So., 11.10.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Das Geheimnis der alten Frau Asru
Wie groß war das medizinische Wissen im alten Ägypten? Eine englische Professorin will es herausfinden. Mit Hilfe Jahrtausende alter Mumien.
Dies ist eigentlich eine Arzt-Patienten-Geschichte. Die Ärztin ist eine Ägyptologin und weltweit eine Koryphäe, wenn es um die Krankheiten und die Heilkunst im alten Ägypten geht. Ihre „Lieblingspatientin“ ist schon lange tot. Die Rede ist von Professor Rosalie David und von Asru. Asru starb vor etwa 2.800 Jahren, sie war die Tochter eines Priesters und Sängerin im heiligen Tempel des Sonnengotts Amun in Karnak. Heute liegt ihre erstaunlich gut erhaltene Mumie im Museum der Universität von Manchester.
Asru ist etwas Besonderes
Als Asru starb, war sie etwa so alt wie Professor David heute – und genau das weckt das Interesse der Ägyptologin. Selten wurden die Menschen im antiken Ägypten älter als 30 Jahre alt. Aber da ist noch etwas anderes: „Asru ist etwas Besonderes für die Wissenschaft“, erklärt Rosalie David. „Denn sie wurde nicht nur alt, sondern in dieser Mumie können wir eine ganze Reihe von schweren Krankheiten nachweisen. Daher gehen wir davon aus, dass ihre Krankheiten medizinisch behandelt wurden. Wir haben hier die einzigartige Möglichkeit, in einer Mumie nicht nur alle möglichen Krankheiten zu studieren, sondern können auch nach Hinweisen suchen, was die alten Ägypter dagegen unternommen haben.“
„Miss Marple“ der Ägyptologie
Ihre Kollegen nennen Professor David gerne die „Miss Marple unter den Ägyptologen“. Tatsächlich gehört sie zu den Gründern der forensischen Ägyptologie. Sie ist die einzige Ägyptologin weltweit, die an einer Uniklinik arbeitet, gründete 1973 das „Manchester Mummy Projekt“ und leitet heute das „Institut für biomedizinische Ägyptologie“. Nirgendwo sonst auf der Welt werden wie hier in Manchester Mumien einer so intensiven medizinischen Analyse unterzogen.
Alte Bekannte
Die Professorin kennt ihre Patientin Asru bereits recht gut. Schon 1973 hat sie von der Mumie Röntgen-Aufnahmen, Ende der 90er-Jahre dann CT-Scans anfertigen lassen. Die Aufnahmen und die aktuelle Anamnese zeigen, dass Asru an mehreren Krankheiten litt: Osteoporose, schwere Arthrose, Rheuma, Diabetes. Eine verrutschte Kniescheibe und eine Staublunge kamen hinzu. Aus Untersuchungen des gut erhaltenen Gewebes weiß David, dass Asru auch unter parasitärem Wurmbefall litt, vermutlich Bilharziose. In einem neuen Anlauf will sie die moderne DNA-Analyse nutzen, um nach den Spuren von Heilpflanzen im Körper der Mumie zu suchen. In ihrem Institut entnimmt sie deshalb gemeinsam mit dem Pathologen John Denton eine Probe aus dem Darm, mit einem Endoskop.
Die Heilpflanzen der Pharaonen
Was wussten die alten Ägypter tatsächlich über die pharmazeutische Wirkung von Heilpflanzen? Im Herbarium der Manchester University – eine der größten britischen Sammlungen von Pflanzen aus aller Welt – studiert David getrocknete Pflanzen aus Ägypten. Aus erhaltenen Papyri weiß man, dass sie schon in der Antike bekannt waren. Zum Beispiel Sellerie – er wurde als Schmerzmittel verabreicht. Oder Granatapfel, ein Mittel gegen Wurmbefall.
Doch das Lesen der antiken Rezepte ist nicht einfach. Das größte Problem der Übersetzer: Sie können nicht alle Medikamente und deren Ingredienzien sprachlich eindeutig identifizieren. Die Bedeutung eines hieroglyphischen Begriffes erschließt sich vor allem aus seinem Kontext. Je häufiger ein Begriff in verschiedenen Texten vorkommt, desto einfacher ist er zu entschlüsseln. Doch die medizinischen Papyri beinhalten vor allem Listen von Zutaten, deren Benennungen sonst nirgendwo zu finden sind. Rosalie David und ihre Mitarbeiter haben trotzdem Erstaunliches herausfinden können: „Wir haben entdeckt, dass 70 Prozent der beschriebenen Wirkstoffe in alten ägyptischen Heilmitteln noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in der modernen Medizin verwendet wurden!“
Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen
Doch lassen sich diese Wirkstoffe – Reste oder Abbauprodukte von Heilpflanzen – in Asrus Gewebeproben nachweisen? Der Inhalt des mumifizierten Darms wird deshalb in Davids Labor einem Gen-Test unterzogen. Noch nie wurde so etwas gemacht. Die Forscher suchen nach pflanzlichen Genen in Asrus Darminhalt. Vor allem nach Spuren von Granatapfel. Die Genanalyse ist schwierig, denn man kann immer nur auf Verdacht nach einem bestimmten Gen suchen. In den ersten Proben, die sie untersuchen, finden sie nichts. War also alles umsonst?
„Heute war das Ergebnis negativ. Wir konnten keinen Hinweis finden, ob Asru Heilpflanzen, vor allem Granatapfel, zur Behandlung ihrer Krankheiten genommen hat“, erklärt Rosalie David. „Aber diese Untersuchungsmethode wird uns in Zukunft aufregende Möglichkeiten bieten. Wir werden weitermachen, um nach Beweisen für dieses Heilmittel und andere zu suchen. Das wird noch ganz spannend werden.“
Arbeit für Jahre
Die vollständige molekularbiologische Analyse von Asrus Gewebe wird noch Jahre dauern. Die entnommene Gewebeprobe kommt einstweilen in eine weltweit einmalige Sammlung: Die „International Ancient Egyptian Mummy Tissue Bank“. Mit rund 1.800 Proben von etwa 200 Mumien ist es die größte Sammlung antiker menschlicher Gewebeproben. Ein riesiger Fundus für die weitere Suche nach Heilmitteln der antiken Ärzte.
Autor: Rüdiger Heimlich (WDR)
Stand: 05.08.2015 11:09 Uhr