SENDETERMIN So., 01.03.09 | 17:03 Uhr | Das Erste

Gehirnwäsche. Von Geheimdiensten, Wissenschaftlern und Agenten

Zersetzung einer Persönlichkeit

Wer nicht ins System passt oder gar gegen das System kämpft, der muss gleichgeschaltet werden. Das ist das Prinzip totalitärer Regime. Die chinesischen Kommunisten in der Kulturrevolution, der russische Geheimdienst KGB, aber auch der US-amerikanische Geheimdienst CIA in Guantanamo haben Praktiken der sogenannten Gehirnwäsche eingesetzt. Das Ziel: Feindliche Kräfte wirkungsvoll zu schwächen oder Geständnisse zu erhalten.
Methoden, die auch in Deutschland Praxis waren: Die Stasi nannte sie "Zersetzung" und setzte diese gezielt gegen politische Kritiker und Gefangene ein.

Auch die Vereinten Nationen konnten Hans-Jürgen Breitbarth nicht schützen. Nur ein Jahr nachdem die UNO die Methode der "Gehirnwäsche" in ihre "Erklärung über den Schutz aller Personen vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" (Nr. 3452, 9. Dezember 1975) einbezogen, wurde der DDR-Bürger von der Stasi verhaftet. Schon längst hatte das Ministerium für Staatssicherheit auf höchst systematischem Niveau manipulative Psychotechniken erarbeitet.
Damit versuchte es ihre Bürger umzupolen, wenn sie aus Sicht der Stasi als feindlich-negativ einzustufen waren. Auch Hans-Jürgen Breitbarth.

Begriffsklärung: Gehirnwäsche oder Zersetzung

Der Begriff der Gehirnwäsche soll aus der Zeit um 1950 während des Koreakriegs stammen. Andere Quellen führen ihn auf den Schriftsteller George Orwell zurück, der im Jahre 1948 seinen Roman über den perfekten Überwachungsstaat unter dem Titel "1984" veröffentlichte. Allerdings konnte sich der Begriff ausschließlich im Volksmund durchsetzen. "Es ist eine sehr unseriöse Bezeichnung", führt der Psychologe Hans-Eberhard Zahn aus: "Denn es wird ja gar nichts aus dem Gehirn gewaschen oder getilgt, sondern im Gegenteil: Es wird einiges hineingesetzt." Daher hält Zahn die Begriffe der Zersetzung oder der Umprogrammierung für angemessen. Denn entgegen aller Gerüchte kann ein Gehirn nicht wie eine Festplatte gelöscht werden; vielmehr wird – um in der Computersprache zu bleiben – die Software verändert.

Umprogrammieren der neuronalen Software

Inwieweit die Neuronen des Gehirns tatsächlich umprogrammiert werden können, hat nicht einmal die Stasi erforscht. Denn dazu hätte sie den Gefangenen in der gesamten Untersuchungshaft Elektroden an den Kopf heften müssen. Dies aber hätte die Methoden entkräftet, weil sich dadurch der Gefangene als Versuchsobjekt hätte erkennen können. Fest steht allerdings, dass bestimmte Regionen des Gehirns wie etwa das Angstzentrum besonders stark angeregt werden.

Dies taten die Mitarbeiter der Stasi zunächst im privaten Umfeld: Sie brachen beispielsweise mehrmals heimlich in private Wohnungen ein, entfernten nach und nach Gegenstände oder stellten sie um – damit der Bewohner allmählich anfing, an seinem Verstand zu zweifeln. Zusätzlich streute der Bereich "Operative Psychologie" der Stasi Gerüchte am Arbeitsplatz und im Freundeskreis, um den Menschen nach und nach mürbe zu machen. Perfektioniert, weil konzentriert, hat das MfS jedoch seine Zersetzungsmaßnahmen in den Untersuchungsgefängnissen eingesetzt. Dort, wo der Verstand durch keine anderen Einflüsse mehr geschützt werden konnte.

Konzentrierte Zersetzungsmaßnahmen mit System

Die Verhaftung kommt plötzlich, der Verhaftete wird stundenlang in einer winzigen Zelle in einem dunklen Transporter umher gefahren, bis er nicht mehr weiß, wo er ist. Dann plötzlich blendende Helligkeit, vollständiges Ausziehen, peinlich genaue Kontrolle sämtlicher Körperöffnungen, der Verlust des Namens im Tausch gegen eine Nummer, eine karge Zelle, stundenlange Verhöre. An die ersten Momente erinnert sich Hans-Jürgen Breitbarth nur allzu gut: "Sie gehen durch diese Gänge, gehen in Ihre Zelle, Sie nehmen links, rechts überhaupt nichts mehr wahr. Sie stehen neben sich. Sie können keinen klaren Gedanken fassen." Mehrere Monate lang erlebte er unter anderem in Plauen die zerstörerische Macht der Stasi. "Nichts war vorhersehbar; alles änderte sich von einer Sekunde zur nächsten", beschreibt Breitbarth das Erlittene. "Man kann sich nicht in die Gedankengänge eines solchen Menschen hineinversetzen, von dem man da verhört wird; der nach so vollkommen anderen Regeln handelt als es menschlich erfassbar ist."

Die Stasi-Mitarbeiter erstellten zuvor eine genaue Analyse der Persönlichkeitsstruktur des Opfers. Sie kannten jede Vorliebe und jede Schwäche, studierten sogar die Krankenakten, wie im Fall von Mario Röllig. Auch er sollte 1987 im Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen von allem, was seine Identität ausmachte, entkoppelt werden: Von der Familie, Freunden, Kollegen – allen Vertrauten.

Mario Röllig: "Der Stasi-Offizier zeigte mir ein Foto meiner Nichte und sagte dann 'die ist niedlich die Kleine' und ich sagte 'ja' und in dem Moment sagte der 'wenn Sie hier weiter schweigen, dann weisen wir Ihrer Schwester nach, dass sie von ihrem Fluchtversuch was wusste, dann wird die natürlich auch hier inhaftiert, das Kind kommt dann ins Heim; es liegt jetzt ganz an Ihnen'."

Jeder gegen Jeden

Die Verhörten sollten einsehen, dass sie gegen die angeblich moralisch einwandfreien Gesetze der DDR verstoßen hatten – und sie sollten sich selbst oder andere verraten. Jeder sollte gegen Jeden ausgespielt werden. "Darin liegt die Perfektion dieses Systems: Jeder Überwachte sollte zum Überwacher des anderen werden. Keiner kann keinem mehr trauen", erläutert Hans-Eberhard Zahn. Der inzwischen 81 Jahre alte Psychologe war vor mehr als vierzig Jahren selbst Gefangener der Stasi in Hohenschönhausen und vereint so die Sichtweise des Betroffenen mit der des Fachmanns.

Denn die DDR missbrauchte sämtliche Erkenntnisse aus Psychologie und Psychiatrie; schließlich war die explizit körperliche Folter im Selbstverständnis der DDR verboten. "Während diese Theorien ursprünglich zum Wohle des Menschen angelegt sind, um die Entwicklung der Persönlichkeit voranzubringen, hat die Stasi das Ganze ins Gegenteil verkehrt", sagt der Psychologe Stefan Trobisch-Lütge.

Wissenschaftliche Manipulation

Das Gebäude des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit
Das Gebäude des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit | Bild: dpa

Das Ministerium für Staatssicherheit erhob diese Form der Manipulation sogar zur Wissenschaft. An der Juristischen Hochschule des MfS, auf dem Gelände der heutigen Universität Potsdam-Golm, erforschten und lehrten Stasi-Mitarbeiter die Technik der Zersetzung. Die Juristische Hochschule sammelte unter anderem die Erkenntnisse aus der Misshandlung politischer Gefangener in der gesamten DDR und wertete sie akribisch aus. Fast vierzig Jahre lang erhielten die künftigen Verhör-Offiziere hier sogar Diplome und Doktortitel.
Ihr gesamtes Forschen zielte darauf ab, den verlässlichsten Weg zu einer erfolgreichen Zersetzung zu finden, wobei das Opfer alles in Frage stellt, was es bisher für wahr und richtig gehalten hat – und es allem und jedem misstraut, dem es vorher vertraut hat.

Die gewonnenen Erkenntnisse flossen auch in ein Praxiswörterbuch der Stasi ein, in dem unter dem Stichwort "Zersetzung, operative" steht: "Ziel der Zersetzung ist die Zersplitterung, Lähmung, Desorganisierung und Isolierung feindlich-negativer Kräfte, um dadurch eine differenzierte politisch-ideologische Rückgewinnung zu ermöglichen."

Unbekannte Zahl unbekannter Opfer

Die Zersetzungsmaßnahmen konnten zwar in vielen Fällen den Widerstandswillen der Opfer brechen. Doch es gelang der Stasi nicht, diese sogenannten "feindlich-negativen Kräfte" zu überzeugten DDR-Sozialisten umzuprogrammieren. Oftmals erreichte sie das genaue Gegenteil, weil ihr Umgang mit den Menschen deren Regimekritik bestätigte und untermauerte. Rund 300.000 politische Gefangene gab es bis zum Mauerfall. Die gesamte Zahl der Zersetzungsopfer ist aber ungleich höher, da sie nicht ausschließlich hinter Gittern stattfand. Ein Trauma ist aber nicht davon abhängig, wie lange oder wie häufig die Stasi eine Persönlichkeit zu zerstören suchte, weiß Mario Röllig: „Jeder, und wenn er nur für 24 oder 48 Stunden beim Staatssicherheitsdienst inhaftiert war, der ist nie als gleicher Mensch wieder rausgekommen“.

Seit Jahren suchen und finden Betroffene Hilfe in Beratungsstellen wie Gegenwind in Berlin. Dort betreut der Psychologe Stefan Trobisch-Lütge politisch Traumatisierte der DDR-Diktatur. Selbst zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR ist das noch nötig: „Man muss wirklich sagen, dass ein Großteil der Personen, die die Untersuchungshaft der Staatssicherheit durchlebt haben, nachhaltig geschädigt ist“, stellt Trobisch-Lütge immer wieder fest. Dennoch ist die weitere finanzielle Förderung mit öffentlichen Mitteln für 2010 unsicher. Das politische Interesse scheint an Anlaufstellen wie Gegenwind nachzulassen. Nicht zuletzt dies bedeutet für Hans-Jürgen Breitbarth, Hans-Eberhard Zahn und Mario Röllig ebenso wie für all die anderen teils unbekannten Opfer, dass sie wohl nie wirklich mit der Manipulation ihrer Psyche abschließen können.

Adressen & Links

Informationen zu den Methoden der Stasi, Zeitzeugen und Führungen in der Gedenkstätte bieten die Internetseiten der Stiftung Hohenschönhausen.
www.stiftung-hsh.de

Gegenwind
Beratungsstelle für politisch Traumatisierte der DDR-Diktatur
Bredowstr. 36
10551 Berlin-Moabit
Tel.: (030) 39 87 98 - 11/12
Fax: (030) 39 87 98 - 13
E-Mail: gegenwindberlin@aol.com
Internet: www.beratungsstelle-gegenwind.de

Die Internetseiten der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ("Birthler-Behörde") bieten weiterführende Informationen sowie eine Liste der Außenstellen:
www.bstu.bund.de

Literatur

Klaus Behnke und Jürgen Fuchs (Hg.)
"Zersetzung der Seele – Psychologie und Psychiatrie im Dienste der Stasi"
Rotbuch Verlag (2002)
346 Seiten

Hubertus Knabe
"Gefangen in Hohenschönhausen: Stasi-Häftlinge berichten"
List Tb., 2007
382 Seiten, 8,95 Euro

Hubertus Knabe
"Die Täter sind unter uns: Über das Schönreden der SED-Diktatur"
List Tb., 2008,
383 Seiten, 9,95 Euro

Stefan Trobisch-Lütge
"Das späte Gift: Folgen politischer Traumatisierung in der DDR und ihre Behandlung"
Psychosozial-Verlag, 2004
171 Seiten, 19,90 Euro

Autorin: Kristal Davidson

Stand: 14.11.2014 10:52 Uhr

Sendetermin

So., 01.03.09 | 17:03 Uhr
Das Erste

Sprungmarken zur Textstelle