So., 20.04.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Wie alt werden wir?
Die Familie Eppelmann aus Stadecken-Elsheim bei Mainz lebt mit vier Generationen unter einem Dach. Der Jüngste – Christian ist neun Jahre alt, der Älteste – Christians Urgroßvater – ist 85 Jahre alt und bei bester Gesundheit. Wie alt können Menschen eigentlich werden?
Schließlich ist ein Blick in die Zukunft nicht möglich. Es bleibt nur der Blick in die Vergangenheit. Deshalb erforschen Alternsforscher die Lebenserwartungen unserer Ahnen. Die Frage dabei ist, ob und wie sich deren Lebenserwartung im Laufe der Geschichte verändert hat.
Steigende Lebenserwartung
Der Bevölkerungswissenschaftler James W. Vaupel vom Max-Planck-Institut für Demographie in Rostock forschte bei den Ahnen nach, ob sich in der Altersentwicklung ein Trend herauslesen lässt, der sich auch in zukünftigen Generationen fortsetzt.
Der Forscher verglich die Lebenserwartungen in verschiedenen Länder und stellte fest: "Im Jahr 1840 hatten schwedische Frauen weltweit die höchste Lebenserwartung." Sie wurden im Schnitt 45 Jahre alt. Seitdem nahm die Lebenserwartung in den Ländern mit der höchsten Lebenserwartung zu.
Im vergangenen Jahr erreichte die Lebenserwartung von Frauen in Japan ein Mittel von 86 Jahren, so James W. Vaupel: "Die Lebenserwartung stieg also von 45 Jahren auf 86 Jahre an. Auf dem Diagramm sieht man, dass das ein sehr linearer Trend ist. Das heißt, jedes Jahr stieg die höchste durchschnittliche Lebenserwartung um drei Monate an."
Rechnerischer Trick
Der Trick von James W. Vaupel ist, dass er nur die jeweils höchsten Lebenserwartungen beobachtet und nicht allein die Lebenserwartungen eines Landes. So verhindert er, dass regionale Besonderheiten, wie beispielsweise ein Krieg die Daten beeinflussen.
Die Ursache für die steigende Lebenserwartung liegt in der Verbesserung der Lebensumstände seit dem 19. Jahrhundert. So konnten sich viele Menschen in den vergangenen 150 Jahren immer besser ernähren. Man erkannte, dass sich Krankheitskeime in einem hygienischen Umfeld schlechter ausbreiten – viele wurden Krankheiten besiegt. Dazu kam, dass die medizinische Versorgung besser wurde.
Vaupel geht davon aus, dass es ähnliche Verbesserungen auch in der Zukunft geben wird. Mit der Konsequenz, dass der Trend der steigenden Lebenserwartung weiter geführt wird.
Immer wieder aufrappeln
So ist es statistisch wahrscheinlich, dass Großvater Udo Eppelmann älter werden wird, als sein Vater Walter. Dessen Alter übertrifft die meisten seiner Generation deutlich, wie Walter Eppelmann bemerkt: "Ich bin noch der einzige, der fit ist in Elsheim. Meine Kameraden habe ich alle überlebt. Es sind ja die meisten gefallen. Aber in Stadecken, die können alle nicht mehr laufen. Und ich bin der einzige, der noch einigermaßen laufen kann, obwohl ich vier Verwundungen an den Beinen hatte. War viermal verwundet, aber ich hab mich immer wieder aufgerappelt."
Die Hydra – ein Regenerationskünstler
Ein Stehauf-Männchen in der Tierwelt ist die Hydra. Die Alternsforscher in Rostock erforschen die Süßwasserpolypen wegen ihrer unglaublichen Regenerationsfähigkeit. Die ist so gut, dass eine Hydra theoretisch ewig leben könnte.
Für Vaupel ist dies ein Beweis dafür, dass es kein festgelegtes Höchstalter gibt: „Es ist üblich zu denken, dass bei Lebewesen mit steigendem Alter auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass sie sterben. Dass also der Alterungsprozess zwangsläufig ist und so zu einer höheren Sterblichkeit führt.“ Die Arbeit der Forscher widerlegt diese Annahme. So gibt es Tierarten, deren Sterberate auch im Alter gering bleibt, erklärt Vaupel: "Wir wollen die Natur dieser Arten untersuchen und sie mit dem Menschen vergleichen. Und vielleicht finden wir eine Lösung dafür, wie Menschen länger gesund leben können."
Länger gesund leben. Sicher hegen viele Menschen diesen Wunsch. Der 56jährige Vater Udo Eppelmann hat dagegen seine eigenen Ansichten, was das Altern angeht: "Durch diese Abwechslung, die wir im Beruf haben, empfindet man das gar nicht so, dass man so schnell altert. Es wird nie langweilig."
Das Altern gezielt verlangsamen
Langeweile kennt auch die US-amerikanische Biochemikerin Cynthia Kenyon nicht. Sie glaubt daran, dass der Prozess des Alterns kontrolliert werden kann: "Die Menschen denken, man verschleißt wie ein altes Auto und dann ist Schluss. Das ist aber nicht wahr. Das Erbgut beeinflusst das Altern. Es sieht so aus, als ob wir altern, weil unsere Zellen zerstört werden."
Die Geschwindigkeit des Alterns könne ihrer Ansicht nach kontrolliert werden: Die Zerstörung der Zellen müsse verlangsamt werden. Dies wäre möglich, in dem die Zellen geschützt und auch repariert werden.
Und fast ewig lebt der Fadenwurm
Könnte man in das Erbgut der Zellen eingreifen, so ließe sich das Leben verlängern. Theoretisch um ein vielfaches. So wie bei dem Fadenwurm C.elegans, das am besten untersuchte Lebewesen der Welt. Das Wesen ist so einfach, dass es für die Wissenschaftler einen idealen Modellorganismus darstellt. Werden die entsprechenden Gene verändert, so verlängert sich das Leben von C.elegans um bis das Zehnfache.
Doch wer braucht das? Familie Eppelmann auf jeden Fall nicht. Der Winzerfamilie ist etwas ganz anderes wichtig, wie der 34jährige Vater Timo zusammenfasst: nämlich die Gesundheit und der Zusammenhalt der Familie. Wenn er alt wird, dann möchte er wenigstens noch mobil sein, um seine Freiheit genießen zu können.
Innere Uhr des Alterns
Freiheit kennen Labormäuse zwar nicht, aber ihr Leben kann ein wenig verlängert werden. Dabei bleiben sie auch länger gesund, denn sie altern auch langsamer. Cynthia Kenyon hat genau das auch bei den Fadenwürmern beobachtet. Sie ist der Überzeugung, dass nicht die äußere Zeit das Altern des Körpers bestimmt. Der Körper habe eine innere Uhr: "Der Körper schaut nicht auf den Kalender und sagt: 'Oh, jetzt ist es 1992, oder was auch immer. Jetzt ist es Zeit eine Krankheit zu bekommen.' Er sagt: 'Wie alt bin ich? Brauch ich jetzt eine Krücke? Jetzt ist es Zeit eine Krankheit zu bekommen.' “
Die Biochemikerin weiß zwar auch, dass es schwer sein wird, ihre Forschung auf den Menschen zu übertragen. Aber sie ist sich sicher, dass die Wissenschaft das Altern wenigstens zum Teil in den Griff bekommt und dann, so sagt sie, habe man den Schlüssel für viele Krankheiten in der Hand.
Der jüngste der Familie Eppelmann hat, was das Alter angeht, schon so eine Idee: "90 Jahre! So um den Dreh." Vielleicht kommt er damit der Wahrheit näher als der Forschung.
Autor: Hilmar Liebsch
Stand: 17.08.2012 12:08 Uhr