So., 17.02.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Körperreaktionen
Der Tag, der das Leben von Elke M.(Name von der Redaktion geändert) verändern sollte, begann wie unzählige andere. Sie hatte gerade ihren Sohn in den Kindergarten gebracht. Jetzt wollte sie zur Sparkasse, um Geld einzuzahlen.
Sie war die einzige direkt am Schalter und schon fast fertig, als ein Knall sie aufschrecken ließ. Drei maskierte Bankräuber hatten mit Wucht die Tür aufgerissen und hielten mit Waffengewalt die Kundschaft in Schach. Einer der Bankräuber steuert mit vorgehaltener Pistole direkt auf Elke M. zu, brüllte "weg", um freie Bahn zur Kasse zu erhalten. Elke M. war wie gelähmt: "Ich hab nur gedacht, dein Leben ist jetzt hier zu Ende."
Alarmierung des Nervensystems
Ein Horror, den man niemandem wünscht. Wie reagiert der Körper auf einen solchen Schock? Eine drohende Gefahr versetzt blitzartig und ohne unser Zutun das vegetative Nervensystem in Alarmstimmung. Das Nervensystem besteht aber aus zwei "Gegenspielern", dem "sympathischen System" und dem "parasympathischen System". Beide agieren in Gefahrensituationen durchaus widersprüchlich, aber mit dem gemeinsamen Ziel: zu überleben!
Das sympathische Nervensystem
Das sympathische Nervensystem in Stammhirn und Rückenmark setzt die Botenstoffe Adrenalin und Noradrenalin frei. Die werden in den Nebennieren produziert und leiten die Erregung der Nervenzellen an die Organe weiter. In Sekundenschnelle beschleunigt sich der Herzschlag. Auch der Puls steigt. Und das Blut kreist schneller, um mehr Sauerstoff ins Gewebe zu transportieren.
Wo es nicht dringend gebraucht wird – in der Haut von Fingern und Zehen zum Beispiel – wird das Blut durch Verengung der Gefäße abtransportiert und dorthin geleitet, wo erhöhter Bedarf besteht – in Muskeln und Herz. All das, um fit zu sein für die Gegenwehr. Darum fühlen sich Finger und Zehen kalt und kribbelig an.
Auch die Atmung verläuft schneller, weil der Organismus für kommende Aktivitäten mehr Sauerstoff braucht. Das kann Beklemmungen und Atemnot hervorrufen.
Die Pupillen weiten sich, um mehr Licht einzulassen. Alle Muskeln sind extrem angespannt. Schweiß bricht aus. Das soll den Körper abkühlen wie einen Motor, der zu hochtourig läuft. Sogar die Haare stellen sich wie elektrisiert auf. Der Körper ist bereit zum Fliehen oder Kämpfen.
Über sich hinauswachsen
Das ist ein uraltes Programm, das alle Säugetiere gemeinsam haben. "In dieser Situation können wir manchmal Dinge leisten, die wir uns nie zugetraut hätten. Wir wachsen über uns hinaus", sagt der Psychotherapeut Prof. Dr. Ullrich Sachsse vom Niedersächsischen Landeskrankenhaus Göttingen. Wir können dann um unser Leben kämpfen oder fliehen.
Das parasymphatische Nervensystem
Aber was, wenn wir dazu keine Chance sehen? Dann greift Programm Nummer 2:
Diese Variante ist verbunden mit dem Parasympathikus. Er löst eine Vielzahl von Hormonausschüttungen aus. Der Mensch zittert am ganzen Körper. Darm und Blase wollen sich entleeren. "Unser ganzer Körper vermittelt: Bitte, bitte Hilfe!", erklärt Prof. Ullrich Sachsse. Wir würden über unser Panik- bzw. Bindungs-System signalisieren: "Mama soll kommen, die Familie soll kommen, die Herde soll kommen. Ich brauche Hilfe".
Einfach tot stellen
Und wenn keine Rettung naht? Elke M. reagierte mit dem Muster Nummer 3.
“Es war einfach wie eine Lähmung. Hilflosigkeit. Nichts mehr machen können, nicht mehr handeln können.” So schildert sie im nachhinein ihre Reaktion. Das ist der “Totstellreflex”, ebenso bekannt aus dem Tierreich.
Dazu Prof. Ullrich Sachsse: "Wenn ich mir nicht selbst helfen kann, kämpfen oder flüchten kann und mir auch nicht geholfen wird, dann ist die einzig richtige Reaktion die dritte: Erstarrung. Keine Bewegung mehr. Denn wenn wir uns nicht bewegen, dann halten angreifende Tiere uns auch nicht für ein Beutetier. Und wir haben eine höhere Überlebenschance."
Lange Nachwirkungen
Die drei Programme laufen noch Wochen und Monate auf relativ hohen Touren, auch wenn der Anlass längst vorbei ist. Bis zu einem halben Jahr ist es völlig normal, wenn der Betroffene reizbar, misstrauisch und "immer auf dem Sprung" ist.
Sollte dieser Zustand aber darüber hinaus anhalten, ist dringend Hilfe geboten. Denn sonst kann sich das Erlebte zu einer chronischen Störung entwickeln.
Autorin: Angela Joschko
Stand: 11.05.2012 13:02 Uhr