So., 01.02.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Licht und Stimmung
Wenn um 8.00 Uhr in der Frühe die Schulglocken läuten, befindet sich die innere Uhr der meisten ABC-Schützen noch im Schlafmodus. Der frühe Schulbeginn ist ein Leistungskiller. Doch so bestechend einfach die Idee klingt, die Schule später starten zu lassen – sie scheitert an den Realitäten des Arbeitslebens.
Aber es gibt noch andere Mittel, um dem morgendlichen Leistungstief zu begegnen, wie ein Langzeitexperiment an einer Hamburger Grundschule gezeigt hat: An der „Schule in der Alten Forst“ wurden die Klassenräume mit einer Lichtanlage ausgestattet, bei der die Lehrerinnen Beleuchtungsstärke und Farbtemperatur variieren können. Per Knopfdruck ändern sich Helligkeit und Farbtemperatur des Klassenlichts.
Dynamisches Licht
Morgens wählt Michaela Schwindt die Einstellung "Aktivieren". Dann bringt 1.000 Lux helles, kaltweißes Licht mit einer Farbtemperatur von 12.000 Kelvin ihre Schüler auf Trab. Wird es unruhig, wählt sie "Beruhigen": Das Licht wird auf 500 Lux gedimmt, die Farbtemperatur sinkt auf 3.200 Kelvin. Die Schüler reagieren auf die Lichtwechsel, sagt Schwindt: „Unter dem Beruhigungslicht wird es tatsächlich leiser“. Für konzentriertes Arbeiten wählt sie besonders helles Licht (1.700 Lux) mit einer Farbtemperatur von 6.200 Kelvin, welches dem Tageslicht sehr nahe kommt.
Besser Lernen mit richtigem Licht
"Ich habe nun ein Mittel, um die Unterrichtsphasen voneinander abzugrenzen", sagt Schwindt. "Die Kinder können sich besser konzentrieren und erbringen bessere Leistungen". Über ein Jahr beobachteten Forscher der Hamburger Universitätsklinik UKE die Leistungen der Klasse mit dynamischem Licht und verglichen sie mit einer anderen Klasse, bei der Standardbeleuchtung zum Einsatz kam. Dazu setzten sie Aufmerksamkeits-, Belastungs- und Leseverständnistests ein.
Ihre Ergebnisse waren eindeutig: Die Lesegeschwindigkeit der Schüler stieg unter dynamischem Licht um fast 35 Prozent. Doch nicht nur Aufmerksamkeit und Konzentration, auch die unerwünschte Hyper-Aktivität von Schülern ließen sich durch das richtige Licht positiv beeinflussen, sagt Michael Schulte-Markwort von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik am UKE.
"Ich bin davon überzeugt, dass wir durch eine Verbesserung der Beleuchtungssituation in Schulen erheblich verbesserte Lernleistungen haben werden“, sagt Professor Dieter Kunz, Chefarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus.
Das falsche Licht zum falschen Zeitpunkt
Doch während die Wirkung von Licht am Tage sehr positiv sein kann - am Abend oder in der Nacht kann sie sich ins Gegenteil verkehren. „Wenn Licht zum falschen Zeitpunkt beim Menschen abends oder nachts vorkommt, dann wird die innere Uhr durcheinandergebracht, weil sie nicht mehr weiß, ob jetzt Nacht ist oder Tag und sich in dem Sinne darauf einstellen kann“, sagt Kunz.
Seine Arbeitsgruppe geht dem Verdacht nach, dass das Licht bestimmter Lampen Schlafstörungen auslösen könnte. Versuche im Schlaflabor geben darauf Hinweise. Bei den Probanden wurde die Ausschüttung von Melatonin bestimmt, und zwar unter Einwirkung von künstlichem Licht unterschiedlicher Helligkeit und Farbtemperatur.
Schlüsselhormon Melatonin
Sobald es dunkel wird, teilt das Hormon Melatonin dies den Körperzellen mit, so dass die nötigen Abläufe eingeleitet werden können. Nachtaktive Tiere werden aktiviert, tagaktive Wesen wie der Mensch dagegen müde. "Melatonin ist kein Schlafhormon", sagt Kunz, "es schafft aber ein Milieu, welches dem Gehirn ermöglicht, qualitativ gut zu schlafen."
Lichtexperiment vorm Schlafen gehen
Für den Versuch wurden Probanden mit einem geregelten Tagesablauf rekrutiert. Sie kamen jeweils abends ins Labor, wo sie bei Dämmerlicht warteten und per Fragebogen Auskunft über ihre subjektive Müdigkeit gaben. Gleichzeitig mussten sie auf Wattebäuschen kauen. So kamen die Forscher an Speichelproben, um die Ausschüttung von Melatonin zu überprüfen. Eine Stunde vor der normalen Zeit, in der die Probanden zu Bett gehen, wechselten sie den Raum und stellten sich eine halbe Stunde lang vor eine Lampe mit definierter Helligkeit und Farbtemperatur. Auch hier wurden ihre Wachheit sowie der Melatonin-Pegel in ihrem Speichel bestimmt.
Normalerweise steigt dessen Pegel am Abend kontinuierlich an. Anders unter der Einwirkung der Leuchtstofflampen: "Da konnten wir zeigen, dass wenn Sie ganz herkömmliche Lampen nehmen, die jeder von uns zu Hause im Badezimmer hat, die Melatoninabgabe innerhalb von zehn Minuten im Körper ganz erheblich abnimmt", so Kunz.
Vor allem unter kaltweißem Licht wird die Produktion des Hormons akut unterbrochen, das Schlafsignal bleibt aus. Dagegen greift warmweißes Licht weniger stark in den Hormonhaushalt ein.
Zusätzlicher Lichtrezeptor
Kaltweiße Lampen machen wach, weil sie mehr blaues Licht emittieren. "Das ist der stärkste Faktor. Als zweites kommt hinzu, wie hell das Licht ist", erläutert Kunz, "Allerdings: Je mehr Blauanteil, desto weniger Helligkeit brauchen Sie, um eine Melatoninveränderung zu machen."
Erst seit 2002 kennen Wissenschaftler die Ursache für die biologische Wirksamkeit von blauem Licht. Bis dahin dachten sie, dass es auf der Netzhaut nur zwei Sorten von Rezeptoren gebe, nämlich Stäbchen und Zäpfchen. Doch dann entdeckten mehrere Arbeitsgruppen einen dritten Photorezeptor, der ausschließlich die Helligkeit misst und vor allem auf den Blauanteil des Lichts reagiert.
Diese circadianen Photorezeptoren enthalten das lichtempfindliche Pigment Melanopsin. Sobald es blaues Licht registriert, setzt es eine Hormonkaskade in Gang, welche die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin unterdrückt. Die "Melanopsin-Rezeptoren" sind auch bei den einfachsten Organismen vorhanden und haben einen direkten Draht ins Gehirn, wo sie der Inneren Uhr den Takt vorgeben.
Blaulicht macht wach
Licht mit hohem Blauanteil wirkt aktivierend. Diese wissenschaftliche Erkenntnis machen sich neuartige LED-Lampen zu Nutze. Ihre blauen LED sollen die Müdigkeit vertreiben. Schon 15 Minuten Bestrahlung mit der Lampe im Taschenformat sollen gegen einen Jetlag helfen oder eine akute Müdigkeit vertreiben. "Wenn wir am Tag eine Beleuchtung haben mit einem hohen Blauanteil, dann stärkt das die Aktivität, das Gehirn wird direkt aktiviert, so als wenn wir Kaffee trinken oder Ähnliches", sagt Kunz.
"Umgekehrt stört dieser Blauanteil in der Nacht. Wir brauchen intelligente Beleuchtungen, die am Tage einen hohen Blauanteil haben und in der Nacht oder am Abend einen geringen." Der Experte fordert ein generelles Umdenken in Sachen Licht. "Ich erhoffe mir und denke, dass das innerhalb der nächsten zehn Jahre passieren wird, dass sämtliche Beleuchtungssituationen neu getestet werden. Ob das Straßenbeleuchtung ist, ob das Bürobeleuchtung ist oder ob das Beleuchtung Zuhause ist."
"Gesunde" Lampen
Die Lampe der Zukunft soll Rücksicht auf die innere Uhr nehmen und für jede Tageszeit die passende Farbtemperatur liefern. Daran arbeiten Wissenschaftler in Industrie und Forschung, wie etwa am Greifswalder Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie, im Rahmen des Projektes PLACAR (Plasmalampen für circadiane Rhythmen).
Keine kaltweißen Energiesparlampen am Abend
Während ein hoher Blauanteil am Tage durchaus erwünscht ist, sei dieser in der Nacht "sicher gesundheitsschädigend", sagt Kunz, der davon abrät, kaltweiße Energiesparlampen am Abend einzusetzen. Diese mögen für eine Tagesbeleuchtung geeignet sein, "für die Abendbeleuchtung im Wohnbereich sind sie nicht gesundheitsfördernd".
Noch spielen diese Erkenntnisse in der Praxis kaum eine Rolle. Die EU hat kürzlich das schrittweise Ende für die klassischen Glühbirnen beschlossen. Dabei haben die meisten der als Ersatz gepriesenen Energiesparlampen ihre maximale Abstrahlung im blauen Spektrum. Welche Folgen der Einsatz von kaltweißen Energiesparlampen am Abend hat, wurde bisher aber noch nicht untersucht. Klar ist nur eins: Licht ist ein komplexes Medikament, dessen Wirkung man ernst nehmen sollte.
Autor: Güven Purtul
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Stand: 12.08.2015 13:27 Uhr