So., 28.11.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Das große Bienensterben
Bienen gehören zu den wichtigsten Nutztieren des Menschen. Nicht wegen ihrer Honigproduktion, sondern weil die Bestäubung vieler für die menschliche Ernährung wichtiger Pflanzen von ihnen abhängt. Doch die Bienen sind eine Art unter Druck: Normalerweise überleben etwa 90 Prozent eines Bienenvolks den Winter. Normal ist seit einigen Jahren aber nichts mehr in der Honigbienenzucht. Im Winter 2009/2010 starb jede fünfte Biene in Deutschland. Die Todesrate hat sich also glatt verdoppelt.
Das Bienensterben ist ein weltweites Phänomen und hat zum Teil dramatische Ausmaße angenommen. In Argentinien und Brasilien ging die Zahl der Bienenvölker um mehr als ein Drittel zurück. In Europa halbierte sich die Bienendichte im Laufe der letzten Jahrzehnte. In China, Indien, den USA und Kanada sind rund 70 Prozent der Bienenvölker kollabiert. Im Mittleren Osten und Japan liegen die Todesraten bei bis zu 85 Prozent.
Ursachen nur teilweise bekannt
Eine wichtige Todesursache steht zweifelsfrei fest: Parasitenbefall. Die Bienenbrut wächst während der Sommermonate in den versiegelten Waben heran. Doch immer öfter ist sie darin nicht allein, sondern hat todbringende Mitbewohner. Varroamilben, zeckenähnliche Blutsauger, stechen die Bienenlarven an und saugen sie aus. Ihre Bekämpfung ist kompliziert und nur in der brutfreien Zeit im Winter möglich.
Der Biologe Dr. Stefan Berg forscht an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim. Er fürchtet, dass der Klimawandel die Ausbreitung der Varroa noch beschleunigen wird: "Die Varroamilbe ist der Killer Nr. 1. Sie ist hauptverantwortlich für das Bienensterben. Und durch die Klimaerwärmung kommt erschwerend hinzu, dass die Völker, die eigentlich im Winter keine Brut haben, bei zunehmender Erwärmung Brut führen werden. Und dass wird die Behandlung durch die Imker erschweren, denn die Behandlung setzt Brutfreiheit voraus."
Klimaopfer Biene
Der Klimawandel stört gleichzeitig auch den Wärmehaushalt der Bienenvölker. Im Winter kriechen die Tiere tief in ihren Stock. Dicht zusammengedrängt erzeugen sie dort durch Zittern eine Temperatur von 35 Grad Celsius. So können sie Außentemperaturen bis minus 60 Grad Celsius überleben. Steigt die Außentemperatur auf über zehn Grad Celsius, löst sich diese "Wintertraube" aus Bienen auf. Der Biologe Daniel Michelberger von der Universität Würzburg hat festgestellt, dass sich das klimabedingte Fehlen konstant kalter Winterperioden fatal auf die Bienen auswirkt. Kalte und warme Tage wechseln sich in kurzer Folge ab. Also bauen die Bienen ihre Wintertraube immer wieder auf und ab. Das bedeutet großen Stress und führt infolgedessen zu einer Zunahme des "Totenfalls".
Bedeutung für die Artenvielfalt
Honigbienen sind unentbehrlich für die Erhaltung der Artenvielfalt und eine ertragreiche Landwirtschaft. Laut UN-Ernährungsorganisation FAO bilden rund 100 Feldfruchtarten 90 Prozent der menschlichen Nahrungsgrundlage. 71 Arten davon werden von Bienen bestäubt. In Deutschland sind rund 80 Prozent der heimischen Nutz- und Wildpflanzen auf die Bestäubung durch Honigbienen angewiesen. Die Biene ist deshalb das drittwichtigste heimische Nutztier. Würde sie verschwinden, hinterließe sie eine Lücke, die von anderen Tieren nicht geschlossen werden kann.
So fehlen der Wildbiene Nistmöglichkeiten, weshalb diese Art selbst ums Überleben kämpft. Auch Hummeln sind kein Ersatz: 500 Hummelkolonien schaffen die "Arbeit" eines Honigbienenvolkes. Bienen sind absolute Hochleistungsflieger. Für ein Glas Honig müssen rund fünf Millionen Blüten angeflogen werden! In ihrem Leben legt eine Biene rund 800 Kilometer zurück.
Vorboten einer ökologischen Kettenreaktion?
In Deutschland gibt es bereits sogenannte weiße Bienenflecken. Dort sind die Erträge aufgrund zu geringer Bienendichte zurückgegangen. Daniel Michelberger, Biologe: "Es gibt zahlreiche Stellen in Deutschland, an denen sich die Völkerverluste bereits bemerkbar machen, zum Beispiel in Niedersachsen. Hier wirkt sich der Bienenverlust auf den Rapsanbau aus, hier sind deutlich geringere Erträge zu verzeichnen.
Von den etwa 50 Nutzpflanzen in Deutschland sind rund 30 Arten direkt vom Bienensterben betroffen: Sollte es unvermindert weiter gehen dann werden die Erträge deutlich zurück gehen, in letzter Konsequenz wäre ihr Überleben gefährdet. Die Liste ist lang: Birnen, Erbsen, Erdbeeren, Oliven, Mandeln, Kirschen, Äpfel, Gurken, Kartoffeln, Tomaten, Blaubeeren, Kürbisse, Pflaumen, Himbeeren, Melonen, Sonnenblumen, Oliven, Raps usw. Unser Speiseplan würde sich zwangsläufig auf Getreide, Reis und Mais reduzieren.
Auch für die tierische Artenvielfalt wären die Konsequenzen kaum abzusehen. Fällt eine Spezies weg, so kann das zu wahren Kettenreaktionen führen. Das Verschwinden von Obstgärten zum Beispiel würde den Verlust von Lebensräumen und Nahrungsquellen bedeuten. Vögel und Säugetiere wären ebenso davon ebenso betroffen wie Insekten und Kleinstlebewesen.
Die Suche nach einer Lösung
Seit Jahren versuchen Wissenschaftler resistentere Bienenvölker zu züchten. Doch für einen nachhaltigen Erfolg dieser Bemühungen müssten sie die offenbar vielfältigen Ursachen des Bienensterbens genauer kennen. Möglicherweise spielen neben Parasiten und Klimawandel auch Pestizide aus der Landwirtschaft eine Rolle. Außerdem hält die Biene immer wieder Überraschungen bereit. So wissen die Experten erst seit kurzem, dass Bienen über kein ausgeprägtes Immunsystem verfügen. Krankheiten wehren sie eher durch ein konsequentes Hygienemanagement in den Stöcken ab. Um mehr über Verhalten und Gesundheitszustand der Tiere heraus zu finden, werden an der Uni Würzberg Bienenstöcke neuerdings mit verschiedenen Sensoren und Kameras überwacht. Die Rätsel rund um das Bienensterben müssen schnell gelöst werden, die Zeit drängt.
Autor: Ingo Herbst (NDR)
Stand: 25.06.2015 11:25 Uhr