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Überlebenskünstler Bärtierchen

Im Winter, besonders an eisigen Tagen, wirkt die Natur tot und erstarrt: Wo es im Sommer schwirrt, kribbelt und krabbelt, streicht jetzt der Wind durch verdorrtes Gras.

Der Biologe Dr. Ralph Schill findet aber selbst im stillen Winterwald quirlige Ökosysteme. Mit einem Skalpell schneidet er einige Proben aus dicken Moospolstern, die an Baumstümpfen und Bachufern wachsen. "Moos sieht sehr unscheinbar aus, aber es ist ein faszinierender Lebensraum", sagt Schill, "sobald die Sonne scheint und die Temperaturen steigen, trocknet dieser Lebensraum aus. Nur Tiere, die diese Fähigkeiten des Austrocknens beherrschen, werden in diesem Moos überleben. Alle anderen Tiere müssen, wenn es feucht ist, von außen wieder einwandern."

Überleben in der Trockenheit

Bärtierchen unter dem Mikroskop
Ein Bärtierchen im Moos. | Bild: WDR

Tiere, die diese Fähigkeit perfekt beherrschen, sind die Bärtierchen. Diese Organismen, die selbst vielen Biologen unbekannt sind, gehören zu den erstaunlichsten Kreaturen, die man in der Natur findet. Und das nicht nur, weil sie sich alle möglichen und unmöglichen Lebensräume erschlossen haben: Man findet sie im Moos, das zwischen Gehwegplatten wächst, in Dachrinnen. Auf hoher See, mitten im Atlantik wurden sie bereits gefunden, in der Tiefsee und selbst in den Trockentälern der Antarktis, wo es nie schneit oder gar regnet.

Ausgekocht und tiefgefroren

Bärtierchen, die mit ihren Stummelbeinchen und ihren tapsigen Bewegungen an Gummibären erinnern, sind faszinierende Überlebenskünstler.

Wenn ihnen das Wasser unter den Krallen wegtrocknet, ziehen sie ihre Beine ein und rollen sich zu einem so genannten Tönnchen zusammen. In diesem Tönnchen-Stadium überleben sie fast alles, was Wissenschaftlern einfällt, um die Grenzen ihrer Zähigkeit auszutesten.

Man kann Bärtierchen-Tönnchen in kochendes Wasser werfen. Oder man kann sie in minus 196 Grad kaltem, flüssigen Stickstoff schockfrosten. Wenn man dann die so behandelten Tönnchen mit ein paar Tropfen Wasser benetzt, ploppen nach ein paar Minuten die Beinchen raus, und die Bärtierchen fangen wieder an zu strampeln.

Bäronauten im All

Schill ist mit einem internationalen Bärtierchen-Forschungsteam sogar noch weiter gegangen. Sie haben die kleinen Bären in den Weltraum geschossen. Dort angekommen, öffnete sich der Behälter, in dem die Tönnchen aufbewahrt wurden. So wurden die Bäronauten zu einem unfreiwilligen Weltraumspaziergang ohne Raumanzug gezwungen. Ungeschützt waren die Tiere der Weltraumkälte, der heftigen Strahlung und dem Vakuum ausgesetzt. Das Ergebnis: auch diese widrigsten Umstände haben einige von ihnen überlebt!

Überleben mit Bärtierchen-Trick

Diese Forschungen sollen irgendwann einmal zu lebensrettenden Erkenntnissen führen. Wissenschaftler wie Ralph Schill wollen den Überlebenstrick der Bärtierchen ergründen. Wenn man weiß, wie sie es schaffen, etwa in der Eiseskälte der antarktischen Trockentäler zu überleben, dann ist es vielleicht auch möglich, menschliche Organe tief zu frieren. Dann wäre die Transplantationsmedizin einen großen Schritt weiter. Dazu ist es nötig, die molekularen Mechanismen zu verstehen und nachzuvollziehen, die es den Bärtierchen erlauben, ihre Zellen und Zellbestandteile unter Extrembedingungen zu erhalten oder auch zu reparieren.

Wer einmal selbst auf die Suche nach Bärtierchen gehen will, der muss nicht in die Antarktis reisen oder durch Winterwälder stapfen. Die größten Chancen, von Bärtierchen bewohntes Moos zu finden, hat man bei der Suche in der Dachrinne.

Autor: Ulf Marquardt

Stand: 12.10.2012 10:48 Uhr

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