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Die Herren der Schiene

Wiederholung vom 25.2.2007

Stolze 34.000 Kilometer umfasst das Streckennetz der Deutschen Bahn. Und auf all diesen Kilometern tummeln sich täglich 33.000 Züge, die untereinander koordiniert und überwacht werden müssen. Das ist eine logistische Herausforderung der besonderen Art. Doch von wo aus wird dieser gigantische Verkehrsstrom eigentlich gesteuert?
W Wie Wissen hat die Herren der Schiene besucht und eine junge Frau auf dem Weg zu einem wichtigen Termin begleitet – per Zug, damit sie nicht zu spät kommt. Wird ihr das gelingen?

Tina Bauer hat einen Vorstellungstermin in Groß-Gerau bei Frankfurt. Natürlich will die junge Frau dort pünktlich eintreffen. Deshalb hat sie sich für die Schiene entschieden. Genauer gesagt: für den ICE 575, der um Viertel vor elf den Hauptbahnhof Hannover verlässt und um exakt 13:00 Uhr in Frankfurt sein soll. Dort hat Tina Bauer dann acht Minuten Zeit, um für ihren Anschlusszug zu erreichen. Eigentlich kein Problem - wenn sie pünktlich ankommt ...

Immer den Überblick behalten

Dafür soll die Netzleitzentrale der Bahn in Frankfurt am Main sorgen. Die Eisenbahner, die hier arbeiten, sind regelrechte Jongleure - denn nur selten läuft in diesem Gewirr aus Zügen und Strecken alles genau nach Plan.

An diesem Vormittag halten sich die Probleme in Grenzen. Doch dann plötzlich eine Störmeldung: Der ICE 1642 aus Dresden hat wegen technischer Probleme 14 Minuten Verspätung und kann nur mit vermindertem Tempo fahren. Jetzt heißt es: handeln! Denn schon die Verspätung eines einzigen Zuges kann gewaltige Auswirkungen auf das gesamte Streckennetz haben:

Deutsches Schienennetz ist eng verknüpft

Wenn man oben in Flensburg leicht zupft, sagen die Eisenbahner, dann gibt es in Passau eine entsprechende Wellenbewegung. Das Schienenetz ist so eng verknüpft und es gibt so enge Beziehungen der einzelnen Züge untereinander, die im Minutentakt fahren, dass jede kleine Störung eine Wellenbewegung auslöst und sich dann auch im gesamten Netz weiter aufbaut. Und das ist viel engmaschiger als zum Beispiel in Frankreich, wo das gesamte Streckennetz auf Paris zuläuft. In Deutschland müssen auch viele Querverbindungen gemanagt werden. Tägliche Probleme sind da fast unausweichlich.

Welcher Zug muß warten, welcher fahren?

Tina Bauer passiert mit ihrem ICE 575 inzwischen Göttingen. Der Zug ist voll im Zeitplan. Für die Netzleitzentrale allerdings läuft zur selben Zeit nicht alles so reibungslos. Der Dresdner ICE hat inzwischen schon 20 Minuten Verspätung. Und die Prognose des Simulationsprogramms zeigt klar: Beim nächsten Halt in Fulda werden es satte 50 Minuten sein. Jetzt muss etwas passieren. Denn auf den Dresdner ICE warten in Fulda Anschlusszüge: Einer nach Wien, der andere nach München. Beide Züge müssten eine knappe Stunde warten, wenn die Verbindung klappen soll.
Das wiederum hätte weitreichende Folgen für den weiteren Laufweg der Züge – mit weiteren Anschlussbeziehungen – ein Schneeballsystem, das sich immer weiter fortsetzt.

Was also tun? Der Computer meldet 15 Reisende, die in Fulda vom Dresdner in den Wiener Zug umsteigen wollen. Würde der nicht warten, müssten sie immense Verspätungen in Kauf nehmen. Die Netzleitzentrale entscheidet: Der Anschlusszug nach Wien wird warten.

Sieben Betriebszentralen steuern regionalen Zugverkehr

Dass solche Entscheidungen auch ausgeführt werden, dafür sorgen die insgesamt sieben Betriebszentralen, die den deutschen Bahnverkehr regional steuern. In unserem Fall die hessische Betriebszentrale – bei der nun plötzlich auch der ICE von Tina Bauer auf der Bildfläche erscheint. Er hat 2 Minuten Verspätung. Was ist passiert? Schnell stellt sich heraus: der Dresdner ICE hat für einen massiven Stau auf der Nord-Süd-Route gesorgt. Die nachfolgenden Züge müssen ihr Fahrttempo drosseln. Doch noch bleibt man in der Betriebszentrale entspannt. Zwei Minuten sind nicht wirklich besorgniserregend, wenn ansonsten alles gut geht.

Verspätungen addieren sich

Doch es läuft nicht alles glatt. Kurze Zeit später ist ICE 575 bereits mit 3 Minuten im Rückstand. Tina Bauer wird allmählich unruhig - seit einiger Zeit fährt ihr Zug viel langsamer, ohne dass sie einen Grund erkennen könnte. In der Betriebszentrale der Bahn kommt man schnell hinter die Ursache: Anders als erhofft löst sich der Stau auf den Gleisen nur sehr langsam auf. Die Prognose für den ICE 575 ist ernüchternd: Er wird mindestens neun Minuten Verspätung haben, wenn er im Frankfurter Hauptbahnhof einfährt.

Für unsere Reisende hätte das fatale Folgen. Sie würde ihren Anschlusszug, den Regionalexpress 4567, nicht mehr erreichen – und zu spät kommen zum Vorstellungsgespräch. Doch da auf den Regionalexpress außer Tina Bauer auch viele andere Reisende angewiesen sind, entscheidet man in der Betriebszentrale: Der Regionalexpress muss auf den ICE warten.

Ziel dennoch rechtzeitig erreicht

Kurz vor Einfahrt in den Frankfurter Hauptbahnhof erfährt Tina Bauer über Zuglautsprecher, dass sie sich keine Sorgen machen muss – obwohl der ICE erst um 13 Uhr 10 in Frankfurt eintrifft – also 10 Minuten zu spät. Nun muss sie sich zwar sputen, aber die Zeit reicht zum Umsteigen. Kurz danach bekommt der Regionalexpress per Mausklick grünes Licht aus der Betriebszentrale und um 13 Uhr 16 verlässt er Frankfurt in Richtung Mannheim, mit Zwischenstation in Groß-Gerau. Eine knappe halbe Stunde später hat Tina Bauer ihr Ziel erreicht - mit genau sechs Minuten Verspätung. Der Regionalexpress hat wieder ein bisschen Zeit aufgeholt – das ist noch einmal gutgegangen!

Während Tina sich auf ihren Termin konzentriert, ist man in der Netzleitzentrale längst wieder dabei, all die anderen 33.000 Züge zu koordinieren, zu lenken und zu takten, die täglich Deutschlands Schienennetz durchqueren - rund um die Uhr. Allein im Rhein-Main-Gebiet verkehren mehr Züge als in ganz Griechenland: eine logistische Mammut-aufgabe. Da muss man sich eigentlich fast wundern, dass es bei der Bahn nicht häufiger zu Verspätungen kommt ...

Autor: Stefan Venator

Stand: 11.05.2012 13:03 Uhr

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