So., 21.03.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Angriff auf die Spermien
Die Spermienqualität deutscher Männer ist die zweitschlechteste in Europa. Sind unsere Männer unfreiwillige Opfer eines Großexperiments? Man hört ja immer wieder Horrornachrichten: Handystrahlung, Umweltgifte freigesetzte Östrogene sollen Spermien zerstören und zur Verweiblichung führen. Doch was ist an diesen Meldungen wirklich dran?
Sterben die Deutschen aus?
Der Androloge Professor Uwe Paasch am Universitätsklinikum Leipzig und seine Forscherkollegen aus Hamburg und Kopenhagen haben festgestellt, dass die Spermienqualität deutscher Männer die zweitschlechteste in Europa ist. Das klingt bedenklich, aber ist die männliche Fruchtbarkeit wirklich ernsthaft in Gefahr? Uwe Paasch und seine Kollegen haben herausgefunden, dass bei gut einem Drittel der Männer die Spermienqualität tatsächlich so eingeschränkt ist, dass es im Falle eines Kinderwunsches länger dauert, bis die Paare tatsächlich schwanger werden. Dies ist das Ergebnis der letzten großen Studie, für die über 1.000 junge Männer ihr Ejakulat im Namen der Wissenschaft gaben. Mit ernüchterndem Ergebnis: Etwa die Hälfte der Testpersonen brachte es gerade einmal auf 40 Millionen Spermien pro Milliliter Samenflüssigkeit. Junge Finnen schaffen dagegen 90 Millionen. Ein Fünftel der deutschen Testpersonen kommt nicht einmal auf 20 Millionen Spermien pro Milliliter Samenflüssigkeit. Nach WHO-Standard dürfte es für diese Männer schwierig werden Kinder zu zeugen. Bis jetzt gibt es für die gewaltigen Unterschiede innerhalb Europas keine schlüssige Erklärung.
Was sind die Ursachen?
Die Forscher konnten nachweisen, dass das Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft einen erheblichen schädlichen Einfluss auf den entstehenden Hoden hat. Andere Untersuchungen zeigen, dass Rückstände aus Kunststoffen (sogenannte Weichmacher) wie Östrogene wirken und die männlichen Hormone blockieren können. Werden diese Stoffe über die Nahrung aufgenommen, gelangen sie ins Blut und können sich ebenfalls negativ auf die Hodenentwicklung auswirken. Bedeutet das, dass die deutschen Männer verweiblichen?
Der Hormonspezialist Professor Werner Kloas untersucht am Institut für Gewässerökologie in Berlin schon seit über einem Jahrzehnt die Auswirkungen der Abbaustoffe von Plastik und Pflanzenschutzmitteln in unseren Gewässern. Schon winzige Mengen eines Stoffes, der beispielsweise in Konservendosen vorkommt, beeinflusst die Sexualentwicklung. Befindet sich dieser Stoff im Wasser von Kaulquappen, gibt es später mehr Weibchen. Werner Kloas hält das für besorgniserregend. Die beobachtete Wirkung auf die tierischen Modellorganismen könnte auch für den Mensch bedenklich werden.
Hormonaktive Substanzen im Hausstaub
Auch im Umweltbundesamt Berlin beobachten die Experten den Einfluss hormonaktiver Substanzen. Prof. Andreas Gies, der Leiter der Abteilung für Umwelthygiene hat herausgefunden, dass sich bei allen Menschen, auch schon im Kindesalter, Weichmacher im Blut nachweisen lassen. Seiner Meinung nach gibt es klare Hinweise dafür, dass diese Stoffe gesundheitsschädlich sind und Auswirkungen auf Spermienqualität, Brust- und Hodenkrebsentstehung haben könnten.
Es sind also auch Kinder und Frauen vom Problem der hormonaktiven Umweltchemikalien betroffen. Das verwundert nicht, denn die verdächtigen Substanzen sind sogar in der Atemluft, im Staub von Wohnungen und Büroräumen. Bis zu elf verschiedene Weichmacher können die Experten des Umweltbundesamtes im Hausstaub messen. Und sogar Rückstände von Flammschutzmitteln aus Kunststoffen und Textilien, die ebenfalls in geringsten Konzentrationen wie Hormone wirken. Zur Lösung des Problems schlägt Andreas Gies vor, naturnahe Plastikstoffe zu entwickeln, die wieder abgebaut werden. Eine weitere Möglichkeit könnte sein, die eingesetzten Substanzen durch Prozesse zu ersetzen. So könnte beispielsweise eine bestimmte Konstruktion und nicht eine chemische Substanz Flammschutz gewährleisten.
Auch Bauchfett ist hormonaktiv
Doch in einigen Fällen kann die schlechte Spermienqualität deutscher Männer auch eine ganz andere Ursache haben. Uwe Paasch vom Universitätsklinikum Leipzig hat neuerdings das Problem Fettleibigkeit als einen weiteren Verdächtigen für den Rückgang der Spermienqualität ausgemacht. Das körpereigene Bauchfett ist nämlich eine hochpotente Hormonfabrik. Und die kann der Qualität der Spermien, wie es scheint, ebenfalls erheblich zusetzen. Das ist immerhin eine Ursache, gegen die man selbst etwas unternehmen kann.
Adressen & Links
Informtionen zum Fachbereich Andrologie (reproduktiven Gesundheit des Mannes) an der Universitätsklinik Leipzig gibt es auf deren Website.
hautklinik.uniklinikum-leipzig.de
Autor: Markus Hubenschmid (SWR)
Stand: 29.07.2015 10:53 Uhr