So., 25.04.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Das Jahr ohne Sommer
Die meisten aktiven Vulkane auf der Erde befinden sich in Indonesien. Auf der Insel Sumbawa, etwa 500 Kilometer östlich von Bali, liegt einer der größten: Tambora. Dieser Vulkan hat Geschichte geschrieben, denn 1815 ereignete sich hier der stärkste Ausbruch seit mehr als 20.000 Jahren. Allein in Süd-Ost-Asien starben 120.000 Menschen, doch auch Europa und Amerika litten unter den Folgen. Denn der Ausbruch des Tambora hatte eine tiefgreifende Wirkung auf das weltweite Klima.
Vulkanausbruch mit weitreichenden Folgen
John Crawfurd lebt in Surabaya auf der indonesischen Hauptinsel Java. Am 10. April 1815 berichtet der britische Diplomat von Donnerschlägen über dem Meer, die klingen wie "das Feuergefecht in einer Seeschlacht". Langsam zieht sich eine schwarze Wolke vor die Sonne – in Surabaya wird der Tag zur Nacht. Panisch flüchten die Menschen in die Häuser, flackerndes Kerzenlicht erleuchtet schwach ihre Zimmer. Es beginnt Asche zu regnen. Crawfurd vermutet, dass ein nahegelegener Vulkan auf Java ausgebrochen ist, doch er irrt sich. Die Asche und das Donnern stammen vom Vulkan Tambora auf der Insel Sumbawa, über 600 Kilometern entfernt.
Unvollstellbare Dimensionen
Heute stehen nur noch die Reste des ehemaligen Vulkangiganten. Vor der Explosion war der Tambora 1.400 Meter höher, die größte Erhebung der indonesischen Inseln. Zurückgeblieben ist ein Krater mit rund sieben Kilometer Durchmesser. Haraldur Sigurdsson ist einer der wenigen Vulkanologen, die Tambora genauer untersucht haben. Nach seinen Berechnungen sind bei dem Ausbruch rund 100 Kubikkilometer Asche und Gesteinsmassen aus dem Vulkan geschleudert worden. Die Menge ist unvorstellbar, aber Sigurdsson versucht durch einen Vergleich die ungeheure Dimension des Ausbruchs leichter verständlich zu machen: "Bei der großen Eruption des Vesuvs im Jahre 79 nach Christus sind sechs Kubikkilometer Lava und Asche herausgeschleudert worden, beim Tambora 1815 waren es 100 Kubikkilometer, das ist fast die zwanzigfache Menge! Die Eruption von 1815 war damit einer der größten Vulkanausbrüche."
Weltweiter Kälteeinbruch
Die gewaltige Explosion befördert riesige Mengen Schwefel in die Stratosphäre. Hier breiten sich die Schwefelteilchen unaufhaltsam über den Globus aus und reflektieren das Sonnenlicht. Die Folge: Es wird spürbar kälter. Einige Jahre bleibt der Schwefel in der Stratosphäre, bis er durch die Schwerkraft nach und nach wieder auf die Erde absinkt. Die Klimaveränderung ist daher zeitlich begrenzt, besonders folgenschwer sind die Auswirkungen im Sommer 1816. In diesem Jahr kommt es in Zentraleuropa zu einer Hungerkatastrophe. In Bayern, Österreich, Tschechien und vor allem in den Schweizer Höhenlagen gedeiht kaum noch etwas - es ist zu kalt.
Hungersnot in Europa
Christian Pfister arbeitet an der Universität in Bern und ist einer der wenigen Historiker, die untersuchen, wie die Natur die Geschichte beeinflusst hat. "1816", so sagt er, "gab es in der Schweiz alle zwei Wochen Schneefälle. Ab etwa 800 Höhenmetern legte sich immer wieder eine 10 bis 20 Zentimeter dicke Schneedecke über das Land." Die Folge war ein dramatischer Ernteeinbruch. Die Menschen hatten kein Getreide, kein Gemüse mehr und mussten sich von Gras, Kräutern oder verendeten Tieren ernähren. Aber das war zu wenig zum Überleben. Viele Tausende Menschen starben.
1816 ging in die Geschichte als das Jahr ohne Sommer ein. Es zeigt, wie empfindlich unser Klima ist. Und dass wir Menschen gegenüber solchen Naturkräften schlicht machtlos sind, selbst wenn wir nicht in der Nähe eines Vulkans leben. Vulkane sind unberechenbar und ein vergleichbar großer Ausbruch kann sich jederzeit wiederholen.
Tambora – ein einmaliges Ereignis?
Seit Tausenden von Jahren gab es keinen Vulkanausbruch, der so gewalttätig war und weltweit eine solch drastische Klimaveränderung verursacht hatte wie der Ausbruch des Tambora 1815. Mit anderen Worten: Ein Ausbruch dieser Dimension ist ein sehr unwahrscheinliches Ereignis. Und selbst, wenn wir in Indonesien, Alaska oder Südamerika einen zweiten Jahrtausendausbruch erleben würden, wären die klimatischen Folgen noch das geringste Problem. Denn heute könnten wir eine Missernte durch vernetzte Frachtwege viel schneller ausgleichen als vor 200 Jahren. Außerdem haben wir bereits eine hausgemachte Klimaerwärmung, die der weltweiten Klimaabkühlung durch einen Vulkanausbruch entgegenwirken würde. Dramatisch wäre eine solche Eruption vielmehr für die Menschen vor Ort. Denn wenn eine ganze Region unter meterdicken Ascheschichten versinkt, dauert es Jahrzehnte, bis die Menschen wieder Landwirtschaft betreiben und sich selbst versorgen können. 1815 hatte die schwefelhaltige Asche alle Felder in Sumbawa und sogar das Meer um die Insel verseucht. Die Folge: eine dramatische Hungersnot, der rund 100.000 Menschen in Süd-Ost-Asien zum Opfer fielen.
Autor: Elmar Bartlmae (WDR)
Stand: 30.01.2014 09:31 Uhr