügendetektors bezweifeln allerdings, dass das Verfahren auch in echten Fällen, wenn es nicht um Zahlen, sondern um handfeste Verbrechen geht, zuverlässig genug ist. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe sah das 1999 auch so. Nach Anhörung mehrerer Gutachter befanden die Richter den Lügendetektor als Beweismittel in Strafprozessen für untauglich.
Die Kritiker bezweifeln vor allem, dass es möglich ist, die Reaktionskurven zuverlässig auszuwerten. Dass der menschliche Körper auf Emotionen und Erregung reagiert und diese Reaktionen auch messbar sind, ist allgemein anerkannt. Das Problem: Es gibt kein spezifisches Merkmal für Lüge. Die Qualität der Ergebnisse hängt also stark davon ab, ob es dem Gutachter gelingt, die richtigen Schlüsse aus den Aufzeichnungen zu ziehen. Einige Gegner befürchten zudem, dass sich die Messwerte durch gezieltes Training manipulieren ließen und so auch erfahrene Gutachter getäuscht werden könnten.
Autor: Dirk Gilson
Literatur
Hat der sogenannte "Lügendetektor" nach veränderter Rechtslage in Deutschland eine Zukunft?
Versuch einer psychologischen Standortbestimmung.
Autor: Dr. phil. Klaus-Peter Dahle
Psychologische Rundschau 2003,
Nr. 54, 103-111.
Gedankenlesen
Pionierarbeit der Hirnforschung
Autor: Stephan Schleim
Verlag: dpunkt, Heidelberg
ISBN-13 978-3-936931-48-8
Stand: 07.11.2012 17:20 Uhr