So., 12.10.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Fatale Verwechslungen
Sie ist im Bayerischen Wald geboren und aufgewachsen: Schon seit ihrer Kindheit geht Karin Geiger zum Pilzesammeln. In ihrem Korb landen stets nur Schwammerl, die sie ganz genau kennt: zum Beispiel Steinpilze, Birkenpilze oder Rotkappen. Und auch die schmackhaften Stockschwämmchen.
Dass diese einen gefährlichen Doppelgänger haben, ahnt Karin Geiger nicht. So unterläuft ihr eines Tages eine folgenschwere Verwechslung. Statt Stockschwämmchen erwischt sie Gift-Häublinge. Die enthalten dasselbe Gift wie der Knollenblätterpilz.
Die Ausbeute an diesem Tag ist gut, besonders bei den vermeintlichen "Stockschwämmchen". Zum Abendessen macht sich Karin Geiger daraus eine Pilzpfanne - eine beinahe mörderische Mahlzeit.
Ein "giftiges" Abendessen
Doch das bemerkt sie erst am nächsten Tag. Da treten die ersten Symptome auf: Bauchschmerzen, Übelkeit, starkes Erbrechen und Durchfall. Mit schweren Vergiftungserscheinungen wird sie ins Münchner Klinikum Rechts der Isar eingeliefert. Ihre Leberwerte steigen, die Entgiftung schlägt nicht an. Karin Geiger schwebt in Lebensgefahr. Sie braucht rasch eine neue Leber - die Transplantation rettet sie.
Tückische Latenzzeit
Ein ganz typischer Fall, so Professor Dr. Thomas Zilker von der toxikologischen Abteilung des Klinikums. Die Vergiftung mit Amatinin, dem Knollenblätterpilz-Gift, verläuft immer nach dem gleichen Muster: Zunächst geht es den Patienten noch gut, doch mit einer Latenzzeit von etwa zwölf Stunden setzen heftige Beschwerden ein, es folgt eine kurze Zeit trügerischer Besserung und dann die Phase der Leberschädigung. Früher starb daran noch jeder fünfte Patient! Karin Geiger hatte Glück, doch seit der Transplantation ist sie arbeitsunfähig, bekommt mit ihrem Spenderorgan häufig Probleme.
Sorglosigkeit gepaart mit Sammelfieber
Welcher Pilz steckt hinter einer Vergiftung? Das wird im toxikologischen Labor des Klinikums untersucht. Wenn Pilzabfälle oder Essensreste vorliegen, dann gelingt es der Pilzexpertin Bettina Haberl meist schnell, die Ursache zu ermitteln. Immer wieder stößt sie dabei auf den Grünen oder den kegelhütigen Knollenblätterpilz. Beide sind hochgiftig: Fünfzig Gramm von diesen Pilzen sind für einen Erwachsenen eine tödliche Dosis. Und obwohl das die meisten Schwammerl-Sammler wissen, gehen viele dennoch recht leichtsinnig vor, beobachtet Bettina Haberl.
Sie erinnert sich an einen Vergiftungsfall, da hatten sich die Patienten nur an den Fotos eines Pilzbuchs orientiert – den detaillierten Text hatten sie nicht gelesen. Das Ergebnis: statt Grünhütiger Täublinge sammelten sie Grüne Knollenblätterpilze.
Vorsicht: veraltete Fachbücher!
Fünf- bis sechstausend Pilzarten gibt es in Deutschland. Über viele davon wissen selbst Fachleute wenig. Und bei Laien hält sich oft hartnäckig veraltetes Wissen: Einige Giftpilze galten früher irrtümlicher als essbar: der Kahle Krempling zum Beispiel. Er kann tödliche Allergien auslösen. Lange jedoch wurden Todesfälle nicht mit ihm in Zusammenhang gebracht.
Pilzexperten wie Bettina Haberl und der Biologe Christoph Hahn warnen daher vor älteren Fachbüchern. Darin können Giftpilze noch als schmackhafte Speisepilze beschrieben sein – wie der Grünling etwa. Erst in den 1990er Jahre wurden aus Frankreich tödliche Vergiftungen bekannt. Im Tierversuch wurde dann bewiesen, dass dieser Pilz zu Rhabdomyolyse führen kann, einer schweren Muskelerkrankung.
Gefährliche Zuwanderer
Künftig drohen Schwammerlfreunden noch weitere Gefahren: Zuwanderer-Pilze. Durch den Klimawandel wachsen bald neue Wärme liebende Arten neben altbekannten Exemplaren. Beim parfümierten Trichterling lässt sich seine Ausbreitung gut verfolgen. Er stammt aus Nordafrika. Über Spanien, Frankreich und Italien kam er bis nach Österreich. Dieser Giftpilz löst ein bislang für Europa gänzlich unbekanntes Vergiftungssyndrom aus: unerträgliche Dauerschmerzen, die über Monate anhalten können. Todesfälle durch Erschöpfung, Gewichtsverlust sowie sekundäre Infektionen sind bekannt.
332 Pilzvergiftungsfälle wurden bei uns im letzten Jahr offiziell gemeldet. Oft mit fatalen Langzeit-Folgen, wie im Fall von Karin Geiger. Auch sie wagt sich mittlerweile wieder ans Schwammerlsammeln - doch nun beschränkt sie sich auf fünf Pilzarten, von denen ganz sicher keine einen tödlichen Doppelgänger hat.
Autorin: Sabine Denninger
Stand: 07.02.2013 16:56 Uhr