So., 25.10.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Tierische Hilfe für menschliche Ärzte
Würmer, Maden, Knabberfische
Heilen mit Tieren – dabei denken die meisten Menschen wohl an Hippotherapie, Schwimmen mit Delfinen oder den Besuch eines quirligen Hundes im Altersheim. Aber es gibt noch ganz andere Tierarten, die kranken Menschen helfen sollen:
den Schweine-Peitschenwurm zum Beispiel, die Made der gemeinen Schmeißfliege oder die rötliche Saugbarbe, auch bekannt als Knabberfisch. W wie Wissen stellt drei tierische Therapien vor, die auf den ersten Blick Ekel auslösen...
Würmer gegen entzündliche Darmkrankheiten
Prof. Dr. Andreas Raedler ist Gastroenterologe am Asklepios Westklinikum Hamburg. Fast täglich behandelt er hier Menschen mit chronischen Darmentzündungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Über 300.000 Patienten leiden in Deutschland an diesen Autoimmunerkrankungen. Sie leben mit ständigen Beschwerden: Krämpfen, Bauchschmerzen, Durchfall. Immer mehr Menschen kommen auch mit ausgeprägten Nahrungsmittelallergien zu Raedler.
Einem Teil dieser Patienten verschreibt der Gastroenterologe eine ungewöhnliche Medizin. Die Eier des Schweine-Peitschenwurms (Trichuris suis) sollen ihre Symptome lindern. Der Durchmesser der Eier beträgt kaum einen zwanzigstel Millimeter. Doch Prof. Dr. Andreas Raedler ist überzeugt, dass sie Großes bewirken können.
Zu viel Hygiene als Auslöser
Die Idee hinter dieser Therapie ist im Grunde genommen einfach. Statistiken belegen, dass Morbus Crohn und Colitis ulcerosa fast nur in Industrienationen auftreten, selten jedoch in Regionen, in denen geringe Hygienestandards gelten.
Mit anderen Worten: Menschen, die regelmäßig Kontakt mit Dreck und so auch mit Parasiten haben, scheinen weniger anfällig für chronische Darmerkrankungen zu sein. „Wir haben im Darm ein antiparasitäres Immunsystem“, erklärt Prof. Dr. Raedler, „eine spezialisierte Immunantwort, die nur darauf konzentriert ist, Würmer und andere Parasiten zu eliminieren. Aber dieser Teil unseres Immunsystems wird wegen der vermehrten Hygiene nicht mehr gebraucht, nicht mehr trainiert. Wir gehen davon aus, dass es aus genau diesem Grund - mangels Übung - häufig zu einer Fehlregulierung kommt. “ Eine Fehlregulierung mit gravierenden Folgen. Das Immunsystem kann nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden, reagiert auf eigentlich harmlose Stoffe mit einer chronischen Entzündung. „Wenn das so ist, dann ist es naheliegend, das System nachzutrainieren“, so Raedler.
Wie die Würmer im Darm wirken
Die Wahl fiel dabei auf den Schweine-Peitschenwurm, weil seine Eier im Menschen nur kurz überleben. Der Parasit befällt normalerweise nur Schweine. Die Eier werden – sterilisiert, aber nicht abgetötet – von den Patienten in einer neutralen Lösung geschluckt und setzen sich im Bereich des Zwölffingerdarms ab. Nach etwa 14 Tagen werden sie mit dem Stuhl ausgeschieden. Vorher jedoch haben die Eier das menschliche Immunsystem stimuliert. Wie genau das vor sich geht, wird zur Zeit noch erforscht. Eine Theorie: Bei Crohn- und Colitis-Patienten ist eine überschießende Immunantwort der T-Helferzellen vom Typ 1 (TH-1-Zellen) typisch. Wurmeier regulieren dagegen das entzündungs-hemmende TH-2-Zellsystem in die Höhe. Positive Folge ist, dass die Entzündungen im Darm abklingen. „Damit ist dieser Teil der Immunantwort einmal regelhaft eingeübt worden“, erläutert Raedler. „Und das Immunsystem im Darm erkennt in Zukunft eher, welche Stoffe harmlos und welche Parasiten sind.
Erste kleinere Studien aus den USA waren vielversprechend. In Deutschland handelt es sich bei den Eiern des Schweine-Peitschenwurms noch um eine experimentelle Therapie. Doch zur Zeit läuft eine groß angelegte einjährige Zulassungsstudie an. Verläuft sie erfolgreich, könnten die Wurmeier in Deutschland als Medikament zugelassen werden.
Fliegenmaden statt Skalpell
Auch in der Wundbehandlung kommen Parasiten zum Einsatz. Dr. Harald Daum, Facharzt für Chirurgie, leitet das Wundzentrum der Asklepios Klinik Harburg. Seine Patienten leiden meist an Diabetes, Durchblutungsstörungen oder Druckgeschwüren. Sie kommen mit offenen Wunden, die nur schwer verheilen, weil sie von abgestorbenem Gewebe durchsetzt oder von Bakterien befallen sind. Bei solchen chronischen Wunden setzt Dr. Daum auf die Hilfe so genannter „Biochirurgen“ - die Maden der gemeinen Schmeißfliege (Lucilia sericata). Ihre Besonderheit: Sie ernähren sich von abgestorbenem Gewebe. „Die Maden sind besonders geeignet für komplizierte, tiefliegende Wunden, die Taschen und Nischen aufweisen, die also sehr unregelmäßig sind“, erklärt er. „Ich komme dort mit meinem Skalpell nur sehr schwer hin, vor allem, wenn die Wunden sich dicht an wichtigen Strukturen befinden, wie etwa Knochen oder Sehnen. Die Maden hingegen kommen genau dort sehr gut hinein und greifen ganz gezielt das abgestorbene Gewebe an. Das gesunde Gewebe lassen sie heil.“
Wie die Maden Wunden säubern
Dr. Daums erster Patient heute, Herr Gärtner, hat eine offene Wunde am Schienenbein. Bakterien haben sich darin breit gemacht, deshalb heilt die Wunde nur schlecht. Herkömmliche Medikamente wie etwa Hydrogel konnten Gärtner nicht helfen. Deshalb hat er sich auf die Maden-Therapie eingelassen. Nur wenige Millimeter klein sind die Maden, die Dr. Daum nun auf die Wunde setzt. Sie sind in einem sterilen Labor gezüchtet. Das ist wichtig, damit sie keine Keime einschleppen. Verpackt sind die Maden in einem so genannten Bio-Bag, einem teebeutelähnlichen Säckchen. Dadurch wird die Behandlung einfacher. Frei laufende Maden sind überraschend schnell und können sich schon mal im Bettzeug verirren. Der Bio-Bag muss lediglich mit Pflastern auf der Wunde befestigt werden. Darüber legt Dr. Daum einen Verband an. Für zwei bis drei Tage bleiben die kleinen Tiere auf der Wunde und verrichten dort ihre Arbeit. „Viele Menschen denken, dass die Maden an der Wunde fressen“, sagt Daum. „Aber das stimmt nicht. Maden haben eine extrakorporale Verdauung.“ Sie geben einen Speichelsekret in die Wunde ab, das bestimmte Enzyme enthält und ganz gezielt das abgestorbene Gewebe andaut. Aus dem abgestorbenen Gewebe entsteht eine Art Nährbouillon, die von den Maden dann aufgeschlürft wird. „Außerdem enthält der Speichel der Maden eine Substanz, die die Wunde alkalisiert“, fährt Daum fort. „Der Säurespiegel in der Wunde verändert sich, so dass Keime dort nicht mehr überleben können. Im Moment wird ebenfalls geforscht, ob sich im Speichel möglicherweise auch Wachstumsfaktoren befinden, die die Neubildung von Gewebe fördern.“
Maden als wichtiger Puzzlestein in der Wundbehandlung
Ein Zimmer weiter liegt Frau Hermann. In den vergangenen drei Tagen hatte sie frei laufende Maden in ihrem offenen Bein. Dr. Daum hält die Freiläufer für effektiver als die Maden in Bio-Bags. „Sie können sich in der Wunde bewegen und sich die besten Stellen aussuchen“, erläutert er. Frau Hermann hat die Maden vor allem nachts gespürt. „Das hat ganz schön gekribbelt und gekrabbelt“, erzählt sie. Heute kommt der Verband ab und es zeigt sich, wie effektiv die Tiere wirklich waren. „Die Maden haben das abgestorbene Gewebe, die Nekrosen, fast komplett entfernt“, sagt Daum und zeigt auf das saubere rosa Fleisch. Die Maden haben sich satt gefressen, sind in den drei Tagen deutlich gewachsen. Die Wunde ist nun gesäubert und der Heilungsprozess kann voranschreiten. Eine aktuelle Studie der britischen Universität York zeigt, dass die Maden das abgestorbene Gewebe in einer Wunde schneller entfernen als herkömmliche Hydrogel-Auflagen. Bis zur endgültigen Abheilung der Wunde verging jedoch bei beiden Methoden in etwa gleich viel Zeit. Insofern bleibt es letztlich dem Patienten überlassen, welche Methode er wählt. „Die Maden sind sicher kein Allheilmittel“, sagt Daum. „ Aber sie sind ein wichtiger Puzzlestein in der Wundbehandlung.“
Knabbernde Fische gegen Schuppenflechte
Eine weitere tierische Therapie hat es in den vergangenen Jahren immer wieder in die Schlagzeilen geschafft. Die rötliche Saugbarbe, auch bekannt als Knabberfisch, soll demnach ein wahrer Wunderheiler sein bei Schuppenflechte (Psoriasis). Die Fischart kommt in der Natur vor allem in der südlichen Türkei vor. Bekannt wurden die Saugbarben durch eine Population im türkischen Bergdorf Kangal, weshalb sie häufig auch als Kangalfische bezeichnet werden. In den heißen Quellen von Kangal finden die Saugbarben nur wenig Nahrung und haben sich darum darauf spezialisiert, die Hautschuppen badender Menschen abzuknabbern. Patienten mit Schuppenflechte berichteten nach ihrem Aufenthalt in dort immer wieder vor anhaltender Besserung ihrer Symptome. Heute ist das Dorf ein offizieller Kurort für Menschen mit Hautkrankheiten.
Fisch-Therapie unter Dermatologen nicht anerkannt
Doch bei Dermatologen ist die Kangalfisch-Therapie umstritten. Prof. Dr. Ulrich Mrowietz leitet das Psoriasis-Zentrum am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Er behandelt seit vielen Jahren Menschen mit der genetisch bedingten Hautkrankheit. „Ich halte die Kangalfisch-Therapie für unwirksam“, sagt er. „Die Fische knabbern nur die oberflächlichen und locker anhaftenden Schuppen ab. Die zu Grunde liegende Entzündung aber, die das eigentliche Problem bei der Psoriasis darstellt, die bleibt bestehen.“ Das Abtragen der Schuppen lässt sich, so Mrowietz, genauso durch eine pharmazeutische Creme erreichen. Dass dennoch viele Psoriasis-Patienten nach ihrem Besuch in Kangal von einem deutlichem Rückgang der Schuppenflechte berichten, führt er auf andere Faktoren zurück. „In Kangal spielt die entscheidende Rolle, dass die Patienten längerfristig dableiben und sich nach dem Baden in die Sonne legen. Kangal liegt 1.500 Meter hoch in den Bergen, dort herrscht eine intensiven UV-Strahlung. Das ist also wie eine Licht-Therapie, wie sie auch in jeder dermatologischen Klinik oder Praxis durchgeführt werden kann.“ Hinzu komme, dass durch einen mehrwöchigen Kuraufenthalt in Kangal Stress reduziert werde. Stress sei ebenfalls ein wichtiger Auslöser der Schuppenflechte. „Es gibt zwar ein paar kleine Studien zu den Knabberfischen, aber keine, die den Ansprüchen der evidenzbasierten Medizin genügt“, gibt Mrowietz zu bedenken. „Ihre Wirkung ist demnach nicht belegt.“
Keine Wunderheilung
Dennoch wird die Behandlung mit den Tieren auch in Deutschland in einigen Kliniken und von Heilpraktikern angeboten. Dabei liegt der Patient täglich in einer Badewanne mit Kangalfischen und wird anschließend meist mit UV-Licht bestrahlt. Die Kosten für die Behandlung trägt der Patient. Für einen Monat Kur in einer Klinik können das über 3.000 Euro sein. Der Dermatologe sieht solche Angebote kritisch. Für ihn steht fest: Wunderheiler sind die Fische auf keinen Fall. „Die Patienten kommen immer wieder und haben die gleiche Erfahrung gemacht: eventuell durch Placebo-Effekt kurze Besserung, aber keine Heilung. Die Schuppenflechte kommt wieder.“
Adressen & Links
Eine Website mit einer aktuellen britischen Vergleichsstudie (VenUS II) zur Wundheilung mit Maden (englisch):
www.bmj.com
Dr. Harald Daum ist erreichbar über sein Sekretariat in der ASKLEPIOS KLINIK HARBURG, Abteilung Gefäßchirurgie u. endovaskuläre Chirurgie
Gefäßcentrum, Allgemein- und Visceralchirurgie
Eißendorfer Pferdeweg 52
Tel.: 040/18 18 86-25 51
Fax: 040/18 18 86-30 86
www.asklepios.com
Die Website vom Psoriasis-Zentrum Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, auf der viele Ansätze der Behandlung der Schuppenflechte zu finden sind:
www.dermatology.uni-kiel.de
Menschen mit Schuppenflechte finden auf dieser Seite viel Wissenswertes:Deutscher Psoriasis Bund Selbsthilfeorganisation:
www.psoriasis-bund.de
Englischsprachige Studie zur Wirkung der Kangalfische:
ecam.oxfordjournals.org
Autorin: Anke Christians (NDR)
Stand: 30.09.2014 14:22 Uhr