So., 20.09.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Mythos Rheinlachs
Jahrzehnte lang war der Lachs am Rhein ausgestorben. Der Strom war bis in die 1980er zu einer Kloake verkommen, dann beschlossen alle Rheinanliegerstaaten, den Fluss zu retten. Heute leben wieder mehr als 60 Fischarten im Rhein. Im Jahr 2000 wurde schließlich ein Traum vieler Naturfreunde wahr. Biologen zählten über 500 springende Lachse an der Sieg, einem Nebenfluss des Rheins. Die Öffentlichkeit jubelte: "Der Lachs ist zurück im Rhein!" Doch stimmt das so? Ist der Rhein wieder ein echter Lachsfluss?
Chance durch Nachzucht
Neun Jahre später ist die erste Euphorie verflogen. Jedes Jahr von neuem zählen Biologen an der Sieg die heimkehrenden Lachse. Die Zahlen stagnieren. Einzig im Jahr 2007 wanderten mehr Lachse die Sieg stromaufwärts als 2000. In schlechteren Jahren waren es weniger als die Hälfte. Ohne die Hilfe des Menschen hätte der Lachs auch an der Sieg, Deutschlands Lachsfluss Nummer eins, noch keine Chance. Über 500.000 Jungfische wachsen in der Lachs-Aufzuchtstation des Landes Nordrhein-Westfalens (NRW) jedes Jahr heran, um in der Sieg ausgesetzt zu werden. Deshalb ist jeder heimkehrende Fisch für die Biologen kostbar. Diese Rückkehrer müssen die Zucht weiterführen. Hörten die Ökologen jetzt damit auf, Zuchtfische in den Nebenflüssen des Rheins auszusetzen, wäre das Comeback der Lachse am Rhein schnell wieder vorbei. "Der Lachs ist noch nicht wieder ganz heimisch am Rhein, aber wir sind auf einem guten Weg", bestätigt auch die Ökologin Anne Schulter-Wülwer Leidig. Als Vize-Geschäftsführerin der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins koordiniert sie die Maßnahmen der Rhein-Staaten zur Wiederansiedelung der Lachse. "Wir haben schon einiges erreicht, beispielsweise die Wasserqualität des Rheins stark verbessert. Deshalb sehen wir auch schon die ersten Erfolge."
Fehlende Laichplätze
Doch warum schafft es der Lachs am Rhein noch nicht ohne die Unterstützung des Menschen? Warum hat sich nicht schon längst eine stabile Population gebildet? Spurensuche in der Agger, einem Nebenfluss der Sieg nicht weit von Köln. Hier finden Lachse schon heute ideale Laichplätze: Klares, sauerstoffreiches Wasser und lockere Kiesböden, in denen sie ihre Eier mit der Schwanzflosse vergraben. In der Agger pflanzt sich der Lachs deshalb auch schon heute von selbst fort. Die Naturschützer des Landes NRW überlegen bereits, hier gar keine Zuchtfische mehr auszusetzen. Doch das ist die Ausnahme.
Nur ein paar Kilometer weiter bremst ein Stauwehr den natürlichen Lauf des Flüsschens. Das Wehr wurde mit einer Fischtreppe für Lachse zwar durchgängig gemacht, aber die Agger kommt hier fast zum Stillstand. Der Blick unter Wasser ist ernüchternd. Schlamm setzt sich über dem Kiesboden ab. Laichbereite Lachse machen um solche Stellen einen weiten Bogen. Flussaufwärts an der Sieg ist komplett Schluss mit der Lachswanderung. Ein über zwei Meter hohes Stauwehr stellt sich ihnen im Siegerland in den Weg. Kein Fisch schafft den Sprung über diese Barriere. Der gesamte Oberlauf der Sieg bleibt den Lachsen so verschlossen, bis hier eine Fischtreppe eingebaut wird. Selbst an der Sieg gibt es also noch viel zu tun für die Lachsschützer. "Wir brauchen weitere Anstrengungen", fordert Anne Schulte-Wülwer-Leidig, "Gewässer müssen durchgängig sein, sie müssen strukturreich sein, wir brauchen eine gute Gewässerqualität. Und das in möglichst vielen Nebenflüssen. All das brauchen wir, damit der Lachs wieder heimisch wird."
Gewaltige Hindernisse auf dem Weg in die Schweiz
Doch die Hindernisse, auf die Lachse im Kleinen in den Nebenflüssen des Rheins stoßen, sind am Hauptstrom noch viel gewaltiger. Zumindest am Oberrhein im Elsass. Dort treffen die Lachse auf Betonmassen. Zehn große Staustufen zwischen Iffezheim bei Rastatt und Kembs nördlich von Basel versperren den Weg bis in die Schweiz. Der Fluss ist kanalisiert, mit den Staustufen reguliert man den Wasserstand. Außerdem produzieren gewaltige Wasserkraftwerke Strom für die Menschen der Region. Für wandernde Fische wie den Lachs gibt es hier kein Durchkommen.
Eigentlich. Denn man kann den Fischen auf die Sprünge helfen. Die ersten beiden Staustufen in Iffezheim und 30 Kilometer stromaufwärts in Gambsheim verfügen inzwischen über einen sogenannten Fischpass. Wie in einem Gebirgsbach können hier Fische durch aneinander gereihte Betonbecken aufsteigen. Baukosten: Zehn Millionen Euro pro Fischpass. Die Kosten teilen sich Deutschland, Frankreich und der Energiekonzern Electricité de France. Der Lachs erreicht so wieder potenzielle Laichgebiete wie die Ill im Elsass oder die Kinzig im Schwarzwald.
Überwachungskameras registrieren jeden Fisch, der diese Autobahn für Flussbewohner nutzt. 2008 waren es in Gambsheim 20.000 Fische aller Arten. Darunter auch die ersten 70 Lachse. Ein erster Erfolg, doch auch hier könnten es schon viel mehr sein.
Ein Aufgabe für Generationen
Denn wirklich ideale Laichgebiete wie die Gebirgsflüsse der Schweiz oder das alte Rheinbett zwischen Basel und Breisach erreichen die Raubfische noch lange nicht. Erst zwei weitere Fischpässe bei Straßburg sind beschlossen. Offen ist, wann die übrigen Staustufen für den Lachs durchgängig sein werden. "Alle Anrainerstaaten haben sich das Ziel gesetzt, dass der Rhein bis 2027 wieder durchgängig bis Basel ist. Ich bin guter Dinge, dass wir dieses Ziel auch erreichen werden", hofft Anne Schulte-Wülwer-Leidig. Viel Zeit also, bis der Lachs in seinen angestammten Laichgründe am Oberrhein wieder ankommen wird. "Es ist in Generationen sehr viel verändert worden, in unseren, in allen Gewässern", bremst die Ökologin die größte Ungeduld, "wir müssen deshalb eigentlich auch in Generationen denken, um es wieder entsprechend in einen positiveren Zustand zu bekommen. Auch wenn wir nie mehr das erreichen, was wir früher hatten als natürliches System."
Adressen & Links
Das Wanderfischprogramm der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins:
www.iksr.org
Informationen zu Wanderfischen in Baden Württemberg, zu Staustufen am Oberrhein, Fischpässen und eine Livecam am Fischpass Iffezheim:
www.wfbw.de
Autor: Frank Nischk (WDR)
Stand: 11.05.2012 13:01 Uhr