So., 08.02.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Organe aus der Tiefkühltruhe
Aus dem Gefrierfach in den OP. In dem Gefrierbeutel, den die Ärztin soeben herausgeholt hat, ist eine Herzklappe; die Rettung für einen siebenjährigen Jungen.
Das Ärzteteam am Herzzentrum Berlin macht die Herzklappe fertig für die lebensrettende Transplantation. Sie stammt von einem Menschen, ihr Spender ist längst tot. Tiefgefroren hat sie auf ihren Einsatz gewartet.
Rettung für Herzkranke
Für Prof. Roland Hetzer sind diese tiefgefrorenen Spender-Herzklappen eine große Hilfe. "Wir verwenden diese menschlichen Herzklappen bevorzugt bei Patienten, die eine schwere eitrige Herzinnenhautentzündung haben und bei denen die Herzklappen durch die Entzündung und die Bakterien zerstört sind", sagt er, "unter dieser Bedingung heilt eine künstliche Herzklappe, die einen Nahtring hat, der aus Kunststoff besteht, nicht ein."
Zwischen Herzklappenspende und Transplantation können Jahre liegen. In den Stickstofftanks des Herzzentrums ist das kein Problem: Die Moleküle kommen zum Stillstand, die Herzklappen verwesen nicht.
Expressdienst für tiefgefrorene Herzklappen
Kryobanken wie die am Herzzentrum Berlin machen die Mediziner unabhängig von Raum und Zeit. Die tiefgefrorenen Herzklappen und auch Kryobankleiter Dr. Rudolf Meyer und seine Kollegen sind ständig einsatzbereit. "Wenn zum Beispiel ein Herzchirurg aus Stuttgart eine Klappe haben möchte und die ist bei uns vorhanden", erklärt Meyer, "wird unabhängig von der Tageszeit bei uns über ein Diensttelefon die Klappe angefordert. Es wird dann der Transport per Flieger organisiert und die Klappe innerhalb von Stunden an den Ort, wo sie nötig ist, überstellt."
Blutkonserven vor Verderben retten
Das Eisfach könnte bald zum zentralen Bestandteil des Operations-Saals werden – auch für Blutkonserven. Andreas Sputtek in der Universitätsklinik Hamburg Eppendorf friert rote Blutkörperchen ein. Bei Raumtemperatur sind sie nur 42 Tage haltbar, in den Stickstofftanks unbegrenzt. Ein großer Vorteil für die Patienten, sagt Sputtek: "Das hilft Menschen, die auf eine Operation warten, ihr eigenes Blut in ausreichendem Abstand in ausreichender Menge vor der Operation auf Lager zu legen. Und es hilft uns auch, das mögliche Infektionsrisiko von Fremdblutkonserven zu verringern, indem nämlich der Patient sein eigenes Blut bekommt."
Aber: Kein Patient darf bisher Blut aus diesen Kryokonserven bekommen. Denn Sputtek fehlen die Geldgeber, um sie an größeren Patientengruppen zu testen, seit Jahren schon. Und das obwohl ohne Kryofrostung im Normalbetrieb der Kliniken jede Menge Blutkonserven verderben. "Die Prozentsätze sind nicht genau bekannt, weil man mit diesen Zahlen nicht gerne hausieren geht", sagt Sputtek, "wenn Sie mich fragen, würde ich sie in dem Bereich zwischen zehn und 20 Prozent anordnen. Das sind auch Zahlen, die andere Leute nennen." So geht möglicherweise jede fünfte Spende verloren.
Frosten für den Impfstoff gegen AIDS
Ein Impfstoff gegen Aids. Die ganze Welt wartet darauf. Und das Herzstück der weltweiten Impfstoffentwicklung ist im saarländischen Sulzbach, am Fraunhofer Institut für Biomedizinische Technik. Es herrschen strengste Sicherheitsbedingungen: Labor und Kryobank sind hermetisch abgeriegelt.
Denn diese Forscher frosten HIV-Virenstämme im Auftrag der Gates Stiftung. Der Virologe Hagen von Briesen hat die Kryobank aufgebaut. "Wir lagern hier zentral die wichtigen Reagenzien, Impfstoffkandidaten, mögliche neue Impfstoffe hier ein", erklärt er, "um sie den Forschern, der gesamten Forschergemeinde zur Verfügung zu stellen. Das heißt, wir erleichtern damit den Zugang zu wichtigen Proben und damit unterstützen wir die Impfstoff-Forscher in der ganzen Welt."
Der technische Aufwand ist enorm. In Kryotürmen versehen die Wissenschaftler die hochsensiblen Proben mit Speicherchips. So können sie sie bearbeiten und ordnen ohne sie aufzutauen. "Es ist sehr wichtig, dass die Proben, mit denen ich arbeite wie z.B. Immunzellen unter den bestmöglichen Bedingungen eingefroren und unter bestmöglichen Bedingungen gehandhabt werden”, sagt von Briesen. “Das ist wichtig für die Forschung für meine späteren Ergebnisse, die ich da herausziehen möchte."
Herausforderung: Organe einfrieren
Gewebe, Blutkonserven und Impfstoffe – so segensreich die Kryokonservierung für die Mediziner auch ist, eine große Hoffnung hat sie bisher enttäuscht: Organe einfrieren. Denn je größer und komplexer das Zellgebilde desto größer die Probleme beim Einfrieren.
Dr. Gregory Fahy versucht es trotzdem. Wir sind in seinem Labor in Rancho, Kalifornien. Er arbeitet an einer Organbank, frostet Kaninchen-Nieren und wähnt sich kurz vor dem Durchbruch. "Ich kann Ihnen sagen, dass wir eine Niere eingefroren haben", sagt er, "wir haben sie wieder aufgewärmt, transplantiert und für den Empfänger war sie lebenserhaltend. Wir haben die Niere herausgenommen und mikroskopisch untersucht, nachdem wir sicher waren, dass sie im Empfänger funktionsfähig bleibt; also wissen wir, dass diese Niere überlebt hat und dass das machbar ist."
Einfrieren ohne Eiskristalle
Seine Methode: Vitrifizieren. Mit den Nieren passiert dasselbe wie bei der Glasherstellung: Die Flüssigkeit kommt zum Stillstand. Der Vorteil: keine Eiskristalle, die den Zellstoffwechsel zerstören. Stolz zeigt uns Fahy eine Niere, die er gerade präpariert hat: "Diese Niere ist vitrifiziert worden und ist jetzt fest und in einer Lösung eingelegt. Man kann sehen, dass sie absolut normal aussieht."
Die Funktionsfähigkeit der Nieren hat er damit aber noch lange nicht bewiesen. Denn dem Kaninchen wurde das Organ nur für ein paar Stunden eingesetzt. Auf Organbanken müssen die Ärzte also noch lange warten.
Autoren: Bettina Oberhauser, Tilman Jens
Stand: 11.05.2012 13:06 Uhr