So., 27.01.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Schlafwandeln
Schlaf: die andere Seite des Bewusstseins. Ein rätselhafter Zustand, den eine geheimnisvolle Aura umgibt. Der Kontakt zur Außenwelt ist scheinbar abgerissen.
Körper und Geist sind im Tiefschlaf vollkommen entspannt. Dann das Hinübergleiten in andere, phantastische Welten: Absurdes und Normales wird im Traum so intensiv durchlebt, dass man es dem Schläfer ansieht - bis er zurückgleitet in den traumlosen Tiefschlaf. Ein gleichmäßiges Pendeln im Rhythmus einer ganz normalen Nacht.
Wie fremdbestimmt
Doch es gibt noch einen ganz anderen, einen schaurig-faszinierenden Zustand im Schlaf: Wie unter dem plötzlichen Zwang fremder Mächte erhebt sich der Schlafende, geistert umher – und weiß nichts von dem, was er tut. Mancher bringt sich dabei, ohne wach zu werden, in größte Gefahr. So, wie diese Schlafwandlerin es uns berichtet: "Also zu mir gekommen bin ich im Krankenwagen, nachdem also der Notarzt mich praktisch wachgerüttelt hat. Ich hab dann die Augen aufgeschlagen und wusste überhaupt nicht, was los ist. Und da hat dann der Notarzt mich praktisch darüber aufgeklärt, dass ich schlafgewandelt und aus dem Fenster gesprungen bin."
Dem rätselhaften, aber nicht so seltenen Phänomen des Schlafwandelns versuchen Forscher in schlafmedizinischen Zentren auf die Spur zu kommen. Was dabei im Körper vor sich geht, können sie nur messen: Hirnströme, die Aufschluss geben über die Gehirnaktivität, den Augenbewegungen, den Blutdruck, der Grad der Muskelspannung und über die Atmung – alles wird während der gesamten Nacht im Schlaflabor aufgezeichnet.
Schlafwandeln in der Literatur
"Somnambule" - schlafende Spaziergänger – werden sie auch genannt. Ihr seltsames "Entrücktsein" hat Menschen schon immer fasziniert und die Phantasie von Dichtern und Komponisten beflügelt: Bei Shakespeare irrt Lady Macbeth nächtens umher - und er fasst in Verse, was zu seiner Zeit noch als Besessenheit oder Wahnsinn galt.
In Vincenzo Bellinis berühmter Oper "La Sonnambula" schlafwandelt die Müllerstochter Amina und bringt dadurch das Glück ihres Lebens ins Gefahr. In dem expressionistischen Stummfilm "Das Cabinett des Dr. Caligari" versucht ein skrupelloser Irrenarzt, den harmlosen Nachtwandler "Cesare" zu seinem willenlosen Werkzeug zu machen.
Dinge tun "wie im Schlaf"
Besessen, dämonisch, skurril und dem Wahnsinn nahe – in Kunst und Literatur scheinen Schlafwandler nicht von dieser Welt zu sein. Dabei tun sie in Wirklichkeit meist ganz normale Dinge - Dinge des Alltags, die sie buchstäblich im Schlaf beherrschen. Aber: Sie haben keine Kontrolle, über das, was sie tun. Rein mechanisch sind sie zu überaus komplexen Bewegungsabläufen in der Lage – doch sie nehmen nichts von alledem wahr und sie können sich auch später nicht daran erinnern.
Fehlender REM-Schlaf
Schlafforscher sprechen von einer "Schlaf-Architektur", die vielleicht bei Schlafwandlern eine andere ist. Und tatsächlich hat sich herausgestellt, daß die "Schlaf-Architektur" der Somnambulen sich deutlich von der anderer Menschen unterscheidet, berichtet Dr. Peter Lüdemann von der Universität Münster: "Bei den Schlafwandlern kommt es anders als bei den Nicht-Schlafwandlern zu einem abrupten Wechsel, zu einem unvollständigen Erwachen. Beim Gesunden kommt es zu einem Wechsel vom Tiefschlaf in den REM-Schlaf z.B. und der findet bei den Schlafwandlern an der Stelle nicht statt, sondern die werden fast wach und wirken von außen wie wach, aber im EEG, von der Hirnaktivität her schlafen sie noch weiter."
Der Körper scheint also wach zu sein, während der Geist noch schläft. Infrarot-Kameras zeigen im Schlaflabor, was Forscher sonst nur von Angehörigen der Schlafwandler erfahren. Doch in der ungewohnten Umgebung des Schlaflabors bleiben viele – anders als zuhause – dann doch im Bett.
Schaltfehler oder Unreife bestimmte Hirnbereiche?
Es könnte also eine Art Schaltfehler sein, der beim Übergang vom Tiefschlaf zum Leichtschlaf zu unvollständigem Erwachen führt. Oder eine Unreife bestimmter Hirnareale – denn Kinder schlafwandeln besonders häufig. Und nicht immer wächst sich das in der Pupertät wieder aus – jeder fünfzigste bis hunderste Erwachsene irrt regelmäßig nachts umher.
Doch was treibt die Schlafwandler aus dem Bett und wohin streben sie so zielgerichtet? Was hat der Mond mit alledem zu tun, der seit jeher mit dem Schlafwandeln in Zusammenhang gebracht wird? Übt der Mond auf Somnambule wirklich eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus – eine Kraft, von der wir noch nichts wissen?
Dr. Lüdemann erklärt das Phänomen so: "Dass Schlafwandler, früher auch mondsüchtig genannt, dem Mond hinterher streben, das ist im Prinzip nur dadurch bedingt, dass man irgendeine Lichtquelle braucht, die heutzutage aber auch von den Straßenlaternen oder von irgendwelchen roten Lämpchen an irgendwelchen Geräten übernommen werden können."
Augen geöffnet - ohne zu sehen
Obwohl ihre Augen weit geöffnet sind, "sehen" Schlafwandler nicht wirklich - die "schlafwandlerische Sicherheit" ist nur eine Legende. Ihre Orientierung stützt sich eher auf Gewohnheit und auf das, was vom Vortag im Gedächtnis blieb. Doch wie es ihnen überhaupt gelingt, sich schlafend zielstrebig zu bewegen, blieb bis heute ein Rätsel.
Autor: Petra Peppel / Angela Joschko
Stand: 11.05.2012 13:03 Uhr