So., 16.03.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Wall of wind
Hurrikanforscher Stephen Leatherman pustet Häuserdächer durch die Luft – mit einem ernsten Anliegen: Jedes Jahr sterben bei Hurrikanen Tausende Menschen, weil ihre Häuser schlecht geschützt sind.
Mit der "Wall of Wind", einer Windanlage aus sechs Propellern, setzt Leatherman Gebäude den Bedingungen eines Hurrikans aus, um Leben zu retten und Sachschäden zu vermeiden.
Wand aus riesigen Propellern
Auf einem brachliegenden Gelände der Universität Florida, ein Stück entfernt von den umliegenden Gebäuden, begrüßt uns Dr. Stephen Leatherman. Er ist der Leiter des International Hurricane Research Center in Miami. Und er präsentiert uns das Herzstück seiner Arbeit: "Willkommen bei der 'Wall of Wind'. Ich entführe Sie heute zu einer Tour über unseren Friedhof. Wir blasen hier Häuser in die Luft! Das macht nicht nur Spaß – es ist sogar echte Wissenschaft! Wir wollen Häuser sicherer machen, damit wir Hurricanes überleben. Also folgen Sie mir!"
Mit einer irrwitzigen Versuchsanlage will Stephen Leatherman schaffen, was bisher noch niemandem gelungen ist: Künstliche Stürme entfesseln, die so dramatisch wüten wie ihre realen Vorbilder. Stephen Leatherman postiert sich vor einer Wand aus sechs riesigen Propellern – seiner 'Wall of Wind': "Das hier ist unser Arbeitstier. Mit allen 6 Propellern schafft es 210 km/h. Glauben Sie mir, dann stehe ich nicht mehr hier. Und es wird laut – bis zu 130 Dezibel! Ich geh jetzt weg, denn wir schmeißen das Ding jetzt an!"
Florida ist Zielscheibe von Hurrikanen
Mit lautem Rumpeln starten die sechs Motoren, alle Mitarbeiter tragen Ohrenstöpsel und Sichtschutz. Schluss mit Windtunneln und Miniaturanlagen: Leathermans Anlage soll echte Gebäude umpusten. Dafür montiert er sechs Mal je zwei Schiffs-Propeller, in entgegen gesetzter Richtung. Ein simpler und billiger Ansatz – für ein Problem, das Forscher seit Jahrzehnten in Atem hält: Jeden Herbst treffen Hurrikane auf Florida und den Südosten der USA. Sie zerstören, was ihnen im Weg steht. Pusten Häuser weg wie Streichholzschachteln. Sachschäden in Milliardenhöhe: Kaum eine Versicherung kann das noch bezahlen. Tausende Menschen verlieren jedes Jahr ihr Hab und Gut. Viele sterben inmitten der Trümmer.
Stephen Leatherman will die Schneise der Zerstörung besser verstehen, um Abhilfe zu schaffen. Wo genau sind die Schwachstellen der Häuser? Vor zwei Jahren baute er deshalb die erste Windmaschine.
Mittlerweile ist Leatherman ein renommierter und anerkannter Fachmann. Sein Team arbeitet mit höchster Präzision: Die Propellerblätter müssen immer wieder um wenige Grad justiert werden. Bis sie den perfekten Winkel haben, mit dem die Rotoren so viel Luft wie möglich ansaugen und beschleunigen. Leatherman will es auf Hurrikan-Stufe 4 schaffen. Bis zu 250 km/h – die Stärke von Hurrikan Katrina. Dafür benötigen sie sechs Motoren zu je 500 PS. Leathermans Mitarbeiter testen, ob sie die Kraft der Motoren und Propeller optimal ausnutzen. Drehzahl, Kühlwasser und Ölstand werden ständig kontrolliert. Wenn die Motoren ungleich laufen, können plötzliche Luftwirbel entstehen. Die es bei einem echten Hurricane nicht gibt. Sie messen die Windstärke, frontal und an den Seiten der Anlage. Eine Kurve zeigt an, dass die Propeller noch zu viel Wind zur Seite abgeben. Doch sie schaffen es bereits auf 210 km/h – Hurrikan-Stufe drei.
Doch Leatherman will noch mehr: Es soll zusätzlich regnen. Wassermassen, die bei einem Hurrikan in die Häuser eindringen und sie von innen aufweichen. Er will wissen, wie man Dächer und Fenster besser abdichten kann. Schließlich ist es soweit: das erste "Opfer", so groß wie ein echtes Haus. Bei Wind von 210 km/h geben nach kurzer Zeit die Dachziegel nach. Scheppernd fliegen sie vom Dach, fegen durch die Luft, landen in der weiteren Umgebung. Stephen Leatherman warnt: "Das Gefährliche ist, dass diese Dachziegel sehr schwer sind. Wenn sie durch die Luft fliegen, können sie jemanden sogar enthaupten. Sie richten viel Schaden an, wenn sie auf die umliegenden Häuser fallen."
Neue Bauvorschriften umgesetzt
Ob Dachziegel, die in Florida üblicherweise lose befestigt sind, oder Klimaanlagen auf Hausdächern: Über 70 Firmen testen ihre Produkte mittlerweile mit Leathermans Windanlage. Die Bauvorschriften für Flachdächer wurden mit Hilfe der „Crash-Tests“ verbessert. Und die Leute kaufen jetzt fest verschraubte Metalldächer – und das obwohl sie teurer sind.
Aber all das reicht Leatherman natürlich nicht. Er präsentiert sein Vorhaben von der perfekten Hurrikan-Maschine - mit 24 Propellern: "Hier kommt ein riesiger Drehteller hin. Darauf setzen wir echte Häuser und simulieren einen Hurrikan von allen Seiten. Dann schießen wir aus zwei Luftkanonen Kanthölzer, Kokosnüsse und Dachziegel. Denn so etwas fliegt bei einem Hurrikan durch die Luft! Natürlich wird das eine Menge Arbeit, denn wir wollen alle Arten von Häusern testen. In Zukunft sollen sie mindestens einem Hurrikan der Stufe 3 standhalten. Dieser Job muss schließlich von irgendwem gemacht werden – und wir werden es tun!"
Autorin: Sarah Zierul
Stand: 07.06.2013 11:03 Uhr